FCN-Frust! Mathenia und der Dosenöffner für RB

13.9.2020, 05:45 Uhr
Leitete das 0:1 ein: Christian Mathenia.

© Daniel Karmann, dpa Leitete das 0:1 ein: Christian Mathenia.

Fehler eines Torhüters werden in nahezu allen Fällen bestraft, das ist das tragische Schicksal eines jeden Schlussmannes. Oftmals überquert der Ball nur den Bruchteil einer Sekunde oder maximal wenige Augenblicke später die Linie. Am Samstagnachmittag dauerte es in Nürnberg etwas länger, 14 Sekunden um genau zu sein. Die folgenschwere Folge blieb dieselbe: ein Gegentor.

Der Fauxpas des als Nummer eins bestätigten Christian Mathenia bei der 0:3-Niederlage des 1. FC Nürnberg gegen RB Leipzig verlief nahezu analog zur gesamten Partie, in der ein im wahrsten Sinne des Wortes chancenloser Club den hochverdienten Sieg in allen Belangen überlegener Gäste zu keinem Zeitpunkt gefährden konnte.


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Keine drei Minuten sind gespielt, als der 28-Jährige an der Strafraumgrenze den Ball erhält und den ihn anlaufenden, aber keinesfalls sonderlichen unter Druck setzenden Christopher Nkunku anschießt. In der Folge hetzt der Schlussmann links neben den Fünfmeterraum, um zu retten, was zu noch zu retten ist und zunächst gegen Hee-chan Hwang glänzend zu parieren. Der Koreaner kommt direkt wieder an den Ball und spielt zu Marcel Sabitzer. Der Österreicher legt Amadou Haidara auf, dessen Schuss ins linke Eck aus Sicht des Schützen letztlich den Schlussmann bezwingen kann. Auch, weil dieser zu nah am linken Pfosten postiert war.

Fasst man die viertelminütige Aktion kurz zusammen, charakterisiert sie das gesamte Spiel: Ein individueller Fehler und Misserfolg zu Beginn, der zunächst keine gravierenden Folgen nach sich zieht – in der Aktion vorerst kein Gegentor. Dann der Ansatz eines Versuchs, in der Bredouille etwas zu retten und sich freizuschwimmen, ehe der Fehler zu Beginn doch noch seinen Tribut fordert und das Gegentor respektive die Niederlage einleitet.

"Ein unglücklicher Start für ihn", bilanzierte Robert Klauß nach der Partie die Leistung seines Torhüters, der bei der Generalprobe in Berlin noch eine starke Leistung abrief und auch in seiner vermeintlichen Schwäche-Disziplin, der zunehmend bedeutenden fußballerischen Komponente des Torwartspiels, mit dem Ball viele richtige Entscheidungen traf. "Heute hat er diese Entscheidung falsch getroffen", analysierte der Cheftrainer nüchtern und fügte an: "zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt."

Freilich: Ein Gegentor fällt nie im richtigen Moment, sondern in nahezu allen erdenklichen Spielverläufen und Spielsituationen zur Unzeit. Und dass es gegen RB Leipzig, das noch wenige Wochen zuvor - ohne despektierlich zu werden - gegen das Starensemble aus der französischen Hauptstadt im Halbfinale der Champions League und eben nicht gegen den Fast-Drittligisten aus Nürnberg auflief, auch ohne frühen Gegentreffer durchaus anspruchsvoll werden würde, ist auch keine neue Erkenntnis.


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Und doch wäre das Spiel möglicherweise anders verlaufen, spielt ein frühes Tor dem ranghöheren Team im DFB-Pokal doch zumeist in die Karten: Braunschweig traf am Vorabend gegen Berlin in der zweiten Minute (Endstand 5:4), Verl im Vorjahresduell mit dem FC Augsburg nach neun Zeigerumdrehungen (2:1), Lotte 2016 gegen Bremen nach acht (2:1), der Berliner AK 2012 gegen Hoffenheim nach drei Minuten (4:0). Und auch Davids Sieg über Goliath wurde von einem Stirntreffer eines Steins eingeleitet, noch bevor der ursprünglich haushoch überlegene Philister überhaupt sein Schwert zücken konnte. Fazit: Im DFB-Pokal und in der Bibel entstehen Sensationen zumeist nach frühen Wirkungstreffern des Underdogs.

