Neue Zahlen: So verbreitet sind Schmerzmittel im Fußball

11.3.2021, 06:00 Uhr
"Das Tablettennehmen wird laxer gehandhabt": Der Druck im Leistungssport ist für viele so hoch, dass sie regelmäßig Schmerzmittel einwerfen, um mithalten zu können.  

© NNZ "Das Tablettennehmen wird laxer gehandhabt": Der Druck im Leistungssport ist für viele so hoch, dass sie regelmäßig Schmerzmittel einwerfen, um mithalten zu können.  

Durchschnittlich jeder dritte in den vergangenen fünf Jahren auf Doping getestete Profifußballer hat in der Woche vor seiner Kontrolle mindestens ein Schmerzmittel eingenommen. Zu 48 Prozent war es Ibuprofen, gefolgt von Diclofenac (Voltaren) mit 22 Prozent.

Um das herauszufinden, hat die NADA über 8000 sogenannte Dopingkontrollformulare ausgewertet. Es ist die erste derartige Untersuchung von Schmerzmitteln im deutschen Profifußball. Die Daten stammen unter anderem aus dem ersten drei Männerligen, der Frauenbundesliga, aber auch den Junioren-Bundesligen sowie dem DFB-Pokal, wo der Anteil des Schmerzmittelkonsums mit 40 Prozent besonders hoch war. Gleiches gilt für die Frauen – laut der Studie könnten Menstruationsbeschwerden eine Ursache sein. In den Juniorenligen, wo meist Minderjährige kicken, waren es nur 14 Prozent.

Bereits im vergangenen Sommer hatten Correctiv und die ARD-Dopingredaktion eine gemeinsame Recherche über Schmerzmittel und deren Missbrauch im Fußball veröffentlicht. Der Profi Neven Subotić sprach damals davon, "dass Ibuprofen wie Smarties verteilt werden". Aber auch im Amateurbereich würden laut der Recherche mehr als 40 Prozent der Fußballer entsprechende Tabletten nicht nur gegen Schmerzen schlucken, sondern um ihre Leistung und Belastbarkeit zu steigern.

Größeres Problem als Doping

Wie ist es hier in der Region? "Etwas mehr als jeder Zehnte", schätzt Peter Wack, habe schon einmal für wenige Monate Schmerzmittel missbraucht. Langfristig, also über Jahre hinweg, geht er von einem Anteil "deutlich unter fünf Prozent" aus. Er bezieht sich nicht nur auf Fußballer, sondern auf Sportler insgesamt, wobei er den Missbrauch unter Fußballern als überdurchschnittlich einschätzt. Im Vergleich zu Doping sagt er: "Das größere Problem ist der Schmerzmittelmissbrauch!"

Wack ist seit den 1990er Jahren Sportmediziner, er kennt sich also aus mit Schmerzen, Medikamenten dagegen und deren Missbrauch. Bis vor drei Jahren hatte er in Nürnberg eine eigene Praxis. Heute arbeitet er dort als angestellter Arzt. Sowohl Profi- als auch Amateursportler zählen zu seinen Patienten, außerdem ist er als Mannschaftsarzt aktiv. Schmerzmittel findet Wack "zur Akutbehandlung okay", das heißt für bis zu drei Wochen und in abnehmender Dosis. "Aber es hat keinen Sinn, sie dauerhaft zu nehmen. Wenn jemand das so macht, dann ist das Missbrauch."

Der Sportmediziner bezeichnet sich als "sehr restriktiv" im Umgang mit Schmerzmitteln. "Im Mittelpunkt steht für mich der Sportler, und nicht, dass da einer verheizt wird." Auch, weil er die Missbrauchsfolgen nur allzu gut kennt: "Ein bis zwei Mal pro Woche" tauche bei ihm jemand mit einem Magengeschwür, seltener mit einer Magenblutung auf. "Manchmal schicke ich auch jemanden zum Magenspiegeln." Wenigstens mit einem Nierenschaden sei noch niemand vorstellig geworden. Allerdings könnte dies auch mit dem "Ärztehopping" vieler Sportler zu tun haben: "Wenn sie merken, bei mir gibt es das nicht, dann suchen sie sich jemand anderen."

Zwei Trainer erzählen

Zwei Fußballtrainer aus dem Großraum Nürnberg waren bereit, über Schmerzmittel zu sprechen. Ihren Namen wollen sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Beide sind seit den 1990er Jahren im Fußball aktiv, anfangs als Spieler, heute als Trainer.

Der eine, nennen wir ihn Peter Schmelzer, sieht keinen allzu großen Missbrauch: "Ich kenne niemanden, der Schmerzmittel regelmäßig, aus leistungssteigernden Gründen oder in erhöhter Dosis nimmt." Eine Ibuprofen-Tablette bei "kleinen Zipperchen" oder auch, "um vom Kopf her freier zu sein", komme aber vor. Unter Missbrauch versteht er, "wenn es jemand bei jedem Spiel nimmt."

"Missbrauch fängt an, wenn ich es nicht selbst entscheiden kann", sagt hingegen Gerhard Meyer, wie der andere Trainer heißen soll. Damit spielt er auf den Druck an, den Trainer und Vereine aufbauen können: "Komm, jetzt lass dich fit spritzen, wir brauchen dich!" Auch er sei während eines Spiels schon mal mit Cortison "fitgespritzt" worden, "das war danach die Hölle". Seine Tablettenbilanz: Bis zu fünf Ibuprofen und zehn Aspirin pro Jahr – letztere auch, um vor dem Spiel das Blut zu verdünnen.

Heute, als Trainer im Jugend- und Nachwuchsbereich, glaubt Meyer, dass Schmerzmittelmissbrauch vor allem ein Problem der Profis ist: "Im unteren Bereich ist es weniger." Je höher aber die Liga, desto mehr Geld und Leistungsdruck – und damit Missbrauch von Schmerzmitteln. Der Sportmediziner Wack sieht das ähnlich, es sei ein Druck von allen Seiten: Trainer, Vereinsvorstände, Mitspieler, Eltern sowie der eigene Ehrgeiz. Auch er entlastet die niedrigen Ligen: "Die spielen aus Spaß!"

Mehr Bewusstsein?

Zudem seien die Verantwortlichen im Amateurfußball inzwischen sensibilisierter. Trainer Meyer glaubt ebenfalls, dass Spieler heutzutage bewusster über Schmerzmittel nachdenken und mehr auf ihren Körper achten würden – im Gegensatz zu früher: "Damals wusstest du ja nicht mal, was dir gespritzt wurde." Schmelzer hingegen ist überzeugt: "Das Tablettennehmen wird von der aktuellen Jugend laxer gehandhabt", nicht nur beim Sport übrigens.

Einhelliger ist der Wunsch nach mehr Aufklärung, "dass Schmerzmittel keine Smarties sind", wie Wack sagt. Den Trainern werde das bislang "nur am Rande geschult", die Fußballverbände "könnten noch einiges verbessern". Meyer wird konkreter: Vor Saisonbeginn würden Schiedsrichter den Vereinen die neuen Regeln erklären. Auch Ernährungs- und Fitnessexperten seien vielerorts zu Gast. Warum nicht zusätzlich jemanden einladen, der aufklärt: "Was bedeutet es, wenn ich vor jedem Spiel eine Ibuprofen einwerfe?"

Auch die aktuelle NADA-Studie fordert mehr Prävention – und weitere Untersuchungen im Vergleich zu anderen Teamsportarten sowie dem Individualsport. Dass noch vieles im Dunkeln liegt, legen auch die teils sehr unterschiedlichen Einschätzungen in diesem Artikel nahe.

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