Ausbeutung war einmal? So ist der Umgang mit Azubis heute

5.3.2021, 10:01 Uhr
Mehr als jeder vierte Azubi in Deutschland löst den Vertrag vor Beendigung der Ausbildung. 

© Martin Schutt, dpa Mehr als jeder vierte Azubi in Deutschland löst den Vertrag vor Beendigung der Ausbildung. 

"Was den Gesellen, die Lehrlinge anleiten sollen, fehlt, sind einfachste Grundkenntnisse in Pädagogik, oder einfacher gesagt, der menschliche Umgang mit dem Lehrling": Es sind bittere Worte, die uns ein Leser schreibt. Dessen Enkel macht eine Ausbildung in einem Handwerksberuf.

Kollegen, die Auszubildende anschreien, demütigen, Witze auf ihre Kosten machen. Azubis, die täglich Kaffee kochen, putzen, kopieren müssen. Sind solche Geschichten Einzelfälle? Sind Sie Vergangenheit? Oder ist der ausbeuterische Umgang mit Auszubildenden noch aktuell?


Corona-Krise: Gibt es bald weniger Ausbildungsstellen?


"Es ist tatsächlich ein großes Problem, dass die pädagogischen Kenntnisse im Umgang mit Azubis von Seiten der Ausbildungsbetriebe häufig zu wünschen übriglassen", sagt Denise Kießling, Jugendsekretärin des Deutschen Gewerkschaftsbunds Region Mittelfranken. Jedoch habe sich die Mentalität bereits gebessert: Dass es wichtig ist, die eigenen Azubis gut zu behandeln, sei mehr ins Bewusstsein gerückt. Darüber hinaus gibt es heutzutage eine solide rechtliche Grundlage. Die Pflichten des Ausbilders sind im Berufsbildungsgesetz festgelegt. Denise Kießling betont: "Es war ein harter Kampf, den Gewerkschaften und Interessenvertretungen geführt haben, damit Azubis die Rechte haben, die sie heute haben."

Für jeden Ausbildungsberuf gibt es einen rechtlich bindenden Ausbildungsrahmenplan. Auf dessen Grundlage muss jeder Betrieb einen betrieblichen Ausbildungsplan erstellen, der regelt, in welchem Zeitraum welche Inhalte von wem vermittelt werden. Jedoch liegt mehr als einem Drittel der befragten bayerischen Auszubildenden nach eigenen Angaben kein solcher betrieblicher Ausbildungsplan vor. Das zeigt der Ausbildungsreport Bayern 2019 der DGB-Jugend.

"Das ist höchst problematisch, da diese Azubis gar nicht wissen, ob ihnen vermittelt wird, was sie für den Beruf und die Abschlussprüfung wissen müssen oder ob sie ausbildungsfremde Tätigkeiten ausführen", erklärt Kießling. Ausbildungsfremde Tätigkeiten sind solche, die nicht zur Erreichung des Ausbildungsziels beitragen, wie Kaffee kochen oder das Auto des Chefs waschen. Nach dem Buchstaben des Gesetzes solche ausbildungsfremden Tätigkeiten sogar verboten.

Weiter legt das Gesetz fest, wer ausbilden darf, nämlich nur, wer "persönlich und fachlich geeignet ist". Zu diesem Zweck beinhaltet der Ausbilder-Schein auch berufs- und arbeitspädagogische Teile. Bei über zehn Prozent der befragten bayerischen Azubis sind die Ausbilder allerdings selten bis nie präsent, heißt es im Ausbildungsreport des DGB. Die Lehrlinge sind dann auf die Hilfe eventuell nicht qualifizierter Mitarbeiter angewiesen oder auf sich selbst gestellt.

Konflikte als Kündigungsgrund?

Dabei ist eine gute Behandlung durch den Ausbilder ausschlaggebend für die Zufriedenheit mit der Ausbildung. Ein Großteil der bayerischen Azubis (84,2 Prozent), die sich durch ihren Ausbilder korrekt behandelt fühlten, war auch mit ihrer Ausbildung zufrieden. Von den Azubis, die sich nicht korrekt behandelt fühlten, war dagegen nur eine Minderheit (20,6 Prozent) zufrieden. Dieser Zusammenhang schlägt sich auch in Kündigungen nieder: Mehr als jeder vierte Azubi in Deutschland löst den Vertrag vor Beendigung der Ausbildung. Etwa die Hälfte der Befragten nennt Konflikte als Kündigungsgrund. Das zeigt der Berufsbildungsbericht 2020 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.

Ich bin Azubi in einer Konfliktsituation – was kann ich tun?

Denise Kießling vom DGB empfiehlt den Azubis, ihren Ausbildungsrahmenplan zu kennen und ein Berichtsheft zu führen. "Die Azubis sollten das Berichtsheft vor allem für sich selbst führen, als Nachweis, und nicht nur für den Betrieb." Wenn Lehrlinge auch Konflikte dokumentieren, haben sie etwas in der Hand, um ihre Aussagen belegen zu können.

Im Falle eines Konflikts im Betrieb sollten die Jugendlichen zuerst das Gespräch mit ihrem Ausbilder oder Vorgesetzten suchen, empfehlen Experten aus Gewerkschaftsverband und Kammern. Sollte das den Konflikt nicht lösen, können sich die Azubis an Interessenvertretungen, wie die DGB-Jugend wenden.

Ein speziell geschulter Bildungsberater der Industrie- und Handelskammer kann ebenfalls als Mediator zwischen Betrieb und Azubi herangezogen werden, rät Stefan Kastner, Leiter des Bereichs Berufsbildung der IHK Mittelfranken. Auch die Handwerkskammer bietet solche Beratungs- und Mediationsgespräche an. Ziel sei es stets, den Konflikt zu lösen und nicht "einer Partei recht zu geben", erklärt Matthias Braun, der den Bereich Berufsbildung bei der HWK Mittelfranken leitet. Die beiden Vertragspartner sollen wieder zueinander finden. Im besten Fall kann die Ausbildung dann ohne Probleme fortgesetzt werden.

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