Von der Prager Botschaft nach Franken

15.10.2014, 06:00 Uhr
Von der Prager Botschaft nach Franken

© Foto: Peter Romir

Es gibt Rotkäppchensekt, Vita-Cola und Broiler – so hießen Brathähnchen in der DDR, im Gemeindehaus. Aber auch Bratwürste und Kartoffelsalat. An vier langen Tischreihen sitzen die Menschen aus Ost und West und denken an die Vergangenheit. Dennoch ist das hier keine Ostalgie-Party: „Das schwingt höchstens so ein bisschen mit“, meint Pfarrer Jörn Künne. Er hat mit seinem Kollegen Tom Oglive aus dem mecklenburg-vorpommerischen Pinnow zu diesem Abend eingeladen.

Die Partnerschaft zwischen den beiden Gemeinden besteht bereits seit 1948, war aber während der DDR-Jahre eine recht einseitige Sache: Die Roßtaler schickten regelmäßig Pakete nach drüben. Zu einer engeren Kooperation kam es erst nach der Wende, vor allem als Tom Oglive die Pastorenstelle in Pinnow übernahm.

„Es ist wichtig, den Jugendlichen von heute von der DDR zu erzählen – das ist für die ja alles ferne Geschichte“, meint Oglive, der auch mit den Roßtaler Konfirmanden sprach. „Sie müssen wissen, wie es war, in einer Diktatur aufzuwachsen. Wo man immer bedenken musste, was man sagen oder machen darf, um seine Zukunft nicht zu gefährden.“

Die Wendezeit erlebte Oglive aktiv als Theologiestudent: „Das war damals alles sehr kritisch: Wir beteten, dass es uns nicht ergehen würde, wie den Menschen in Peking. Stasi, Militär und Polizei waren ja alle noch da. Wenn da der Druck der Bürger nur einen Tag nachgelassen hätte, hätte das alles auch schlimm enden können.“

Dass der Mauerfall schließlich friedlich gelang, ist laut Oglive nicht nur das Verdienst von kirchlich und ökologisch engagierten Kreisen gewesen, sondern auch jedes einzelnen „Ausreisewilligen“.Eine davon war Rita Spranger. Im August 1989 ließ sie alles hinter sich, um mit ihrer Familie aus der DDR zu fliehen: „Wir erzählten allen, wir machen Urlaub in Ungarn. Aber heimlich packten wir: die Briefmarkensammlung, die Fotos, die Schulzeugnisse.“ Mitte dreißig waren sie und ihr Mann, als sie mit ihren beiden Kindern in den „Abenteuer-Urlaub“ starteten.

Der führte sie schließlich in den Keller der Botschaft in Ungarn: „Dort lebten wir mehrere Wochen mit vielen anderen Menschen auf engstem Raum. Und obwohl wir alle aus ganz unterschiedlichen Gründen kamen, gab es nie Streit – denn wir hatten alle das gleiche Ziel.“ Die Bundesrepublik versorgte die Menschen mit Essenspaketen: „Aber die Kekse waren so hart, dass wir die Packungen lieber als Hocker benutzten“, erinnert sich Spranger.

An das, was dann geschah, erinnern Filmeinspielungen: Erich Honecker, der beteuert, dass den Sozialismus nichts aufhalten kann, die Ströme der Ausreisewilligen in Prag und Ungarn, schließlich Hans-Dietrich Genschers Rede, die im Jubel untergeht, sobald das Wort „Ausreise“ fällt.Für die Sprangers folgte der Flug nach Westdeutschland: „Es war ein unbeschreibliches Gefühl! Als wir über die Grenze nach Österreich flogen, knallten die Sektkorken.“ Anschließend baute sich die Familie eine neue Heimat in Franken auf. „Es ist toll, sich an so einem Abend noch einmal an all das zu erinnern“, meint Spranger. „Denn vieles wird doch langsam vergessen.“ Umso wichtiger sind solche Gedenkmomente für die friedliche, deutsche Revolution: „Diese Menschen wagten alles, um etwas Neues zu beginnen“, meint Künne.

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