Club-Abstieg 1969: "Zu 95 Prozent war Max Merkel schuld"

7.6.2019, 16:45 Uhr
Club-Abstieg 1969:

© Fengler/Archiv Schmidtpeter

Wie sehr schmerzt es, an diesen schwarzen Samstag vor 50 Jahren zu denken?

Horst Leupold: Das hat damals sehr weh getan, und das tut es heute noch genauso. Dass ein deutscher Meister absteigen kann, ist bis heute unfassbar. Wie es dazu kam, kann ich allerdings noch genau nachvollziehen. Der Abstieg war hausgemacht.

Dann legen Sie doch mal los mit Ihrer Analyse.

Leupold: Bei der Ursachenforschung muss ich an allererster Stelle die Person Max Merkel nennen. Der Trainer hat im Meisterjahr gut funktioniert. Im Erfolg, bei der ganzen Euphorie, hat er sich bestätigt gefühlt bei seinen diktatorischen Machenschaften. Dann kam der Bruch. Bis zu seiner Entlassung war Merkel zu 95 Prozent schuld am Abstieg. Der Niedergang begann schon im Meisterjahr.

Nachdem wir 1968 im vorletzten Spiel mit dem 2:0-Sieg bei Bayern München den Titel in der Tasche hatten, war die Sache für Merkel erledigt. Auch in so einem Moment konnte er kaum eine menschliche Regung zeigen, mal einen Spieler loben oder in den Arm nehmen. Nach diesem Spiel ist er gar nicht mehr mit der Mannschaft nach Hause gefahren. Nürnberg war für ihn ab diesem Tag nur noch ein Randthema. Die Meisterschaft war sein persönlicher Höhepunkt, er hat sich feiern lassen und das alles sehr genossen. Auf dem Weg zum Titel hat er jeden von uns gebraucht, danach hat er die Mannschaft fallen gelassen.

Aber warum? Wenn man Meister geworden ist, will man den Titel doch verteidigen, noch mehr erreichen. Vielleicht im Europapokal für Furore sorgen.

Ex-Club-Spieler Horst Leupold geht mit dem einstigen Meistertrainer Max Merkel hart ins Gericht.

Ex-Club-Spieler Horst Leupold geht mit dem einstigen Meistertrainer Max Merkel hart ins Gericht. © Foto: SF Zink

Leupold: Das hat ihn alles gar nicht mehr interessiert. Im Gegenteil: Er hat diese tolle Mannschaft, die vom Alter her vielleicht noch gar nicht ihren Zenit erreicht hatte, zerlegt. Mit Franz Brungs, Gustl Starek und Charly Ferschl wurden drei absolute Topspieler für billiges Geld verkauft. Unter den 13 Spielern, die Merkel zur neuen Saison geholt hat, war nicht eine echte Verstärkung dabei.

Merkel hat Mannschaft deformiert

Merkels legendärer Spruch nach dem Gewinn der Meisterschaft, er wolle aus der Nürnberger Bauernkapelle die Wiener Sinfoniker machen, kam bei den Spielern bestimmt nicht gut an.

Leupold: Damit hat er das Können unserer Mannschaft in Frage gestellt. Nach dem Titelgewinn stellte sich bei ihm mehr und mehr Realitätsverlust ein. Er hat die Mannschaft derart deformiert, dass sie sang- und klanglos abgestiegen ist. Deshalb ist er für mich nicht der große Trainer, für den ihn alle gehalten haben.

Aber 1968 hatte er doch seine Fähigkeiten bewiesen. . .

Leupold: Wir waren im Meisterjahr optimal besetzt, eine verschworene Einheit. Die Mannschaft war intakt, jeder war fit. Fachlich und technisch musste Merkel nicht groß an uns feilen. Der Erfolg war ein Selbstläufer.

Liest man die Berichte vom Jahr danach, ist immer wieder von einer behäbigen, zerfahrenen Spielweise, von Verunsicherung und Nervosität die Rede. Wann haben die Spieler realisiert, dass sich der Meister im Abstiegskampf befindet?

Leupold: Das Bewusstsein, dass es nicht gut läuft, war sofort da. Merkel hat von Anfang an alle Spieler mürbe gemacht, beleidigt und teilweise in der Öffentlichkeit bloßgestellt. Das fing schon bei der Saisonvorbereitung im Kleinwalsertal an. Nach acht Tagen Höhentrainingslager waren wir in einem körperlich miserablen Zustand. Die Quittung folgte im ersten Spiel mit einer 1:4-Heimniederlage gegen Alemannia Aachen. Das war der Anfang vom Ende.

