Der Gelbwurst-Coup: Vor 90 Jahren wurde Fürth Meister

28.7.2019, 10:00 Uhr
Der Moment, der die Meisterschaft entscheidet: Karl "Gelbwurst" Rupprecht zieht wuchtig ab, Hertha-Torwart Paul Gehlhaar kann nur verzweifelt hinterherschauen.

© Foto: Archiv der SpVgg Greuther Fürth Der Moment, der die Meisterschaft entscheidet: Karl "Gelbwurst" Rupprecht zieht wuchtig ab, Hertha-Torwart Paul Gehlhaar kann nur verzweifelt hinterherschauen.

Wie sehr sich die Welt und damit der Fußball in den vergangenen 90 Jahren geändert haben, lässt sich vielleicht am Besten an den Spitznamen ablesen. Wenn sich die Spieler heute auf dem Rasen anschreien, hängen sie meistens einfach ein "i" an den Namen: Maxi, Hansi und Tobi von der Spielvereinigung Greuther Fürth werden sich so wohl auch am Sonntag beim Zweitliga-Auftakt gegen Erzgebirge Aue (15.30 Uhr, Live-Ticker auf nordbayern.de) rufen. Sie sind damit nicht allein, die ganze Gesellschaft kürzt Namen heute gerne pragmatisch und leicht verniedlichend ab.

Als die Spielvereinigung Fürth am 28. Juli 1929 ihren dritten Meistertitel bejubelte, war das anders. Karl Rupprecht, den bissigen Balleroberer, nannten zum Beispiel alle "Gelbwurst". Das passte zu seinem blonden Haarschopf und dazu, dass er aus einer Fürther Metzger-Dynastie stammte. Jeder der elf Meisterspieler hatte so einen Kosenamen, nur einzelne leiteten sich vom Rufnamen ab.

Nur einer kam aus Nürnberg

Manche wirken leicht spöttelnd, aber sie zeigen: Man kannte sich und fühlte sich zusammengehörig. Vielleicht lag es ja daran, dass man noch viel länger zusammenspielte. Vereinswechsel gab es, aber sie blieben Ausnahmen und kurze Gastspiele. Die Meisterelf von 1929 war selbst für damalige Verhältnisse sehr lokal geprägt: Zehn von elf Spielern waren in Fürth geboren oder aufgewachsen. Der einzige Auswärtige, Ludwig Leinberger, kam aus Nürnberg.

Dass so viele Fürther für den letzten großen Triumph des Kleeblatts sorgten, hatte die Spielvereinigung einem Trainer zu verdanken, der 1929 schon nicht mehr da war: William Townley, dem Erfinder des "Fürther Flachpasses". Als er 1911 zum ersten Mal ein Traineramt in Fürth antrat, wies Townley auch die Jugendmannschaften an, wie sie spielen sollen. Das war noch nicht mit heutigen Nachwuchsleistungszentren zu vergleichen, aber die Idee, eine durchgängige Spielphilosophie von den Kindern bis zu den Profis zu pflegen, ist heute noch aktuell.

"Er war seiner Zeit weit voraus", sagt Jürgen Schmidt, Archivar und Präsidiumsmitglied der Spielvereinigung. "Es hat den Fürther Erfolg der folgenden Jahre ausgemacht, dass er die Ausbildung so angeordnet hat."

Ein grimmiger Spieleröffner 

Einer von Townleys besten Schülern war Hans "Prinz" Hagen, der Kapitän der Mannschaft von 1929. Eine Kriegsverletzung im Gesicht ließ ihn grimmig aussehen. Doch obwohl er ein entschlossener und harter Manndecker war, hatte er auch eine andere Seite. "Er war schon ein Verteidiger der modernen Prägung", erzählt Schmidt. Denn Townleys Philosophie entsprach dem Spielerischen: mit flachen Pässen nach vorne spielen, statt wie vorher im Kick and Rush üblich, den Ball möglichst weit zu den Stürmern zu dreschen. So wie sein Nachfolger Marco "Cali" Caligiuri 90 Jahre später soll auch Hagen eine Art Spieleröffner gewesen sein.

Das Finale gegen Hertha BSC im Städtischen Stadion in Nürnberg war aber nicht die richtige Partie für den gepflegten Flachpass. Die Berliner legten eine raue Spielweise an den Tag. Das hatte im Halbfinale der 1. FC Nürnberg erfahren. Wohl deshalb feuerte der Großteil der Nürnberger Zuschauer die Fürther an.

Tor, Tor, Tor! 

Die schafften es, sich der Spielweise anzupassen – und gewannen durch ein Tor von "Gelbwurst" Rupprecht fünf Minuten vor dem Ende mit 3:2. Tausende Fürther empfingen die Helden anschließend in der Kleeblattstadt.

Obwohl Trainer Townley 1930 noch einmal zur Spielvereinigung zurückkehrte, blieb es der letzte große Titel des Kleeblatts. Die Ursachen sind komplex, zwei wichtige Gründe nennt Schmidt: Als Industrie- und Kaufmannsstadt wurde Fürth von der Weltwirtschaftskrise 1929 besonders hart getroffen. Die Machtergreifung der Nazis sorgte ab 1933 zudem dafür, dass viele jüdische Gönner der Spielvereinigung auswandern mussten oder entrechtet und verfolgt wurden.

Ohne Gönner lief nichts

Denn obwohl die Spieler offiziell Amateure waren, lief nichts ohne solche frühen "Sponsoren": Sie sorgten dafür, dass die Fußballer Anstellungen fanden, bei denen sie trotzdem trainieren konnten. Sie statteten sie mit Kleidung aus, besorgten ihnen Wohnungen und Essensgutscheine.

Wenn das Kleeblatt an diesem Sonntag auf Aue trifft, werden "Cali", Sascha "Beucke" Burchert und Co. blau-schwarze Trikots tragen – ähnlich wie die der Helden von 1929. Es soll zumindest eine kleine Reminiszenz sein an eine Zeit, als die Spielvereinigung Fürth eine Macht im deutschen Fußball war.

Fürth (1929): Neger ("Pippel"); Hagen ("Prinz"), H. Krauß ("Urbel") – Röschke ("Kniela"), Leinberger ("Haberer"), K. Krauß ("Kneisel") – Auer ("Elritz"), Rupprecht ("Gelbwurst"), Franz ("Resi"), Frank ("Allan"), Kießling ("Görch").

Fürth (2019): Burchert ("Beucke"); Sauer, Caligiuri, Mavraj, Wittek – Green, Seguin, Mohr – Stefaniak, Keita-Ruel, Redondo.

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