Junge Gegenbewegung

Trendsetter: Warum deutscher Riesling international boomt

24.7.2023, 15:55 Uhr
Riesling aus Deutschland hat eine internationale Fangemeinde gefunden.

© Christin Klose/dpa-tmn Riesling aus Deutschland hat eine internationale Fangemeinde gefunden.

In diesem Artikel:

Ob Riesling oder Spätburgunder - deutsche Weine genießen heute Weltruf. Dieser Überblick zeigt, welche Weine Sie jetzt probieren sollten und zu welchen Weingütern und Weinregionen eine Reise lohnt.

Mosel: Die Weinberge ziehen sich vor allem entlang der Flüsse im Südwesten mit ihrem milden Klima. Schon die Römer pflanzten Weinreben an der Mosel. Bis heute bringen die Schieferböden der Mittelmosel zuverlässig "die filigransten, feinsten Weine" hervor, schreibt Jens Priewe in seinem Standardwerk "Wein. Die große Schule".

Rhein: Ähnlich berühmt ist der "Rote Hang" am Rhein bei Nierstein mit seinem Sandstein- und Schiefer-Steillagen, der große, trockene Rieslinge hervorbringt.

Mittelhaardt: Spitzenklasse haben auch die Rieslinge aus der Mittelhaardt, der Nordhälfte der Pfalz und von den kalkhaltigen Lösshängen des Rheingaus. Dort tragen die ikonischen Lagen um Schloss Johannisberg schon seit dem Jahr 817 Weinreben.

Kaiserstuhl: Der sonnige Kaiserstuhl mit seinen Vulkan- und Lössböden dagegen ist bekannt für seine hervorragenden Spätburgunder.

Württemberg: Württemberg hat seinen Trollinger, Franken den Silvaner.

Saar: Von der Saar kommen "grandiose Beeren- und Trockenbeerenauslesen" sowie "gigantische Eisweine", wie Priewe schreibt.

Die nördlichsten Anbaugebiete sind derzeit Saale-Unstrut mit seinen alten Weinterrassen und die Rebgärten an der Elbe. Durch den Klimawandel wird Weinbau aber auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein möglich.

Allerdings ist der Raum für derlei Experimente arg begrenzt. In Deutschland dürfe die Rebfläche laut Gesetz pro Jahr nur um 0,3 Prozent ausgeweitet werden, sagt Ernst Büscher, Sprecher des Deutschen Weininstituts. "Das sind gerade mal 300 Hektar." Entsprechend winzig sind die Weinberge in Niedersachsen bisher: 20 Hektar.

  • Der deutsche Wein schlechthin ist der Riesling. Er wächst laut dem Deutschen Weininstitut auf mehr als 23 Prozent der Rebfläche.
  • Dahinter folgen mit jeweils gut 11 Prozent der beliebter werdende Spätburgunder sowie Müller-Thurgau, einst die Nummer eins.
  • Auf jeweils rund 7 Prozent der Rebfläche stehen Dornfelder und Grauburgunder.
Was der Riesling qualitativ für die Weißweine bedeutet, verkörpert der Spätburgunder oder unter den Rotweinen.

Was der Riesling qualitativ für die Weißweine bedeutet, verkörpert der Spätburgunder oder unter den Rotweinen. © Christin Klose/dpa-tmn

Die Nachkriegszeit war in puncto Weinkultur eine finstere Ära. "Ein großer Teil der Weine war dünn, mager, sauer", schreibt Jens Priewe.

Während sich Winzer in Frankreich, Italien und Kalifornien mit Önologie, also dem Keltern und Reifen des Weins, befassten, "herrschte in vielen deutschen Kellern Unkenntnis, Ignoranz, Hemdsärmeligkeit."

Das Geschäft mit dem Massenwein lief trotzdem lange gut. "In den 60ern und 70ern waren vor allem liebliche Weißweine wie die Liebfrauenmilch weltweite Exportschlager", erzählt Ernst Büscher.

Um den großen Weindurst zu löschen, pflanzten die Winzer auch auf Ackerland großflächig Reben. Beschränkungen gab es kaum. "Das Motto war: Viel hilft viel", sagt Büscher. "Es wurde gut gedüngt und viel geerntet."

Die so entstandenen Weine waren "nicht ganz so konzentriert, um es vorsichtig auszudrücken". Thomas Haag, der vom Weinmagazin Falstaff zum Winzer des Jahres 2021 gewählt wurde, drückt es weniger diplomatisch aus: "Manche Jahrgänge aus den 80ern wären heute unverkäuflich."

Wie wurde deutscher Wein wieder zum internationalen Star?

