Bekenntnis eines Schiedsrichters: „Ich sehe auch nicht alles“

3.3.2015, 16:45 Uhr
Bekenntnis eines Schiedsrichters: „Ich sehe auch nicht alles“

© Klaus-Dieter Schreiter

„Ohren spitzen, jeder kann das schaffen“, meinte der Gruppenschiedsrichterobmann Manfred Kettler zu Beginn der Sitzung, als er Deniz Aytekin begrüßte. Aber der stellte die Dinge gleich klar: „Es ist kein Glück gewesen, kein Zufall, ich habe hart dafür gearbeitet, um dorthin zu kommen wo ich jetzt als Schiedsrichter bin“.

Sechs Mal in der Woche trainiert er hart, hat sich zu Hause in Oberasbach sogar die Einrichtung für ein Höhentraining angeschafft, ist tagelang nicht zu Hause. Als er am Montagabend bei den Erlanger Schiedsrichtern war, kam er gerade aus Bremen, wo er, wie er sagte, das „Nummerngirl“ für Schiedsrichter Marco Fritz gewesen war.

Davor hatte er die Championsleague-Partie zwischen dem FC Arsenal und dem AS Monaco in London geleitet. Zwischendurch war der Betriebswirt und Geschäftsführer mehrerer Beratungsunternehmen auch noch beruflich unterwegs. Zur Erlanger Schiedsrichtergruppe sei er trotzdem gerne gekommen, weil er zu ihr eine besondere Verbindung habe. Eine dieser Verbindungen: Schiedsrichter Andreas Strasser. Mit ihm habe er im Dezember zusammengesessen, als er den Anruf von Herbert Fandel bekam, in dem ihm der deutsche Schiedsrichter-Boss mitteilte, dass ihn die UEFA-Schiedsrichterkommission auf ihrer Sitzung in Nyon in die Elitekategorie der Europäischen Fußball-Union (UEFA) aufgenommen habe.

Der 36-Jährige plauderte derart aus dem Nähkästchen, dass seinen Kolleginnen und Kollegen der Mund offen stehen blieb. Entscheidungen, sagte er, beruhen oft auf Bewegungsabläufen, Automatismen, die Umfeldbeobachtung sei immer ein zentrales Element der Entscheidungsfindung. „Es ist die große Kunst, die Signale aufzufangen, denn ich sehe auch nicht alles“. Wie neulich bei einem Handspiel zur Verhinderung eines Tores. Der Spieler kniete auf dem Rasen, sah Aytekin ängstlich an, weil er sich schuldig fühlte. Das war für Aytekin die Bestätigung: Es war ein Handspiel, obwohl weder er, noch der Linienrichter es genau gesehen hatten.

Aytekin gibt auch Fehler zu. „Im Spiel zwischen dem VfB Stuttgart und Borussia Dortmund hätte ich Nuri Sahin nach einem Foul im Strafraum und der Verhinderung einer klaren Torchance Rot geben müssen. Ich pfiff aber nur Elfmeter, zeigte nicht einmal Gelb“. Überall wurde er für den Mut, die „Doppelbestrafung“ nicht ausgesprochen zu haben, gelobt. Aber es sei eine Fehlentscheidung gewesen, die er sich nicht erklären könne, sagt er heute.

Im Bundesliga-Spiel zwischen Frankfurt und Stuttgart hatte er einen Strafstoß für die Gastgeber gepfiffen, die Entscheidung nach Beratung mit seinem Assistenten aber zurückgenommen.

Jetzt verrät Aytekin: „Ich habe bereits beim Pfiff gewusst, dass es kein Elfmeter war“. Mit dem Linienrichter habe er nur diskutiert, um ein Argument für die Rücknahme der Entscheidung zu haben.

Schiedsrichter geworden sei er vor allem, weil er den Moment des Einlaufens so sehr genieße, erzählt Aytekin dann. „Da bekomme ich Gänsehaut“. Wenn er in den vollen Stadien der Welt stehe frage er sich oft: „Was mache ich Dorfschiri aus Oberasbach hier eigentlich?“. Mittendrin zu sein, sei eine ganz besondere Situation. „Das war auch schon in den unteren Ligen so“.

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