Hart am Wind - Ein Nürnberger Segel-Selbstversuch

2.8.2016, 12:20 Uhr
Ein Test mit Folgen: Christoph Benesch probierte die Sportart Segeln aus.

© Michael Matejka Ein Test mit Folgen: Christoph Benesch probierte die Sportart Segeln aus.

Dort hinten, sagt Rolf Thoma plötzlich, da kommt wieder was. Ich blinzle auf das Wasser, auf dem sich in grellen Punkten die Sonnenstrahlen spiegeln. Ich sehe: nichts. Dann spür’ ich es — eine kühle Böe verfängt sich im Vorsegel, das sich augenblicklich spannt und am Tau zieht, dass vorher ruhig in meiner Hand lag. Mit einem kräftigen Ruck legt das Segelboot an Tempo zu. Rolf Thoma grinst.

"Fester anziehen", ruft er, und ich zerre wild an diesem Tau. Für einen kurzen Augenblick hebt sich die Bootsseite, auf der ich eben noch gemütlich lümmelte und in der Sonne döste, um Zentimeter aus dem Wasser. Der Wind spielt mit diesem schweren Gefährt, als sei es nur ein loses Blatt. Er ist nur kurz, dieser Moment, aber magisch.

Für einen Augenblick schwerelos

Ich kenne es jetzt, dieses Glücksgefühl, von dem Thoma und zuvor auch Günther Schlegel oben, am Klubheim, erzählt haben und das man erkennen konnte in ihren Augen, als sie im kniehohen Gras zwischen all den Booten, die auf rostigen Anhängern liegen, übers Segeln sprachen.

In diesem einen, wunderbaren Moment auf dem Wasser sehe auch ich mich für einen Augenblick schwerelos, weit nach hinten aus dem Boot gelehnt, die Füße und alles Gottvertrauen in diese Nylon-Schlaufen am Bootsboden gelegt. Ich spüre die kalten Gischttropfen, wie sie mir auf die Haut fliegen, den tosenden Wind, wie er mein T-Shirt flattern lässt, rieche das Salzwasser, sehe die brechenden Atlantikwellen und die Haiflossen, die ums Boot kreisen, höre das Möwengeschrei, höre Rolf Thoma voller Glück und Zufriedenheit gedämpft lachen. Aber es war dann doch nur: eine kleine Böe auf dem Brombachsee.

"So in etwa", sagt Rolf Thoma, als er kurz darauf wieder vergeblich Ausschau hält nach ein wenig Wind, "geht Segeln."

Eine Kunst, um von A nach B zu kommen

Noch hat Christoph Benesch Hilfe im Boot. Nach dem Umstieg auf einen Laser, darf er sich alleine beim Segeln versuchen.

Noch hat Christoph Benesch Hilfe im Boot. Nach dem Umstieg auf einen Laser, darf er sich alleine beim Segeln versuchen. © Michael Matejka

Das ist nett gemeint, doch so ganz stimmt das natürlich nicht. Segeln bedeutet nicht, sich ohne jede Vorerfahrung mit Badehose und Sonnenbrille in ein Boot zu setzen, in einer Hand ein Tau zu halten und den größten Adrenalinstoß beim Gedanken daran zu bekommen, dass man die Sonnencreme im Büro hat liegen lassen. Nein, Segeln — das ist Erfahrung, Leidenschaft, Abenteuerlust, Eroberungsgeist und eine ordentliche Portion Wahnsinn.

17 Jahre, sagt Günther Schlegel vom Yachtclub Noris, braucht man in etwa, um behaupten zu dürfen, dass man Segeln kann. Aber auch dann hat man noch längst nicht ausgelernt. "Segeln", sagt Schlegel, "ist die Kunst, alle äußeren Einflüsse zu erkennen und optimal für sich zu nutzen, um möglichst schnell von A nach B zu kommen." Von diesen drei Dingen beherrsche ich auch am Ende meines Segeltages genau: keine.

Deshalb erkennt Rolf Thoma auch vor diesem einen, kurzen, echten Segelmoment meines Lebens etwas auf dem Wasser, das ich nicht sehen kann. "Du analysierst die Landschaft, etwa, dass der Wald dort hinten ein wenig abfällt", sagt er und zeigt in Richtung Süden. Da kommt der Wind anders herüber geweht, als über einen Hügel. "Als Nächstes kannst du die Segelboote dort vorn sehen, wie sich ihre Segel verhalten. Dann siehst du die dunkle Linie auf dem Wasser. Das ist der Wind."

Im Wandel der Zeit

Ach ja, von Strömung, Wellenhöhe, Wellenrichtung, Temperatur und gefühlt 2000 Spezialbegriffen für alle Täue, Knoten und jeden Zentimeter auf einem Boot mal ganz abgesehen.

