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Doku über die Formel-1-Legende: Lohnt sich für "Schumacher" ein Netflix-Abo?

16.9.2021, 16:09 Uhr
Wunderschöne aus Bilder aus unbeschwerten Tagen: Corinna Schumacher öffnete für "Schumacher" das Familienalbum. 

© Oliver Multhaup, dpa Wunderschöne aus Bilder aus unbeschwerten Tagen: Corinna Schumacher öffnete für "Schumacher" das Familienalbum. 

Wie schön dieser Film beginnt, realisiert man erst gegen Ende. Wenn die schwarz-weiß-karierte Flagge immer wieder gewunken wurde, wenn der Ferrari immer wieder mal im Kiesbett abgestellt worden ist, wenn man den Mann, dem dieser Film zumindest dem Namen nach gewidmet worden ist, immer wieder hat jubeln und grübeln sehen. "Schumacher" aber beginnt nicht auf Asphalt, sondern unter Wasser.

"Schumacher" ist ein Film über Michael Schumacher, den legendären Rennfahrer, den besessenen Perfektionisten, den außergewöhnlichen Jungen, den stets makellos rasierten Mann, den Partylöwen, den geliebten Vater und Ehemann. Und als solcher unterscheidet er sich nicht von Hochglanzproduktionen über Bastian Schweinsteiger und Toni Kroos, die den Fan vermeintlich ganz nahe an die Starfußballer herangelassen haben, die vorführen sollten, wie sehr sie Mensch geblieben sind und die doch wirkten wie Teil einer Marketingkampagne. Schweinsteiger und Kroos aber bespielen die Bühnen noch immer, von Michael Schumacher weiß man seit dem 29. Dezember 2013 schrecklich wenig. Das ändert auch diese Produktion nicht, die seit Mittwoch auf Netflix abrufbar ist.

Keine normale normale Familie

Am Morgen dieses 29. Dezember 2013 soll Michael zu Corinna Schumacher gesagt haben, dass der Schnee in Meribel nicht optimal sei. "Wir könnten ja nach Dubai fliegen und da springen." Zuvor hat man sie schon springen sehen. Auch das sind wunderschöne Momente aus dem Leben einer Familie, die sich alles Glück dieser Welt erarbeitet zu haben schien, die sich alles leisten, die alles machen konnte, auch spontan nach Dubai fliegen, um dort mit dem Fallschirm abzuspringen.

"Was er wollte, war ein ganz normales Leben": Dieser Wunsch Michael Schumachers ging nicht in Erfüllung. 

"Was er wollte, war ein ganz normales Leben": Dieser Wunsch Michael Schumachers ging nicht in Erfüllung.  © via www.imago-images.de, NN

Schumacher liebte die Schwerelosigkeit, den freien Fall. Hunderte Meter über der Palmeninsel wirkte er so entspannt und so glücklich wie normale Menschen auf der Hollywood-Schaukel. In "Schumacher" gibt es viele Szenen einer normalen Familie, die natürlich nicht normal lebte und die doch nicht verhindern konnte, dass ein unter der Schneedecke versteckter Stein ihr Leben für immer verändert hat.

Ein nachdenklicher Blick auf Lady Di

Der junge Michael Schumacher hat über den Tod gesprochen und das Risiko. Nach dem zweiten wichtigen Datum dieses berührenden Dokumentarfilms war das. Am 1. Mai 1994 ist Schumacher in Imola in seinem Benetton-Ford direkt hinter dem führenden Williams in die Tamburello-Kurve gerast, er hat mitangesehen, wie das Auto seines Idols, seines größten Konkurrenten ungebremst in die Mauer gekracht ist. Der Fahrer, so wurde es Schumacher gesagt, läge im Koma. Das Rennen wurde fortgesetzt, Schumacher hat es gewonnen, am Ende der Saison war er erstmals Weltmeister. Ayrton Senna aber hat diesen 1. Mai 1994 nicht überlebt.

Der Unfall des großen Brasilianers und der Unfall des großen Kerpeners legen einen Schatten auf die fröhlichen Bilder von Rolf Schumachers Gokart-Bahn, von Champagnerduschen und Siegerehrungen in Sepia, auf die Interviews mit Häkkinen, Vettel, Ecclestone, Brawn, Hill und Todt, den Konkurrenten, Weggefährten und Freunden, und auf die Postkartenmotive aus dem Familienalbum. Selbst wer Schumacher bislang nur oberflächlich wahrgenommen hat, wird diesen beiden Katastrophen atemlos entgegenblicken. Dann erstirbt das Brüllen der Boliden, in der Stille ist "Schumacher" am eindrucksvollsten. Das erste Rennen ohne Senna gewann Schumacher, in Silverstone wurde er Zweiter hinter Damon Hill. Bei der Siegerehrung sieht man, wie er nachdenklich auf Lady Di blickt.

"Jetzt beschützen wir Michael"

Schumachers Ehrgeiz wird inszeniert, gepriesen, aber niemals kritiklos dargestellt. Damon Hill, David Coulthard und Mark Webber, Teamkollegen und Rivalen, beschreiben den lebensgefährlichen Siegeswillen des Deutschen. Der Trotz Schumachers, Fehler einzugestehen, machen das Portrait rund. Je länger aber der Film dauert, desto mehr wird er zum Portrait einer starken Frau und einer bemerkenswerten Liebe. "Michael ist ja da", sagt Corinna Schumacher über den Zustand ihres Mannes, "anders, aber er ist da und das gibt uns allen Kraft. Wir sind zusammen, wir leben zusammen, wir therapieren. Egal was ist, ich werde alles machen, wir alle." Und dann folgt der zentrale Satz: "Michael hat uns immer beschützt. Jetzt beschützen wir Michael."

Man erfährt nicht, wie es Michael Schumacher geht. Aber egal, welches Bild man zuvor von diesem Menschen hatte, "Schumacher" wird es ändern.

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