Es dauerte eine Weile, bis deutsche Winzer den Trend hin zu trockenen Weinen und Rotweinen erkannten. Aber Mitte der 1990er war es so weit. Ein wichtiger Grund dafür: der Generationswechsel.

In vielen Weingütern übernahmen junge Winzer das Ruder von ihren Eltern. "Sie sind um die Welt gereist, haben sich mit anderen Winzern ausgetauscht, etwas abgeschaut und ausprobiert", sagt Thomas Haag, Inhaber des Weinguts Schloss Lieser.

"Und sie hatten den Ehrgeiz, an die große Tradition anzuknüpfen." Schließlich gehörten Rieslinge aus dem Rheingau im 19. Jahrhundert zu den teuersten Weinen der Welt. Die Jungwinzer

  • regulierten die Erntemengen,
  • setzten neue Techniken wie die gekühlte Gärung ein und
  • bauten ihre Weine in Holzfässern aus.

"Die Qualität ist auf breiter Basis besser geworden", so Haag.

Und dieser Prozess gehe weiter, sagt Anja Schröder, die in Berlin die Fachhandlung Planet Wein betreibt: "Heute machen die Jungen eine Winzerlehre, studieren dann in der Uni in Geisenheim, machen Praktika rund um die Welt und krempeln dann den Betrieb der Eltern um."

Dazu komme, dass die Winzer mehr als Team arbeiten. "Früher gönnte man dem Nachbarn nichts", sagt Schröder. "Heute sitzen die Jungs bei einer guten Flasche beisammen und philosophieren über die Weinberge."

Welche Rolle spielten die Spitzen-Weingüter beim Neustart?

Natürlich gab es auch in den finsteren Jahren Winzer, die an sauberem Handwerk und hoher Qualität festhielten. Viele waren und sind im Verband Deutscher Prädikatsweingüter organisiert. Der Verband, 1910 als Zusammenschluss von vier Regionalvereinen gegründet, hat seit 25 Jahren immer um die 200 Mitglieder.

Mit ihrem strengen Kodex waren sie Vorreiter der Qualitätswende. VDP-Winzer müssen einen Pflichtenkatalog erfüllen, der jährlich geprüft wird.

So sind nur hochwertige Rebsorten zugelassen, und die maximalen Erträge sind niedriger als gesetzlich vorgeschrieben: 75 Hektoliter pro Hektar, bei Großen Lagen nur 50 Hektoliter.

Damit hätten sie einen 30 bis 40 Prozent niedrigeren Ertrag als andere Winzer, sagt Steffen Christmann, der seit 2007 Präsident des VDP ist. "Für die Qualität ist das entscheidend".

Schon gewusst? Gemäß dem Menge-Güte-Gesetz gilt: Je weniger Trauben am Rebstock hängen, desto konzentrierter sind Zucker, Säure und Phenole, die entscheidend für den Geruch und Geschmack sind. Und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass alle Trauben reif werden.

Guter Wein, schlechter Wein – jeder Weinliebhaber hat so seine eigenen Vorstellungen.

Guter Wein, schlechter Wein – jeder Weinliebhaber hat so seine eigenen Vorstellungen. © Daniel Reinhardt/dpa/dpa-tmn

Tradition: Deutschland ist seit jeher Heimat und Hochburg des Rieslings. Das zeigt ein Dokument aus dem Jahr 1435 - der 13. März wird vom Weininstitut alljährlich zum Anlass genommen, den Geburtstag des beliebtesten deutschen Weins zu feiern. Und Riesling-Fans weltweit feiern mit.

Anbauflächen: Knapp 40 Prozent der weltweiten Riesling-Anbaufläche liegen laut DWI in Deutschland, denn kaum irgendwo findet die Rebe so perfekte Bedingungen.

Terroir: Besonders der Wechsel von warmen Tagen und kühlen Nächten im Herbst verleihe dem Wein seine unverwechselbare Fruchtsäure und Frische, erklärt Ernst Büscher. "Der Riesling reflektiert wie keine andere Rebsorte sein Terroir, also seinen Boden und das Klima", sagt Thomas Haag.

Die Rebstöcke seines Weinguts wachsen auf Schieferböden, "Südlagen, brutal steil, direkt an der Mosel". Diese prägten "eine zarte, feine Struktur mit subtiler Frucht und einem mineralischen Hintergrund".

Auf Buntsandstein dagegen entwickelten sich eher Pfirsichnoten, sagt Ernst Büscher. Und wegen der Säure würden auch die edelsüßen Rieslinge in Deutschland nie pappig süß. "Unsere Beerenauslesen sind unkopierbar."

Hat Deutschland noch mehr Weltklasse-Weine zu bieten?