Früher, sagt Schlegel, waren all diese Erfahrungen mitentscheidend für das Abschneiden bei Olympischen Spielen. Man konnte alles bis ins feinste Detail justieren — "wer die meiste Zeit hatte, sich mit all dem zu befassen, der hat am Ende meistens gewonnen", sagt Schlegel. So brachte es auch ein 120-Kilo-Segler mit Mitte 70 theoretisch noch zu einer Medaille. "Einerseits schön", sagt Schlegel, "andererseits natürlich auch so dass man sagt: na ja." Besser kann man das nicht formulieren.

Vorgegeben waren früher die maximalen Maße eines Segelbootes — dann durfte jeder frei drauflos konstruieren. Auch Günther Schlegel hat das schon einmal gemacht, vor vielen Jahren. Allerdings nicht bei Olympischen Spielen, sondern im Urlaub mit einem Freund: Zwei Surfbretter haben sie verbunden, eine Art Katamaran gebaut, oben ein Mast mit Segel, sie lagen ganz unten, direkt über dem Wasser. Bis mit einem Schlag die Ruderanlage abriss — und sie schlagartig mit voller Energie Richtung Wasseroberfläche schlugen. "Wir hätten tot sein können", sagt Schlegel und fährt sich mit der Handkante über die Gurgel. Er lacht dazu. Wie gesagt: Wahnsinn gehört auch dazu.

Mit Rolf Thoma sitze ich wenig später in einem 420er, vor Jahren mal eine olympische Bootsklasse. Thoma stellt allerlei ein, justiert den Mast, zieht die Segel auf, ordnet Dutzende Taue, die wie ein Teller Spaghetti auf dem Bootsgrund liegen. Dann legen wir ab — träge zwar, durchaus gemütlich, aber dafür werde ich auch nicht seekrank und muss mich in einen Tennissocken erbrechen, wie nach dem Abitur in einem Speedboat zwischen Mykonos und Paros.

Ich lerne von Rolf Thoma, wie ich das Vorsegel optimal im Wind halte, die Spannung wieder löse oder das Segel wieder festzurre. Später auch noch, wie man ein Boot steuert — enge Kurven schlucken den Schwung der Fahrt, weite funktionieren besser, allerdings kreuze ich damit einmal gefährlich nah die Fahrrinne der Brombachsee-Fähre. Ich kann also an diesem Nachmittag einen Bruchteil des Segelns — solange kein Wind bläst. Ich lerne dafür das Gemütliche am Segeln kennen, oder, wie es Rolf Thoma nennt, „das geduldige Warten“. Ich bezahle diesen wunderbaren Arbeitstag allerdings mit einem Sonnenbrand.

Neuer Trend: Athletisches Segeln

Irgendwann schleppt uns Günther Schlegel mit dem Motorboot zurück in den Hafen. "Ich hab’ noch einen Laser fertig gemacht", sagt er, und ich denke an ein abschließendes, großartiges Piratenspiel mit Laserkanone. Was stattdessen folgt ist etwas, von dem ich in der folgenden Nacht träumen werde. Es ist klein, wackelig und so gar nicht vertrauenerweckend: Der Laser ist eine Einhandjolle, ein Segelboot für eine Person. "Das wird auch in Rio gesegelt", sagt Schlegel stolz.

Schon beim Einsteigen bringe ich den Laser beinahe zum Kentern. Jeder kleinste Windhauch erfasst das Segel und lässt es wild flattern. Das Boot kippt ständig in gefährliche Schieflagen und jagt mir eine Höllenangst ein.

"Der Trend geht auch beim olympischen Segeln hin zu Telegenerem, zu dem, was die Jugend hip findet", sagt Günther Schlegel. Boote müssen am besten übers Wasser fliegen, die Segler durchtrainierte, braungebrannte Sunnyboys sein, die sich todesmutig herauslehnen und am besten mit bloßen Händen Haie erlegen. Auch davon trifft auf mich genau gar nichts zu. Athletisches Segeln, nennt es Schlegel, für mich fühlen sich diese Minuten auf dem Laser an wie auf dem Acheron, der die Welt der Lebenden von der der Unterwelt trennt.

Noch eine Segeltour? Wohl eher nicht

Das Tau in der linken, das Ruder in der rechten Hand, beides fest umklammert, jagt der Laser mit mir kreuz und quer übers Wasser — obwohl noch immer kaum Wind herrscht. "Ja, noch fester ranziehen", ruft Rolf Thoma aus dem Motorboot begeistert herüber — ich habe aber keine Ahnung, geschweige denn die nötige Ruhe, um seinen Anweisungen zu folgen. Nach einer gefühlten Ewigkeit ruft er endlich: "Sollen wir dich ablösen?" Ich klettere erschöpft aufs Motorboot, wobei der Laser wieder beinahe kentert.

Viel später fahre ich den Weg vom Klubheim zurück Richtung Autobahn. Am Yachthafen ergibt sich noch ein letzter, großartiger Blick auf den Brombachsee, dessen Blau an diesem Tag mit dem des Himmels zu verschwimmen scheint. Wie ein paar kleine, weiße Wolken ziehen Segelboote über das Wasser, fast schwerelos, leicht, majestätisch. Vom sicheren Ufer aus ist Segeln immer noch am schönsten anzusehen.

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