Udo Lattek wurde 80: Ein Leben voller Siege und Schmerzen

16.1.2015, 12:05 Uhr
Udo Lattek wurde 80: Ein Leben voller Siege und Schmerzen

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Man hatte einen gewaltigen Respekt vor Udo Lattek. Wer je zum "Doppelpass" des Deutschen Sportfernsehens geladen war, musste gut vorbereitet sein. Schon wegen Lattek. So kennt ihn die jüngere Generation: als den grimmigen Mann am Fußball-Stammtisch im vorderen roten Sessel. Dort teilte er aus: derb, witzig, geistreich – manchmal wie der Grantler, den man sonntags aus dem Austragsstübchen an den Mittagstisch holt. Und der dann sagt, dass früher vieles besser war – früher, als man noch gemeinsam soff, um sich dann zu zerreißen für seinen Job. Böse konnte er sein. Aggressiv. Und im nächsten Moment sentimental und melancholisch.

Man saß dann, am frühen Sonntagmorgen, neben Udo Lattek am Schminktisch, er trank Weizenbier. Er war ruhig, sehr höflich, interessiert an seinem Gesprächspartner, freundlich, aber angenehm distanziert – man lernte, bevor die Kameras liefen, einen klugen, nachdenklichen Menschen kennen, und man bekam etwas Zeit dafür. Die Visagistin brauchte länger bei Udo Lattek: das Gesicht voller Narben eines verzehrenden Lebens, dunkel, tiefe Ringe unter den Augen, verschlissen.

Steghosen statt Designer-Anzug

Richtig jung, das fiel einem dann ein, sah er eigentlich nie aus. Der alte Ostpreuße — ein Bauernjunge, wie er sich selbst nennt, nach dem Krieg heimatvertrieben — hat vor allem sich selbst nie geschont, er konnte, mit ungeheurer Disziplin, Tag und Nacht arbeiten. Fußball war kein so glamouröser Betrieb wie heute, viele der schönsten Fotos aus einer einzigartigen Karriere sind Schwarzweißbilder, Lattek trägt darauf nicht Designermode wie heute die Kollegen in der Champions League, sondern Trainingsanzüge mit Steghosen.

Aber es gibt keinen erfolgreicheren Trainer als Udo Lattek. Der examinierte Gymnasiallehrer für Sport und Englisch, der seine Karriere als Assistent von Bundestrainer Helmut Schön begann, machte – als Trainer-Neuling — die Bayern der siebziger Jahre um Franz Beckenbauer und Gerd Müller zum besten Team der Welt. Unter Lattek, der als Fußballer ein solider Oberligakicker war, gewann Bayern 1974 erstmals den europäischen Meisterpokal, fünf Jahre später war Lattek Uefa-Cup-Sieger mit Borussia Mönchengladbach. Mit dem FC Barcelona, wo er Diego Maradona trainierte, gewann er 1982 den Europapokal der Pokalsieger. Alle drei Europapokale, acht deutsche Meistertitel mit Bayern und Gladbach: Aber Lattek bekam nie genug.

Udo Lattek wurde 80: Ein Leben voller Siege und Schmerzen

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Wie Hans Albers

Als er 1987 mit dem FC Bayern das Landesmeister-Finale gegen den FC Porto verlor, musste er mit der Erinnerung an das Entsetzlichste, was einem Menschen passieren kann, gegen den Schmerz angehen. Keine Fußball-Niederlage, sagte er damals, könne ihm so zusetzen wie der Krebstod seines Sohnes Dirk, der – vom Vater aufopfernd gepflegt – mit fünfzehn Jahren an Leukämie starb, das war 1981.

Udo Lattek stürzte sich in die Arbeit. Und manchmal in den Alkohol, sein Leben wirkte mitunter beinahe ruinös. Mit Hans Albers hat er sich einmal verglichen, „weil der, wie ich, saufen konnte und hart arbeiten“. Er trank zu viel und stand dazu, er hat sich angreifbar gemacht und dann zurückgebissen. Ein Vorbild wollte der große Udo Lattek nie sein, Haltung bewahrte er immer.

Der alte, graue Wolf — so hat er sich bezeichnet nach seiner zweiten Amtszeit beim FC Bayern, da war er erst Anfang fünfzig. Die Münchner Profis schenkten ihm zum Abschied einen Wolf aus Plüsch: vielleicht aus Ironie, manche hatten Lattek schon abgeschrieben als Auslaufmodell. 1987 sollte Schluss sein mit dem Trainerleben, Lattek gab den Sportdirektor beim 1. FC Köln — bis zu einem legendären Saufgelage mit Funktionären von Dynamo Dresden, das seine schleichende Entmachtung nach sich zog.

Lattek kuschte nie vor Funktionären, er konnte umso grober reagieren, je verletzter er sich fühlte — vielleicht aus Selbstschutz; Fußball ist ja kein Spielplatz für Sensible. Im letzten Nachspiel seiner Trainerkarriere rettete Lattek Borussia Dortmund vor dem Abstieg; für fünf Spiele im Frühjahr 2000 zeigte er ein letztes Mal, wie zeitlos die „Mischung aus gesichertem Wissen und dem richtigen Gefühl“, wie er es erklärte, sein kann.

Das war Udo Latteks große Stärke. Er hatte ein sicheres Gespür dafür, was mit welcher Mannschaft und auf welche Weise möglich sein würde, und ein enormes Einfühlungsvermögen in Menschen. „Taktik und Systeme hängen zuerst von der Bereitschaft der Spieler ab, sich zu helfen und zu ergänzen, wenn man das will, spielt Taktik absolut keine Rolle“, hat er einmal erklärt – als Praktiker der alten Schule, nach der die Sehnsucht immer dann wächst, wenn der Fußball den Leuten zu wissenschaftlich, zu kompliziert wird. Das machte seinen Erfolg beim Fernsehen aus, sechzehn Jahre lang saß er am TV-Stammtisch, bis zum Mai 2011 und noch nach einem ersten Schlaganfall.

Am Freitag wird Udo Lattek achtzig Jahre alt, er lebt, betreut von seiner Frau, in einem Kölner Pflegeheim, der sehr alte, graue Wolf leidet an der Parkinsonschen Krankheit. Es geht ihm nicht gut. „Udo ist ein Kämpfer, er wird weiterkämpfen“, sagte Hildegard Lattek der Bildzeitung, und: „Manchmal schimpft er über irgendwas, manchmal auch nicht.“

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