Als Experten im Jahr 2011 in London 300 Spätburgunder blind verkosteten, landeten sieben deutsche Tropfen unter den Top Ten. Mittlerweile produzieren nur Frankreich und die USA mehr Pinot Noir, wie die Sorte international genannt wird.

Gewinner:

  • Besonders die nördlichen Anbaugebiete wie Sachsen und Saale-Unstrut profitieren derzeit - kämpfen aber auch mit der Trockenheit. "Noch sind wir Gewinner des Klimawandels", sagt Ernst Büscher.

    In den 1980er Jahren waren deutsche Winzer froh, wenn ihre Trauben reif wurden. Manche reicherten den Most gar mit Zucker an. Nun können sie in Ruhe den perfekten Reifegrad abwarten.
  • Besonders Rotweine werden besser. Manche Winzer bauen sogar wärmeliebende Rotweinreben wie Cabernet Sauvignon und Merlot, Tempranillo und Syrah an, um Erfahrungen für die kommenden Jahrzehnte zu sammeln.
Wein braucht viel Sonne und hat es gerne trocken und warm.

Wein braucht viel Sonne und hat es gerne trocken und warm. © Robert Günther/dpa-tmn

Herausforderungen:

Natürlich bringt der Klimawandel viele Probleme mit sich:

  • Hitze
  • Trockenheit
  • mehr Pilzbefall nach Dauerregen

Und weil die Reben früher im Jahr ergrünen, vernichten Spätfröste manchmal erhebliche Teile der Ernte.

Besonders für die deutsche Star-Rebe Riesling dürfte es ungemütlich werden. "Mehr Hitze könnte weniger elegante und präzise Rieslinge bringen", sagt Thomas Haag. "Die Feinheiten könnten verschwinden. Aber ein paar Mini-Stellschrauben haben wir noch."

Mit einer niedrigeren Laubwand versuchen Winzer die Reife zu verzögern. Und mehr Blätter auf der Sonnenseite sollen vor Sonnenbrand schützen, der in manchen Jahren bereits fünf bis zehn Prozent der Ernte koste, wie Haag berichtet. An der Hochschule Geisenheim werden derweil Hunderte Rieslingklone erforscht.

Gut zu wissen: Manche Winzer reagieren bereits heute mit sogenannten Piwis: pilzwiderstandsfähigen Rebsorten (Piwis) wie Cabernet Blanc oder Solaris. Sie würden in Zukunft ein großes Thema, vermutet Anja Schröder.

Schattige Hänge könnten dann begehrter sein als bisherige Premiumlagen in der prallen Sonne, sagt Schröder. Für Spitzenwinzer wie Thomas Haag ist ein Umzug in kühlere Lagen dagegen undenkbar: "Was das Terroir angeht, sind Steillagen das Nonplusultra."

  • "In den letzten Jahren geht der Trend von Rot zu Weiß", sagt Ernst Büscher vom DWI.
  • Besonders Burgundersorten haben stark zugelegt. Ihre Rebfläche hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, heute wachsen sie auf rund einem Drittel der Weinberge.
  • "Im Moment ist der Grauburgunder everybody's darling", sagt die Sommeliére Natalie Lumpp, die regelmäßig im Fernsehen ihr Weinwissen teilt.

Ein Grund dafür: Er hat weniger Säure als der Riesling, den manche nicht vertragen.

  • Selbst der früher buttrige Chardonnay hat sich gemausert.

Schon gewusst? Unter Kennern galt lange das Kürzel ABC - anything but Chardonnay. Zu Deutsch: Alles außer Chardonnay, der vielen zu üppig war.

Aber statt ihn im Barrique-Fass auszubauen, setzen deutschen Winzer nun auf fruchtige, cremige Chardonnays, die keine Lagerung im Fass brauchen.

  • Büscher beobachtet zudem eine Renaissance der Aromasorten wie Muskateller und Gewürztraminer. "Mit ihrem von Natur aus starken Duft und Geschmack erschließen sie sich jungen Weintrinkern schnell. Da hat man gleich einen ganzen Blumenstrauß vor der Nase."

Welche Wein-Sorten sind out?

Bis in die 90er-Jahre war Müller-Thurgau die am meisten angebaute Rebsorte in Deutschland. "Aber heute rümpfen alle die Nase darüber", sagt Natalie Lumpp. Denn der Weißwein gilt als schlicht und wenig spannend.

Das Handwerk des Winzers hat ein naturnahes, romantisch verklärtes Image. Aber "Weinbau industrieller Ausprägung gehört zu den umweltschädlichsten Formen der Landwirtschaft", schreibt Jens Priewe.

Anteil der Bio-Winzer

Seit einigen Jahren krempelt die grüne Welle auch die Weinindustrie um - besonders im Spitzensegment. Rund ein Drittel der DVP-Mitglieder sind mittlerweile Bio-Winzer. Das heißt, sie verzichten auf Herbizide, Fungizide und Insektizide.

