Skispringen: Darum stand Neumarkt vor 60 Jahren im Rampenlicht

15.2.2021, 14:09 Uhr
Skispringen: Darum stand Neumarkt vor 60 Jahren im Rampenlicht

© Foto: ASV-Skiabteilung/privat

Der kurze Moment der Schwerelosigkeit und Freiheit, sich unter dem Eindruck der durch chemische Reaktionen im Gehirn erzeugten Hochgefühle entgegen der physikalischen Gesetze wie ein Vogel in die Lüfte zu erheben, hat über die Jahrzehnte nichts an Faszination eingebüßt. Beim Anblick der von der heutigen Weltelite erreichten Dimensionen aber lehnt sich Hans Lutter lieber in den sicheren Sessel zurück. "Ich würde mich nicht trauen, da runterzufahren."

Früher als 14-jähriger Bub der Nachkriegs-Generation, die den Sport als Freizeitvergnügen zumeist außerhalb von Vereinen entdecken musste, wiederum stürzte er sich unbekümmert ins Abenteuer Skispringen, das plötzlich vor der Haustüre in Neumarkt wartete. Der Überlieferung nach vermeintlich im Bierdunst zur Idee gereift, war auf Initiative des aus dem wintersport-begeisterten Erzgebirge stammenden Kunsthändlers Sepp Hanel oberhalb von Höhenberg im Tal eine dem natürlichen Hanggefälle entsprechende Piste in eine Schanze verwandelt worden.

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Der für die stabilisierende Holzverkleidung samt 2,50 m hohem Absprung-Tisch zuständige Zimmerer Hans Mösl mit seinen Söhnen Franz und Leonhard gehörte zu den Pionieren der überschaubaren Szene, die sich unter dem Dach der ASV-Skiabteilung formierte. Die Eröffnung der Anlage zu Neujahr 1957 geriet indes zum Massenspektakel vor über 1000 Köpfen und verlangte den Organisatoren bei milder Witterung im Vorfeld einen Kraftakt ab, da Kiloweise Schnee aus dem Umkreis herbeigekarrt werden musste.

"Du hast die Älteren gesehen und wolltest deinen Mut beweisen", erinnert sich Lutter. Auf herkömmlichen Alpin-Brettern unterwegs und ohne tieferes Hintergrundwissen, dienten einzig die Fernsehauftritte früherer Recken wie Helmut Recknagel oder Georg Thoma als Anhaltspunkt. Mit dem zeitgemäßen Stil nach vorne rudernder Arme und parallelen Skiern schaffte Lutter immerhin 20 Meter und mehr.

Skispringen: Darum stand Neumarkt vor 60 Jahren im Rampenlicht

© Foto: ASV-Skiabteilung/privat

Was er im Vergleich mit den Weiten der Moderne lediglich "Hupfer" nennt, schützte die Amateure jedoch vor blauen Flecken nicht. Die rund 30 Aktiven taten gut daran, dass sie über die Vereinsmitgliedschaft krankenversichert waren. "Stürze gingen meistens glimpflich aus, man ist halt bis in den Anlauf runtergerutscht", konstatiert Hans Lutter, der mit einigen Gefährten schließlich in den Genuss eines Verbands-Lehrgangs im Fichtelgebirge kam und mit sonntäglichen Wettkampfauftritten in ganz Nordbayern von Amberg bis Rothenburg Erfahrungen sammelte.


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Die Euphorie manifestierte sich denn auch im Ausbau der Hanel-Schanze nach Vorbild der alpinen Hochburgen. Fielen bei der Pacht für das dreigeteilte Grundstück aus privater Hand bereits erhebliche Kosten an, investierten die Neumarkter in einen Sprungrichterturm, ließen die Landefläche mit amerikanischem Militärgerät steiler abgraben, verpassten dem Absprung einen Beton-Sockel und verlegten den Anlauf auf ein Holzgerüst. "Das sah hinterher von oben betrachtet waghalsiger aus, als es war. Wir sind kaum weiter gesprungen", berichtet der als Helfer eingespannte Lutter.

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© Foto: ASV-Skiabteilung/privat

Zunächst schien sich der Aufwand auszuzahlen. 1960 feierte das Publikum den ersten Über-30-Meter-Satz und atmete ein Jahr später den Glanz der internationalen Spitzenklasse ein. "Das war die reinste Völkerwanderung", so Lutter. Für eine Gage von 500 Mark trat der ehemalige Deutsche Meister Sepp Hohenleitner aus Partenkirchen an und verbesserte die Rekordmarke auf 34,5 Meter. Doch eine solche Kulisse durfte Stadionsprecher Sepp Plank nie mehr ankündigen.

Die Konkurrenz durch Live-Übertragungen im Fernsehen und der aus Ehrfurcht vor der Schanze resultierende Nachwuchs-Mangel läuteten das Ende der knapp zehnjährigen Sprung-Ära ein. Der Fokus der später von Lutter geleiteten ASV-Sparte richtete sich ab 1965 auf den Skilift in Voggenthal. Von der 1967 endgültig aufgegebenen Schanze im mittlerweile aufgeforsteten Wald, den großartigen Geschichten von ehrenamtlichem Engagement und dem Gefühl der Schwerelosigkeit zeugt nurmehr eine Informationstafel für Wanderer.

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