Fürths Finest! Kritsotakis kämpft sich zum WM-Titel

27.12.2018, 12:05 Uhr
Fürths Finest! Kritsotakis kämpft sich zum WM-Titel

© Oliver Gold/Zink

Der Finalkampf im vergangenen Oktober in Athen ist der Höhepunkt im Werdegang von Mario Kritsotakis. Der 36-jährige Fürther erinnert sich gut daran. Sehr aufgeregt sei er gewesen, habe nicht in den Kampf gefunden. Immer unsicherer sei er geworden. Sein Gegner machte Druck, landete einige Treffer und hatte ihn am Anfang der ersten Runde am Rande des K.o.

Nach einem Schlag blieb Kritsotakis die Luft weg. "Ich dachte, das war es. Aber ich bin kein Mensch, der aufgibt. Also habe ich mich zusammengerissen." Kritsotakis gewinnt den Kampf und darf sich in der Kategorie Kick-light nun Kickbox-Weltmeister des WKU-Verbandes nennen. Das ist einer der größten Verbände im Amateurbereich weltweit.

Wie fühlt er sich als Weltmeister? "Das ist eine gute Frage", grübelt er und findet nur schwer eine Antwort darauf. "Ich bin eigentlich immer noch der Alte, aber stolz ist man natürlich schon", sagt er schließlich und beginnt, über seine Vergangenheit zu erzählen. Denn der Finalkampf, der schon verloren schien, spiegelt in gewisser Weise sein ganzes Leben wider.

Auf der schiefen Bahn

Es habe Momente gegeben, in denen der Fürther mit griechischen Wurzeln dachte, "dass das alles nichts mehr wird, dass ich da nicht mehr rauskomme". Als Jugendlicher ist Mario Kritsotakis auf die schiefe Bahn geraten, er habe während seiner schwierigen Kindheit viel Mist gebaut. "Die Aggressionen mussten raus", erklärt er, weshalb sein Weg in die Kriminalität führte. Aber auch, warum er einst mit dem Kickboxen begann.

Mit 16 Jahren — ohne Schulabschluss — saß er das erste Mal im Gefängnis. Gewaltdelikte und andere Straftaten waren der Grund. Die Zukunft schien bereits in jungen Jahren verbaut. Auch nach dem Gefängnis sollte sich an seinem Leben nichts ändern. "Ich bin in ein Loch gefallen, war oft aggressiv, teilweise depressiv, kriminell war ich weiterhin. Verlassen wurde ich auch. Ganz unten sozusagen — insgesamt bestimmt fünf, sechs Jahre lang." Die Folge war eine Verurteilung zu drei weiteren Jahren Gefängnis. "Den Charakter von damals würde ich heute hassen. Der Ausdruck ,bereuen‘ reicht nicht aus", gibt er zu.

Dass er nun, mit 36 Jahren, davon spricht, "alles erreicht zu haben, was ich mir vorgenommen habe", erscheint fast unwirklich. Kurz vor seiner zweiten Inhaftierung kam sein heute elfjähriger Sohn auf die Welt. Das habe ihm die Augen geöffnet. Was wie ein klischeebehafteter Satz aus einem mittelmäßigen Action-Streifen klingt, sagt Kritsotakis voller Überzeugung: "Das Gefängnis hat mich verändert."

Während der zweiten Haftstrafe holte er schließlich seinen "Quali" nach, er und seine damalige Freundin und heutige Frau fanden wieder zusammen. Wegen guter Führung durfte Kritsotakis das Gefängnis nach zwei anstatt drei Jahren verlassen.

Anschließend folgte eine Lehre, er ging kontinuierlich arbeiten, machte eine Umschulung zum Verfahrensmechaniker sowie die "Medizinisch-Psycholgische Untersuchung" (MPU), um seinen Führerschein, den er zwischenzeitlich abgeben musste, wiederzubekommen. "Alles ging aufwärts. Von ganz unten habe ich es sozusagen nach oben geschafft. Meinem Vater habe ich dabei viel, viel zu verdanken."

Dem Kickboxen kommt bei seiner Vita eine entscheidende Rolle zu. Damals, glaubt er, habe der Kampfsport eher dazu beigetragen, dass "sich gewisse Situationen tendenziell verschlimmert haben". Später, als Kritsotakis seine Vergangenheit hinter sich lassen wollte, war es auch das Kickboxen, das ihn zu dem gemacht hat, der er heute ist.

Energie aus dem Sport

"Ich kann Stresssituationen meistern, bin wesentlich ruhiger geworden, kann meine Energie kontrolliert rauslassen und bin vor allem diszipliniert." Diese Eigenschaften haben ihn nicht nur zum Deutschen Meister sowie zum Weltmeister im Kickboxen gemacht. Auch in seinem Job in einer Fürther Kunststoffspritzerei ist er mittlerweile zum Abteilungsleiter aufgestiegen. "Das, was ich mache, mache ich extrem. Damals hat mir das das Genick gebrochen. Heute nutze ich meine Energie im positiven Sinne: Ich verfolge meine Ziele mit Leidenschaft, respektvoll und fair. Es ist nie zu spät, etwas zu ändern." Fleiß werde belohnt, glaubt Kritsotakis.

Als Kickbox-Trainer in einem Herzogenauracher Fitness-Studio nutzt er seine bewegte Vergangenheit heute dazu, Jugendlichen nicht nur seine Sportart näher zu bringen, sondern möchte ihnen "vor allem das mitgeben, was mir oft gefehlt hat — dass sie dabei unterstützt werden, ihre Ziele zu erreichen".

Große Dankbarkeit

Denn er selbst hat auch Glück mit seinen Trainern gehabt und ist ihnen heute noch dankbar. "Mein erster Trainer Rigoletto Mettbach hat mir neunzig Prozent meines Könnens beigebracht. Und er hat mich mental ein Leben lang unterstützt", erzählt Kritsotakis. Sein bis dahin letzter Trainer war Adolf Greff. Er bereitete ihn auf seine Turniere vor — und starb drei Monate vor dem für Kritsotakis größten, der Weltmeisterschaft. "Ohne diese drei Personen, meinen Vater, meine Trainer, meine Familie, wäre ich heute nicht da, wo ich bin", sagt der Kickboxer.

Er wisse, welche Probleme und Herausforderungen junge Erwachsene zu bewältigen haben. "Als Trainer und Freund möchte ich ein Vorbild sein, ich möchte den Jungs Werte wie Respekt, Disziplin und Durchhaltevermögen mitgeben." Denn — und das sei ihm wichtig — das Kickboxen vereine genau diese Attribute. "Viele verwechseln diesen Sport mit einer Schlägerei", weiß er um das Image. Doch biete das Kickboxen vieles, das sinnvoll für den Alltag sei. Mario Kritsotakis und sein Leben zeigen es.

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