Die Emanzipation der „jungen Hockey-Wilden“

20.5.2012, 17:25 Uhr
Die Emanzipation der „jungen Hockey-Wilden“

© Sportfoto Zink

Nicht wenige hatten Tränen in den Augen, andere starrten fassungslos Löcher in die Luft – ein Jahr später haben die Hockeyspieler des Nürnberger HTC ihr letztes Saisonspiel wieder verloren, doch den Betriebsunfall Abstieg hatten sie da längst korrigiert: Dank einer eindrucksvollen Saison haben sich die Nürnberger im Kreis der besten deutschen Mannschaften zurückgemeldet.

15 Siege, zwei Unentschieden, zuguterletzt das promillegeschwängerte 6:7 gegen Dürkheim mit den Nachwehen einer langen Aufstiegssause – so liest sich die durchaus eindrucksvolle Bilanz eines Teams, das sich auf dem Weg zurück in die Beletage des deutschen Hockeys nur selbst schlagen konnte. Olympiasieger Max Müller blieb seinem Verein dabei genauso treu wie Nationalspieler Christopher Wesley, und dieses Bekenntnis war durchaus als Zeichen zu verstehen. Ein Fanal, gemeinsam etwas gutzumachen, was sie alle zusammen im Vorjahr verbockt hatten.

„Unser geschlossenes Gebilde“, wie Müller die Mannschaft nennt, in der er gleichermaßen Sprachrohr und Gehirn verkörpert, hat im gleichen Maße Offenheit bewiesen. Ihrem nach dem Abstieg vom „Co“ zum Chef beförderten Norbert Wolff schenkten sie schnell das Vertrauen – kein selbstverständlicher Vorgang für das Team um Müller und Wesley, das sich so gerne selbst bestimmt. „Wir haben uns alle das Versprechen gegeben, die Saison ohne Wenn und Aber durchzuziehen“, erinnert sich Wolff an die Anfänge einer neuen Gemeinschaft, die sämtliche Befindlichkeiten einer launischen Diva ablegte und ihren Fokus auf das Wesentliche richtete.

Das Saisonziel hatten sie an der Siedlerstraße nicht eben niedrig angesetzt. „Alle Spiele gewinnen“, gab Abteilungsleiterin Susa Wesley im deutschlandweit gelesenen offiziellen Verbandsorgan an. Für den inneren Kreis natürlich leicht augenzwinkernd, in der Außenwirkung dürfte Hockey-Deutschland dem NHTC gewiss mehr als nur eine breite Brust unterstellt haben. So verkörperten die Nürnberger im Unterhaus das, was die Fußballer des FC Bayern zumindest in der Bundesliga sind: Gegen die wollen alle immer gewinnen, mit aller Macht und allen Mitteln. „Psycho-Stress“ nannte der Trainer das im Rückblick – diese selbst auferlegte Pflicht, Wochenende für Wochenende die beredten Ziele mit sportlichen Leistungen zu unterstreichen und dabei gerade auch den eigenen Ansprüchen zu genügen. „Vom Kopf her haben wir diese Aufgabe gut angenommen“, durfte Norbert Wolff nun rundum zufrieden resümieren.

Mindestens so wichtig wie der Aufstieg war Wolff die Vorbereitung auf das, was seine Mannschaft in der neuen Saison erwarten wird. Die Träumereien vom internationalen Geschäft hat der Trainer verdammt, der langjährige Verteidiger steht für eine sachliche Betrachtung der eigenen Möglichkeiten. Den inzwischen gereiften „jungen Wilden“, denen nach dem Durchmarsch von der dritten in die erste Liga die Welt offen zu stehen schien, hat er Bodenhaftung gegeben. Sprüche lässt Wolff zu, weil er seine Aushängeschilder kennt und nicht verbiegen will. Über allem steht aber harte Arbeit: So hat er nach seinem Amtsantritt die Zahl der Übungseinheiten auf dem Platz mal eben verdoppelt. Seine Jungs, die respektvoll zu ihm aufschauen, mussten so hart schuften wie ihr Trainer, der Rechtsanwalt mit dem Hockey-Wahnsinn: „Unglaublich, wie er neben dem Platz auch noch seine Arbeit in der Kanzlei bewältigt“, meinte Müller anerkennend über einen, der an Spieltagen bis frühmorgens Videosequenzen zusammenschneidet, um „immer perfekt vorbereitet zu sein“, wie der Nürnberger Nationalmannschaftskapitän findet.

Diese Einstellung hat abgefärbt und die Mannschaft laut Wolff auch dazu gebracht, sich von ihrem Leitwolf zu emanzipieren. „Sie verstecken sich nicht mehr alle hinter Max“, sagt Wolff, der sich selbst am meisten über das neu entwickelte, starke Kollektiv freut. Ob der Reifeprozess hin zum neuen Ego dann in der neuen Saison abgeschlossen ist, muss sich erst zeigen. „Ich bin gespannt“, sagt Wolff. Bis in zwölf Monaten also.

NHTC – TG Frankenthal 2:2 (2:2) – NHTC-Tore: Kohl, Mahdi / Strafecken: 6/1:2/0.

NHTC – Dürkheimer HC 6:7 (3:2) – NHTC-Tore: Kohl 3, Mahdi, Brügel, Sauer / Strafecken: 5/1:2/1.

Verwandte Themen


Keine Kommentare