Herausforderungen

Die Umstellung dauert drei Jahre und ist für viele Weinbauern eine Herausforderung. Denn Weinreben sind anfällig, besonders für Pilzerkrankungen.

"Die Pflanze gesund durchs Jahr zu bringen, ist schwer", sagt Steffen Christmann, dessen Weingut bereits seit 2004 biozertifiziert ist. Jahre wie 2021 mit Unwettern und Starkregen sind für Biowinzer ein Stresstest. "Im Juli und August herrschten jeden Tag perfekte Bedingungen für Falschen Mehltau", sagt Ernst Büscher.

Und anders als im konventionellen Weinbau haben Bio-Winzer nur vorbeugende Mittel wie Kupfer und Backpulver, die der Regen immer wieder abwäscht. "Dieses Jahr muss ich alle drei Tage spritzen", sagt Christmann. Manche geben in solchen Jahren ihre grüne Strategie auf. "Aber der Trend zu Bio wird trotzdem weitergehen", meint Büscher.

Auch weil die Käufer umdenken. In ihrem Laden verkaufe sie schon heute zu 60 Prozent Bio-Weine, sagt Anja Schröder.

Für Spitzenwinzer sei der zusätzliche Aufwand überschaubar, erklärt VDP-Präsident Christmann. Denn viele pflegten ihre Rebstöcke ohnehin mit viel Handarbeit. Und auf Kunstdünger könnten sie leicht verzichten, da sie ohnehin keine hohen Erträge erzielen wollen.

Gut zu wissen: Manche Bio-Methoden wie Backpulver gegen Echten Mehltau und den Einsatz von Pheromonfallen übernehmen mittlerweile auch viele konventionelle Winzer.

Die Duftstoffe der Fallen betören die Traubenwickler so, dass sich Männchen und Weibchen nicht finden - und sich die Schädlinge so nicht fortpflanzen.

Biologisch-dynamischer Weinbau

Christmann geht noch einen Schritt weiter: Er betreibt biologisch-dynamischen Weinbau.

Seine Arbeiter versprühen Pflanzentees wie Brennnesselsud, vergraben Mist in Kuhhörnern und folgen den Mondphasen. "Der Grundgedanke ist, dass der Rebstock abwehrstark sein soll", sagt Christmann.

Wie sind Bio-Weine beim Kauf zu erkennen?

Bioweine sind am grünen EU-Bio-Siegel zu erkennen.

Strengere Regeln gelten für Winzer, auf deren Weinen folgende Siegel aufgedruckt sind:

  • Ecovin
  • Bioland
  • Naturland
  • Demeter

Gut zu wissen: Kleine Winzer verzichteten allerdings oft auf ein kostspieliges und aufwendig zu beantragendes Siegel, sagt Holger Schwarz, der Inhaber der Weinhandlung Viniculture in Berlin.

Weinkenner brauchen keine Siegel, um guten Wein zu erkennen.

Weinkenner brauchen keine Siegel, um guten Wein zu erkennen. © Christin Klose/dpa-tmn

Im Gegensatz zu anderen Ländern ist der Weintourismus in Deutschland recht bodenständig und unversnobt geblieben.

"Die Deutschen können sich glücklich schätzen, dass sie noch einfach bei Weingütern klingeln", sagt Ernst Büscher vom DWI. "Im Napa Valley in Kalifornien oder in der Toskana kommt man ohne Termin gar nicht rein."

Weinreisen - wo kann ich hin?

  • Die Deutsche Weinstraße in der Pfalz ist die älteste und berühmteste ihrer Art, an ihr reihen sich viele Weingüter entlang.
  • Aber mittlerweile gebe es in fast jedem Anbaugebiet eine Weinstraße, sagt Büscher. "Die Rheingauer Rieslingroute ist mittlerweile auch sehr berühmt, die Badische Weinstraße wurde vor Kurzem verlängert.
  • Wer an der Mosel entlang fährt oder wandert, kommt automatisch an vielen Weingütern vorbei."
  • Viele Weinstraßen sind auch wunderbar mit dem Fahrrad zu bereisen, 2020 wurde sogar eigens ein Badischer Weinradweg ausgeschildert.
  • Da Weinberge bevorzugt an Flüssen angelegt werden, bieten sich auch Bootsreisen an.
  • Oder man bucht gleich eine Wein-Pauschalreise, bei der Urlauber von Weingut zu Weingut chauffiert werden und der Winzer ihnen seinen Weinkeller zeigt.

Tipp: Zusätzlichen Genuss verspricht Wein & Wellness - mit Traubenkernpeeling vorm Dinner.

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