"Magisch": Köllners Löwen schielen auf den Aufstieg

9.3.2020, 11:24 Uhr
"Fast etwas Magisches": Die Kurve im Stadion an der Grünwalder Straße - der TSV 1860 fühlt sich wieder daheim in Giesing.

© Foto: Hans Böller "Fast etwas Magisches": Die Kurve im Stadion an der Grünwalder Straße - der TSV 1860 fühlt sich wieder daheim in Giesing.

Wenn Sechzig spielt, ist Giesing blau, schon vormittags, es ist die Farbe der Löwen – beim Fußball, die Vereinsfarben des TSV München von 1860 sind Grün und Gold; am Giesinger Grünspitz, wo sich die Fans schon Stunden vor dem Spiel unter den Kastanien auf ein erstes Bier treffen, war es am Samstag vor einer Woche ein beinahe goldener Frühlingstag. Der TSV 1860 hatte gewonnen gegen den Chemnitzer FC, es war "kein normales Fußballspiel, sondern ein Ereignis", wie das Fan-Magazin Die Blaue festhielt. 0:2, 3:2, 3:3 – und das Siegtor in der Nachspielzeit, 4:3, ein wuchtiger Kopfball des gerade eingewechselten Prince Owusu, "Sechzig wunderbar", fasste Die Blaue das Lebensgefühl zusammen.

Aus dem ausverkauften Stadion an der Grünwalder Straße strömte ein lange nicht mehr erlebtes Glücksgefühl durch Giesing, es füllte Ingrids Bierstüberl oder die Kneipe von Tony, der eigentlich Antonio heißt und Portugiese ist, besser: Portugiesinger, wie er sich selbst nennt. Derzeit ist das ganze noch nicht vollends durchgentrifizierte Giesing voller glücklicher (und spätabends ziemlich blauer) Löwen; der Verein, der seit Jahren vor allem über die Streitigkeiten um den Investor Hasan Ismaik und ein anhaltendes Führungschaos auffällt, zeigt auf einmal, was er auch sein kann. Der Stolz von Giesing, Münchens große Liebe.

"FC Bayern light"

"Fast etwas Magisches", sagt Trainer Michael Köllner, habe das über hundert Jahre alte Stadion, das bei den Blauen "das Sechzger" heißt und in das sie zurückkehrten, als mit dem Zwangsabstieg in die Viertklassigkeit 2017 der tiefste Fall der Vereinsgeschichte perfekt war. Für den Anhang bedeutete es dennoch eine Heimkehr, als "FC Bayern light" hatten sie sich selbst ironisch bespöttelt, als 1860 gemeinsam mit den ungeliebten Roten die große Arena in Fröttmaning bezog und dort bald zum Untermieter des Stadtrivalen degradiert wurde. Ismaiks Seifeblasen platzten, 1860 verlor Fußballspiele – und zusehens seine Identität; erst in der Regionalliga begann der Volksverein, wieder zu sich zu finden.

Wer die 2018 in die dritte Liga aufgestiegenen Löwen aus der Nähe erlebt, kommt leicht auf die Idee, dass der TSV 1860 für München sein könnte, was der FC Union für Berlin und der FC St. Pauli für Hamburg sind, die Blauen haben eine gewachsene, kreative und kommerzkritische Anhängerschaft, für die Fußball kein inszeniertes Spektakel, sondern ein Stück Heimat ist. Ihren Platz in der Moderne zu finden, dürfte die größte Herausforderung für die Löwen bleiben, die Wucht der Tradition kann dabei genauso Triebkraft wie Bürde sein – auch wenn Europapokal-Phantasien vorerst ebenfalls bloß (im Moment freudiger) Ausdruck der über Jahrzehnte notgedrungen erlernten Selbstironie sind. Zehn Jahre verbrachte Sechzig in der drittklassigen Bayernliga, schaffte 1994 in einem Zug die Rückkehr in die Bundesliga und stieg nach zehn Jahren Erstklassigkeit 2004 wieder ab.

Erfolgsgeschichte reloaded?

Mit zu viel Demut, das erfuhr Michael Köllner am Stammtisch der legendären Löwen von 1966, kommt ein Trainer von 1860 meistens nicht weit, "nur nicht zu bescheiden sein", das riet ihm Peter Grosser, Kapitän der Mannschaft, die für 1860 den einzigen deutschen Meistertitel gewann. Aber bisher schafft es der ehemalige Klosterschüler aus der Oberpfalz, den Verein im Gleichgewicht zu halten. In nun zwölf Spielen mit Köllner, der die Nachfolge des beliebten, aber von 1860 entnervten Daniel Bierofka antrat, blieb das Team um den immer noch unentbehrlichen Altmeister Sascha Mölders unbesiegt, beim Fußball, sagt Köllner, fühle er sich von allen Seiten bestens unterstützt, auf dem Platz sieht man, was drumherum fehlt, obwohl der jordanische Investor derzeit durch Zurückhaltung auffällt: Gemeinsinn und Struktur.

Das souveräne 3:0 am Samstag beim Drittliga-Schlusslicht Carl Zeiss Jena bedeutete nun den Sprung auf Platz sechs, nur noch zwei Punkte beträgt der Rückstand auf Rang zwei, der den direkten Aufstieg in die zweite Liga bedeuten würde. Ambitionen? Vorerst fehlen noch sechs Punkte, sagt Köllner – zu den 48 Zählern, die es nach der gängigen Rechnung zum Klassenverbleib braucht. Besser werden, weiter hart arbeiten, zusammenhalten: Das ist Köllners Botschaft.

Damit ist er schon einmal ziemlich überraschend aufgestiegen, mit einem ebenso vom Schicksal gebeutelten Traditionsverein. Mit dem 1. FC Nürnberg in die Bundesliga.

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