Keiner wollte Merkel kritisieren

Warum hat niemand den Mund aufgemacht und das Wort gegen Merkel erhoben?

Leupold: Keiner hat sich getraut, ihn zu kritisieren. Auch nicht Präsident Walter Luther, ein sehr freundlicher Mensch. Er hat auf Merkel aufgeschaut und war mit der Situation überfordert. Dass jemand außer Merkel ein Machtwort gesprochen hätte, war undenkbar. Es gab nichts in diesem Verein, was nicht durch seine Hände gegangen wäre. Sogar die Lohntüten hat er höchstpersönlich verteilt und auch noch bestimmt, wie viel Prämien jeder bekam.

Wie hat Merkel sich verhalten, als sich die Krise zugespitzt hat?

Leupold: Er ist mit jeder Niederlage menschlich immer schwieriger, ja schlimmer geworden. Zeitweise war er gar nicht mehr präsent. Sein Assistent Robert Körner hat die meisten Trainingseinheiten geleitet, während Merkel sich um sein Buch und um seine Werbeverträge gekümmert hat. Wenn er dann Donnerstag in Zivil zum Training erschienen ist, hat er richtig Zirkus gemacht. Er hat uns zusätzlich Runden laufen lassen, uns beschimpft, sich – ich muss es so deutlich sagen – dreckig verhalten. All das hat eine negative Dynamik angenommen, wir sind immer tiefer in den Abstiegsstrudel geraten und hatten kein Selbstvertrauen mehr.

Ende März 1969 kam es dann doch zur Trennung vom großen Zampano. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Leupold: Wir waren in der Sportschule Grünwald, als wir zusammengerufen wurden. Merkel war dabei, als der Vorstand die Trennung bekanntgab. Entgegen seinem Naturell bedankte er sich bei der Mannschaft, verabschiedete sich freundlich, wünschte uns alles Gute und gab sogar ein Gläschen Sekt aus. Sein wahres Gesicht wurde erst am nächsten Tag deutlich.

In welcher Form?

Leupold: In einem Interview mit dem Acht-Uhr-Blatt. In dicken Lettern stand auf Seite eins: Max Merkel: "Mit dieser Ganovenmannschaft muss man absteigen!"

Auch Körner scheitert

Wie ging es dann weiter ?

Leupold: Der nächste große Fehler war, dass man erst mal Robert Körner zum Chef gemacht hat. Das war ein lieber, netter Mann, der aber keine Entscheidungen treffen konnte. Er hing ständig am Telefon und hat Merkel gefragt, was er machen soll. In den vier Wochen unter seiner Regie haben wir auch kaum Punkte geholt.

Dann kam Kuno Klötzer . . .

Leupold: Er hat uns ganz anders angepackt, war menschlich absolut in Ordnung und fachlich sehr gut. So wie man sich einen kompetenten Trainer eben vorstellt. Unter ihm haben wir eine tadellose Restsaison gespielt und hätten es aus eigener Kraft noch schaffen können. Wenn er früher gekommen wäre, wären wir nicht abgestiegen, davon bin ich überzeugt.

Welche Erinnerungen haben Sie an den Moment, als der Abstieg nach dem 0:3 im letzten Spiel in Köln besiegelt war?

Leupold: Wir waren natürlich auf die Katastrophe vorbereitet. Aber mit dem Schlusspfiff sind alle Dämme gebrochen. Ich habe von Kindesbeinen an diesen Verein gelebt, dann steigst du als Meister ab. Ich schäme mich nicht, dass damals Tränen geflossen sind. Es hat hinterher noch Wochen gedauert, bis wir das alles realisiert hatten.

Club-Führung nicht professionell

Warum hat es neun Jahre gedauert, bis der Club zum ersten Mal wieder aufgestiegen ist?

Leupold: Weil wir keine professionelle Führung hatten. Nach dem Abstieg hat niemand gewusst, was zu tun ist. Da war niemand, kein Manager oder Sportvorstand, der die Dinge richtig in die Hand genommen hätte. Deshalb ist es von Jahr zu Jahr schwieriger geworden, wieder hochzukommen. Im Prinzip hatte der Club bei den vielen Auf- und Abstiegen danach mit ähnlichen Problemen zu kämpfen und hat so den Anschluss verloren.

Haben Sie Max Merkel jemals wiedergesehen?

Leupold: Ein einziges Mal, zufällig am Flughafen in Berlin auf dem Weg zu einem Pokalendspiel. Es war eine sehr oberflächliche Begegnung. Wir haben nur ein paar Floskeln ausgetauscht. Mehr gab es nicht zu sagen.

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