Pastorelli Cup als Probelauf für Emma-Louise Heim

16.5.2019, 21:00 Uhr
Pastorelli Cup als Probelauf für Emma-Louise Heim

© Lidia Piechulek

Emma-Louise Heim sitzt auf dem hellgrünen Teppich wie eine Puppe. Sie hat die Beine gerade von sich gestreckt, verzieht unwillig die dunkelroten Lippen. Dann hebt sie den Blick hoch zur Tribüne, zu ihrer Mutter. "Nicht schon wieder", sagen ihre großen geschminkten Augen.

Nicole Heim zieht erschrocken die Luft ein, die Keulen ihrer Tochter sind zerbrochen. Die kleine Kugel am Ende ist abgefallen. "Eine Woche sind die erst alt", sagt die Mutter bestürzt, dann rennt sie zum Verkaufsstand außerhalb der Halle und sorgt für Ersatz.

Die neuen Keulen fühlen sich anders an, ungewohnt leicht. Bei jedem Wurf, jeder Umdrehung, brauchen sie weniger Schwung. Es ist eine Umstellung, mit der Emma nicht gerechnet hat. Der Pastorelli Cup ist für sie und für jede andere deutsche Gymnastin ein Probelauf für die Deutschen Meisterschaften.

Die finden vom 21. bis 23. Juni in derselben Halle statt, im Berufsbildungszentrum am Berliner Platz in Nürnberg. Heim hat die Chance, sich mit internationaler Konkurrenz zu messen. Zum achten Mal kommen Gymnastinnen aus der ganzen Welt zum Pastorelli Cup zusammen.

Es ist eine der wenigen Gelegenheiten dieser Art. In ganz Bayern ist Emma, die in Fürth wohnt, die einzige Gymnastin, die in der Meisterklasse turnt. Nur bei Deutschen Meisterschaften und auf internationalen Wettkämpfen tritt sie gegen andere Gymnastinnen in ihrer Leistungsklasse an. Mit ihren 17 Jahren ist sie außerdem eine der Ältesten im TSV 1846 Nürnberg: Wenn der Schulabschluss ansteht, endet für viele die sportliche Karriere. Emma Heim will beides meistern, Leistungsturnen und Abitur. Im September beginnt für sie die zwölfte Klasse.

Wie einen Wassertropfen

Dreißig Minuten vor Wettkampfbeginn hilft Emmas Mutter ihr beim Einkleiden: In einen Anzug, den sie in stundenlanger Arbeit selbst genäht hat. Hundert Euro und sechs- bis siebentausend Ziersteine stecken in diesen Kaskaden aus dunkel- und hellblauen Stoffstücken und goldenen Kordeln. Vor acht Jahren hat sie mit der Rhythmischen Sportgymnastik beim TV Fürth 1860 angefangen, ist aber schon im ersten Jahr nach Nürnberg gewechselt. Seither näht ihre Mutter für sie. Alle Anzüge sind von ihr geschneidert, der blau-goldene ist erst vor kurzem fertig geworden.

Bei seiner Premiere auf der Wettkampffläche lässt Heim den königsblauen Ball wie einen Wassertropfen über beide Arme gleiten, führt ihn zu den Klängen einer spanischen Ballade in fließenden Bewegungen über ihren Körper. Dann kommt sie in Straucheln, hat schwitzige Hände und verliert den Ball in einer Umdrehung mit erhobenem Bein. Für die Unterbrechung, den Ballverlust und die nicht abgeschlossene Bewegung wird ihr mindestens ein Punkt abgezogen. Als sie von der Fläche geht, ist ihr Blick angespannt. Zufrieden ist sie nicht. Und doch erreicht sie mit der Übung die beste Leistung der Saison. Eine Saison, die bisher von Erkältungen und einer Leistenzerrung geprägt war. Außer den Bayerischen Meisterschaften Mitte März hat Heim seit Dezember an keinem Wettkampf mehr teilgenommen.

Dass sie in der Ballübung 12 Punkte bekommt, mit dem Reifen kurz darauf sogar 13,2 Punkte – das möchte Emma Heim gar nicht wissen. Ihre Betreuerin Beatrix Schenk schweigt, weil es ihr Wunsch ist. "Das Knie war nicht gestreckt", ruft sie stattdessen über die Trainingsfläche, als Emma die letzte ihrer Übungen vorbereitet: Keulen.

Erneut setzt sie zum Sprung an, dreht sich in einer Pirouette um sich selbst und springt in einem halben Spagat in die Luft, das vordere Knie ist dabei angewinkelt. "Schon besser", sagt Schenk. Dann setzt sich Emma zum Dehnen vor einen Kasten, legt einen Fuß auf ihm ab und senkt sich hinab in den Spagat. Zeit für Rituale, dehnen, runterkommen.

Ein Lächeln für die Jury

Emma Heim ist es gewohnt, allein gegen sich selbst anzutreten. Immer den ersten Platz zu machen, bedeutet für sie nicht, sich entspannt zurückzulehnen. Stattdessen ist sie sich selbst die größte Gegnerin. Stets das Maximale aus sich herauszuholen und gegenüber sich selbst ehrlich zu sein: Das ist ihr Ansporn. Sie ist sich selbst die schärfste Kritikerin.

Kurz vor dem Start streift Heim die Finger an einem Mikrofasertuch ab, klopft sich auf Arme und Beine, springt zweimal hoch in die Luft und atmet tief ein. Sie läuft durch zwei Säulen aus Luftballons und weißem Tüll auf die Fläche. Und strahlt mit dem neonpinken Anzug um die Wette, schenkt der Jury ihr Lächeln.

Jazzmusik erklingt, sie lässt die Keulen wirbeln, in ihrem Kopf passiert unglaublich viel und zeitgleich fast nichts. Fast automatisch spult sie die Tanzschritte ab, hebt ihr Bein um 180 Grad in die Luft und wirft die Keulen in die Luft, so wie sie es geübt hat. Es ist ihr egal, wie die Konkurrenz geturnt hat, es zählt nur ihre Leistung.

Vor schwierigen Würfen ermahnt sie sich selbst, weiter nach vorne zu werfen. An anderen Stellen versucht sie, ihre Gedanken wegzuschieben, um sich selbst nicht zu verunsichern. Hunderte Male hat sie diese Choreografie geübt, jeden Wurf einstudiert, jede Umdrehung perfektioniert. Vieles davon setzt sie perfekt um.

Sie ist die letzte Gymnastin im Wettbewerb und erhält besonders lauten Jubel. Von allen, die bereits fertig sind, von allen, die auf die Siegerehrung und auf einen der begehrten Pokale warten. Als sie von der Fläche schreitet, klopft ihr Beatrix Schenk begeistert auf die Schulter. Emma Heim senkt den Blick, sie atmet schwer und fixiert einen unbestimmten Punkt auf dem Teppichboden. Dann stiehlt sich zaghaft ein Lächeln auf ihr Gesicht.

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