Und manchmal auch dann, wenn der Favorit selbst unerwartet lange auf seinen ersten Treffer warten muss, dadurch zunehmend der Verunsicherung verfällt und zugleich den Widersacher mehr und mehr hoffen lässt. So geschehen unter anderem 2018, als der damals amtierende Pokalsieger aus Frankfurt seine hochkarätige Chancen im ersten Durchgang nicht nutzte, und die Spatzen aus Ulm, über die auch der 1. FC Nürnberg einst stolperte, nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff in Führung gehen sollten (1:0).


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Hopp oder Top ist im DFB-Pokal eben oftmals eine Frage des ersten Treffers. RB Leipzig, dem von Red Bull geförderten Projekt, gelang der sogenannte, vielzitierte und nur selten so passende Begriff des "Dosenöffners" gegen den Pokalsieger von 2007 nach nur drei Minuten. In der Folge parierte Christian Mathenia zwar mitunter gefällig, allein Dani Olmo prüfte den Schlussmann mehrmals wuchtig aus der Distanz und verpasste nur knapp den nächsten Treffer zum frühzeitigen Ausbau des Leipziger Vorsprungs. Mathenia, der mit seinen Paraden dazu beitrug, dass die Gäste aus dem Osten der Republik ihre erdrückende Überlegenheit (80 Prozent Ballbesitz zu Halbzeit, insgesamt 21 Torschüsse) "nur" dreimal in etwas Zählbares ummünzten, leitete zwar die Niederlage ein, verhinderte aber ein Debakel zum Saisonauftakt.

Der 28-Jährige war – mit Ausnahme seines Fauxpas zu Beginn des Spiels – stets zur Stelle, klärte die Schüsse auf der Linie jedoch oft nur unzureichend, wehrte den Ball ein ums andere Mal ins Zentrum ab und ermöglichte den Sachsen somit einige Nachschussmöglichkeiten. Freilich, das sei nicht unerwähnt, waren die satten und flatternden Versuche der Gäste teilweise ohnehin nur schwer zu parieren und dementsprechend noch schwerer, beim Abwehren über oder neben das Tor beziehungsweise auf die Seiten zu lenken.


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Mit dem Ball am Fuß hatte der gebürtige Mainzer Probleme, Lösungen zu finden, was ihn aber nicht vom Gros seiner Vorderleute unterscheidet. So stehen nach 90 Minuten und 50 Ballkontakten 30 Pässe und eine Erfolgsquote von 53 Prozent zu Buche, die auch daher resultiert, dass Mathenia aufgrund des forschen Leipziger Pressings oft nur der lange Hieb auf den im Kopfball-Duell gegen Dayot Upamecano unterlegenen Fabian Schleusener blieb. Nur selten bot Leipzig Mathenia die Option, kurz herauszuspielen, um den Hausherren einen strukturierten Spielaufbau über mehrere Stationen zu ermöglichen. Die Statistik, dass 18,2 Prozent der Pässe als "long passes" verbucht werden, belegt jenen Eindruck. In der dritten Minute versuchte er es mit dem kurzen Zuspiel trotzdem, was Leipzig ausnutzte und bestrafte – mit 14 Sekunden Verspätung.

"Mich ärgert das extrem", gewährte der Torwart nach der Partie Einblicke in sein Gefühlsleben, ehe er sich zu erklären versuchte: "Wir wollen mutig Fußball spielen, da passiert eben der ein oder andere Fehler." Ein an sich zweifelsohne guter Ansatz, den der Club – zumindest (oder vielmehr nahezu einzig) durch Mathenia in der dritten Minute umzusetzen erprobte – in sträflicher Konsequenz. Denn RB Leipzig nutzt eben derartige Fehler.


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Ob das Spiel ohne diesen frühen Rückschlag anders verlaufen wäre? Vielleicht. Aber wohl eher nicht. Zu überlegen schienen die Gäste, zu chancenlos die Hausherren, als dass der Gedanke an eine Überraschung überhaupt aufkommen könnte. Dennoch bleibt der Einfluss des frühen Gegentreffers auf den weiteren Verlauf der Partie unmöglich zu erahnen. Ebenso unmöglich ist es, die folgenschwere Aktion vor dem Gegentreffer "rückgängig zu machen", was sich Christian Mathenia zwar gerne aber naturgemäß vergebens wünscht, ehe er den Blick nach vorne richtet: "Es geht weiter."

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