Udo Lattek: Alter Ostpreuße mit festem Rückgrat

14.1.2010, 00:00 Uhr
Udo Lattek: Alter Ostpreuße mit festem Rückgrat

© Holger Hollemann (dpa)

so hat er sich bezeichnet nach seiner zweiten Amtszeit beim FC Bayern München, mit dem Udo Lattek bis 1987 noch einmal drei Deutsche Meisterschaften hintereinander gewonnen hatte. Die Münchner Profis haben ihm dann zum Abschied einen Wolf aus Plüsch geschenkt: vielleicht aus Ironie, manche hatten Lattek schon abgeschrieben als Auslaufmodell.

Grantler im roten Plüsch-Sesselchen

Jüngere Fußballfreunde kennen den Trainer Udo Lattek nur noch in einem roten Plüsch-Sesselchen. Als Unikum des Fußball-Fernsehstammtisches des Deutschen Sportfernsehens. Dort teilt er aus: manchmal derb, manchmal witzig. Er sitzt immer vorne links in der Ecke, wie der Grantler, den man aus dem Austragsstübchen jeden Sonntag an den Mittagstisch holt. Und der dann sagt, dass früher vieles besser war - früher, als man noch regelmäßig gemeinsam soff, um sich dann zu zerreißen für seinen Job.

«Taktik und alle Systeme hängen zuerst von der Bereitschaft der Spieler ab, sich zu helfen und zu ergänzen«, hat er einmal erklärt, «wenn man das will, spielt Taktik absolut keine Rolle.« Das war Latteks große Stärke. Der examinierte Lehrer für Sport und Englisch, der seine Karriere als Assistent von Bundestrainer Helmut Schön beim Deutschen Fußball-Bund begann, hatte immer ein sicheres Gespür dafür, was mit welcher Mannschaft und auf welche Weise möglich sein würde, und ein enormes Einfühlungsvermögen in Menschen. Ein Praktiker der alten Schule, nach der die Sehnsucht immer wächst, wenn der Fußball den Leuten zu wissenschaftlich, zu kompliziert wird.

Tränen in Barcelona

Als der FC Bayern mit seinem großen Modernisierer Klinsmann im April mit 0:4 in Barcelona unterging, berichtete Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge von dieser Sehnsucht. Er habe, ließ Rummenigge dem zerfallenden Team ausrichten, Lattek im Stadion gesehen - «und unser alter Freund Udo hat geweint«.

Lattek hat den jungen Himmelsstürmer Rummenigge trainiert; er machte – als kaum bekannter Trainer-Neuling - die Bayern der siebziger Jahre mit Franz Beckenbauer, Uli Hoeneß und Gerd Müller zum besten Team der Welt. Unter Lattek, der als Fußballer ein solider Oberligakicker war, gewann Bayern 1974 erstmals den europäischen Meisterpokal, fünf Jahre später war Lattek Uefa-Cup-Sieger mit Borussia Mönchengladbach. Mit dem FC Barcelona, wo er Diego Maradona trainierte, gewann er 1982 den Europapokal der Pokalsieger.

Verzehrendes Leben

Alle drei Europapokale, acht Meistertitel mit Bayern und Gladbach: Aber Lattek bekam nie genug. Als er 1987 mit dem FC Bayern das Landesmeister-Finale gegen den FC Porto verlor, musste er mit der Erinnerung an das Entsetzlichste, was einem Menschen passieren kann, gegen den Schmerz angehen: Keine Fußball-Niederlage, sagte er damals, könne ihn so hart treffen wie der Krebstod seines Sohnes Dirk, der mit 15 Jahren an Leukämie starb. Man sieht Lattek die Spuren eines oft verzehrenden Lebens an: das Gesicht voller Narben, dunkel, tiefe Ringe unter den Augen.

1987 sollte Schluss sein, der Trainer Lattek gab den Sportdirektor beim 1.FC Köln - bis zu einem legendären Saufgelage mit Funktionären von Dynamo Dresden, das seine schleichende Entmachtung nach sich zog. Lattek kuschte nie vor Funktionären, er konnte umso grober reagieren, je verletzter er sich fühlte - vielleicht aus Selbstschutz; Fußball ist ja kein Spielplatz für Sensible. In einem Nachspiel seiner großen Karriere rettete Lattek vor zehn Jahren Borussia Dortmund vor dem Abstieg; für fünf Spiele zeigte der Pragmatiker ein letztes Mal, wie zeitlos die «Mischung aus gesichertem Wissen und dem richtigen Gefühl«, wie er es erklärte, sein kann.

Der alte Ostpreuße - ein Bauernjunge, wie er sich selbst nennt - konnte, mit ungeheurer Disziplin, Tag und Nacht arbeiten. Wer ihn beim Fernsehstammtisch abseits der Kameras kennenlernte, erlebte einen sehr ernsthaften, nachdenklichen und eher reservierten Menschen. Keinen Sprücheklopfer, keinen Kumpeltyp. Am Samstag, wenn die Bundesliga-Rückrunde beginnt, wird «der alte Sack« (Lattek über Lattek) 75. Genug hat er noch nicht. Beim Fernsehen, sagt Udo Lattek, will er noch lange bleiben.