Kilometerfresser im und neben dem Becken

13.7.2012, 17:52 Uhr
Kilometerfresser im und neben dem Becken

© Sportfoto Zink

Mal sitzen die Töchter Katrin und Annika im eigenen weißen VW Bus, mal ist es Sohn Lorenz, mal Mischlingshündin Luzie. Über 1700.00 Kilometer hat sie auf diese Weise in den letzten fünf Jahren zurückgelegt – das reicht, um viermal die Erde zu umrunden. „Abgesehen von zwei kleineren Urlauben war garantiert keine private Fahrt darunter“, versichert Sybille Streicher (44). Des Rätsels Lösung: Die Frau ist von „Beruf“ dreifache „Schwimm-Mama.“

Zum Tätigkeitsfeld dieser Branche zählt neben besagtem Fahrdienst auch das Bekleiden zahlreicher „Ehrenämter“, die das Vereinsleben so mit sich bringt. Um eine Großveranstaltung wie die mittelfränkischen Bezirksmeisterschaften am vergangenen Wochenende zu stemmen, bildeten rund 80 „Schwimmeltern“ der Schwimmsport-Vereinigung (SSV) Nürnberg ein sogenanntes Orga-Team. Folgende Arbeiten wurden dabei verteilt: Einlass ins Stadionbad, Ticketverkauf, Orientierung im Bad, Betrieb des Grills bei Sonne und Regen, Kaffeekochen, Kuchenbacken, Brote schmieren, kampfrichtern, Protokolle schreiben und Nachtwache halten.

Voller Körpereinsatz, um in zwei Tagen unglaubliche 247 Wertungsläufe in 38 verschiedenen Wettbewerben durchzuführen und dabei den 304 Aktiven der Jahrgänge 2002 bis 1994 aus 14 Vereinen buchstäblich den Rücken freizuhalten. Lagebesprechung. Die elektronische Zeitnahme am Ende der 50-Meter-Bahn ist defekt. Der Start verzögert sich. Mit Handstopp-Uhren geht’s los. Der erste Wettkampf steht an: 50 Meter Freistil. Im Minutentakt gehen die Altersklassen ins Wasser. Um exakt 10.13 Uhr ist die männliche Jugend D des Jahrgangs 2001 an der Reihe.

Kilometerfresser im und neben dem Becken

Sybille Streicher unterbricht ihr „Pflichtehrenamt“ – die Foto- und Pressearbeit – stellt sich am Beckenrand auf und drückt Sohnemann Lorenz die Daumen. Neben ihr steht Vereinskollegin Katrin Fottner – auch eine „Schwimm-Mama“ – und fiebert mit Joshua. Der Elfjährige ist ein wenig aus der Art geschlagen. Schwimmen war nie ein Thema in der Familie. Doch seit er mit vier Jahren ein Seepferdchen für eine 25-Meter-Bahn erhielt, ist das nasse Element sein Lebenselixier. Und so kutschiert die 33-jährige angehende Eventmanagerin ihren Filius sechsmal in der Woche von Fischbach ins Hallenbad nach Altenfurt zum SSV-Leistungsteam M3. Es lohnt sich, denn Joshua schlägt in Rekordzeit von 35,02 Sekunden an. Am Ende schwimmt er noch zwei Bestzeiten und landet einmal auf dem Treppchen.

Noch schneller ist Lorenz auf der Bahn nebenan. Auch er steigert sich auf 33,42 Sekunden. Danach heißt es durchatmen, Kraft tanken, eine Kleinigkeit essen, denn der Elfjährige hat sich ein schier unfassbares Pensum auferlegt, wie ein Blick auf seinen Wettkampfplan zeigt: 10.29 Uhr: 100 Meter Schmetterling. 11.28 Uhr: 200m Freistil. 14.12 Uhr: 50m Rücken. 15.01 Uhr: 100m Freistil, 15.55 Uhr: 200m Rücken. Und am Sonntag: 9.59 Uhr: 100m Rücken. 10.46 Uhr: 200m Lagen. 13.46 Uhr: 50m Schmetterling. Zwei Siege und fünf zweite Plätze lautet am Ende seine eindrucksvolle Bilanz.

Ein ähnliches Programm absolviert Schwester Katrin. 10.48 Uhr Aufruf für 100 Meter Schmetterling. Einmal mit dem Wasser über das Gesicht, einmal über die Arme und einmal über den Rücken. Nach diesem immer gleichen Ritual ist die 16-Jährige von der Konkurrenz nicht zu schlagen. Für die Top-Team-Schwimmerin des SSV und zweifache deutsche Vizemeisterin ihres Jahrgangs über 50 Meter „Schmett“ ist die „Mittelfränkische“ nur eine Durchgangsstation Dennoch ist sie die überragende Akteurin und holt sieben Titel in sieben Rennen. Doch für so viel Erfolg zahlt sie einen hohen Preis. Katrins Schwimm-Welt beginnt um sechs Uhr morgens, montags gar um fünf. Auftakt einer Woche mit insgesamt rund 23 Stunden Schwimmtraining in sechs Tagen – neben der Schule versteht sich.

Kilometerfresser im und neben dem Becken

Wie schafft frau so etwas? Mama Sybille muss kurz überlegen: „Da wächst man rein.“ Und irgendwann klappt es auch mit dem Gewinnen. Vor allem, wenn man lange genug dabei ist. Wie Marianne Papendieck vom VfL Nürnberg. Die 76-Jährige sichert sich den Titel über 50 Meter Freistil – als einzige Teilnehmerin ihrer Altersklasse. Daneben gibt es noch weitere Sieger: Die Schwimmeltern des TSV Altenfurt, des TSV Katzwang 05, des TSV 1846 Nürnberg und des SV Franken, die seit 2008 die Schwimmsport-Vereinigung (SSV) Nürnberg bilden, Wind und Regen getrotzt und die Großveranstaltung mit viel Einsatz überzeugend organisiert haben.

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