Nürnbergs Mannschaft des Jahres

Vorbilder in einer Zeit der Fragen: (kein) Rugby mit den 46ern

29.12.2021, 23:02 Uhr
Härte, Wucht, ein stets bereitstehender Rettungswagen: Es gab gute Gründe für die 46er, die Winterpause vorzuverlegen.  

© Eduard Weigert, ARC Härte, Wucht, ein stets bereitstehender Rettungswagen: Es gab gute Gründe für die 46er, die Winterpause vorzuverlegen.  

Ein wenig überraschendes Geständnis: Wir mögen Rugby. Es gibt in dieser Sportredaktion tatsächlich kein Mitglied, das nicht irgendwann nach Erlenstegen geschickt worden ist, meist ohne konkreten Auftrag. Wusste ja jeder, dass der nicht nötig war. Und es gab erst recht niemanden, der nicht verändert aus dem Wald zurückgekehrt ist.

Wahrscheinlich ist es der Sport an sich, diese Mischung aus roher Gewalt und besten Umgangsformen, aus Aggressivität und Respekt, aus derbe Explizitem und feiner Ironie. Ein Sport, mit dem es sich auf WG-Feiern wunderbar angeben hat lassen. Ja, sorry, ich komme gerade vom Rugby. Wie, selbst… ja, genau, ich hab selbst . . . Nein, nein, so hart ist das gar nicht, also, wenn man selbst hart genug . . .

So ganz gelogen war das ja noch nicht einmal. Wir haben es tatsächlich ausprobiert und feststellen müssen, dass wir entweder zwanzig Jahre zu spät dran waren oder vielleicht doch nicht hart genug sind für dieses Gedränge, das sich in Sekundenbruchteilschnelle auflöst, wieder zusammenfindet und wieder auflöst. Beim Rugby geht es darum, den Körperkontakt zu vermeiden und zugleich immer wieder zu provozieren. Berührungsängste sollte man da keine haben und Berührungsängste hatten wir nicht. Nie.

Sieben Spiele, sieben Punkte, Platz sieben

Das lag aber nun wirklich an diesem Verein, dem Rugby Football Club Nuremberg, Pardon, den 46ern. Das lag an den Menschen, die man dort treffen durfte. Alexander Michl, der einem immer wieder alles erklärt hat, seelenruhig, witzig und geduldig. Wie viele Punkte gibt es für einen Touchdown, Herr Michl? Ach, richtig, Touchdown heißt es ja gar nicht. Die toughen Frauen, auf die man im Probetraining wörtlich getroffen ist. Der ewige Martin Deinzer. Olaf Will, Spieler, Trainer, Spielertrainer. Deon Myburgh, der Gentleman aus Südafrika. Peter Smutna aus Österreich. Argentinier. Neuseeländer. Rumänen. Georgier. Franken. Wegen des Sports ist man immer wieder gekommen. Wegen der Menschen ist man gerne wieder gekommen. Die Bratwürste waren auch gut. Vom Bier hat man das uns ebenfalls erzählt.

Nun reicht unsere Sympathie aber nicht, um Nürnbergs Mannschaft des Jahres zu werden. Echt nicht. Das mag nicht jedem auffallen, aber wir nehmen den Sport nicht immer ernst, unseren Job aber schon. Sieben Punkte hat der TSV 1846 in der Südstaffel der zweiten Liga geholt - in sieben Spielen. Das reicht für Platz sieben - von acht Teams. Bei allem Wohlwollen: Sportlich gab es keinen Grund, die Leistung des Rugby-Zweitligisten im Jahr 2021 hervorzuheben. Tatsächlich wird die Mannschaft auf dieser Seite gewürdigt, weil sie rechtzeitig beschlossen hat, vorerst gar nicht mehr mitzuspielen.

In der Pandemie hat sich natürlich auch die Sportberichterstattung geändert. Das C-Wort fand sich in nahezu jedem längerem Text wieder. Wirklich jeden Tag haben wir uns Fragen gestellt: Wie wichtig ist Sport überhaupt noch? Wichtiger und unwichtiger denn je? Wie wichtig sind dann wir noch? Nimmt sich der Sport selbst zu wichtig? Oder nehmen nur wir ihn zu wichtig? Ist es angemessen, die Zuschauer auszusperren? Ist das auch für Geimpfte noch verhältnismäßig? Und überhaupt, wenn sich niemand beim Sport ansteckt, warum gibt es die Einschränkungen? Aber stimmt das überhaupt? Und zuletzt: Omikron, muss das jetzt auch noch sein?

Achtung!

Arbeiten, berichten und schreiben durften wir immer. Das war unser Glück. Und natürlich hat es gutgetan, die Menschen auch wieder zu sehen, für die wir berichten und schreiben. Aber jeden Tag große Fotos und Texte über den himmelhochjauchzend, zu Tode betrübten 1. FC Nürnberg, das zu Tode betrübte Kleeblatt, Handball, Eishockey - wenn das Sterben und Leiden auf den Intensivstationen nur immer mal wieder thematisiert wird? Dürfen dennoch auch Sportunternehmen klagen, weil auch da Menschen um ihre Jobs bangen, weil auch da um Existenzen gekämpft wird? Die Fragen werden uns weiterhin begleiten. Danke, Omikron.

Auch bei den 46ern hat man sich diese Fragen gestellt, schon allein, weil sich jeder diese Fragen gestellt hat, immer wieder. Am 19. November ist man dann zu einer vorläufigen Antwort gekommen, die dazu geführt hat, dass die Auszeichnung „Nürnbergs Mannschaft des Jahres“ an die Rugby-Abteilung des TSV 1846 geht, die zunächst einmal aber zu folgendem Eintrag auf Facebook gesorgt hat: „Achtung! Aufgrund der aktuellen Situation (Infektionszahlen/volle Krankenhäuser) haben wir entschieden die verschiedenen Spiele morgen zu verschieben. Es tut weh, doch auch wir tragen Verantwortung für Spieler*Innen und Pflegepersonal. Wir wollen z.B. im schlimmsten Fall keine Verletzten in ein eh schon überlastetes Krankenhaus in Nürnberg oder weiter draußen schicken. Für beide Seiten, Krankenhaus und Spieler*Innen, gerade keine gute Idee. #bettersavethansorry“

Ja, auch andere Mannschaften haben beschlossen, vernünftig zu sein, kein Risiko einzugehen - meist aber auf Anordnung des Ministerpräsidenten oder eines Verbandes. Und, ja, natürlich fällt eine solche Entscheidung bei einem Rugby-Zweitligisten leichter als bei tatsächlichen Profi-Mannschaften. Aber auch bei den 46ern liebt man, was man da macht. Vielleicht sogar noch ein bisschen mehr.

Irgendwann kommen wir wieder

Tief im Wald von Erlenstegen aber hatte man vielleicht doch noch ein bisschen weitergedacht, hat erkannt, dass es jetzt endgültig nicht mehr nur um die eigenen Wünsche und Hobbys geht. Bei den 46ern hatte man erkannt, wen man wirklich schützen müsse: diejenigen, die auf Intensivstationen um ihr Leben kämpfen, ob geimpft oder nicht, oder im Krankenhaus um eine Rückkehr ins Leben, vor allem aber diejenigen, die nicht mehr auf Dienstplan oder die Uhr schauen, weil sie ohnehin ununterbrochen arbeiten, retten und pflegen. Rugby ist fair, aber eben auch gefährlich. Jedes gerissene Band weniger, jede gebrochene Hand weniger hätte geholfen. Es ist aber vor allem das Zeichen an sich, das nicht nur uns beeindruckt hat.

Irgendwann werden wir wieder kommen. Im März soll es auch in Erlenstegen weitergehen. Hoffentlich. Dann werden die Mannschaft des Jahres besuchen, weil wir Rugby mögen, die Menschen dahinter aber noch viel mehr.

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