Ein strahlender Aufstieg

7.11.2011, 21:00 Uhr
Ein strahlender Aufstieg

© Siemens

Alles beginnt in einer kleinen, etwas düsteren Werkstatt am Schlossplatz 3. Der 23-jährige Feinmechaniker Erwin Moritz Reiniger hat die Räume angemietet, um in Erlangen als Jungunternehmer mit Reparaturen und dem Verkauf von Thermometern, Telefonen oder auch Brillen sein Geld zu verdienen. Ein anfangs mühseliges Geschäft. Und wohl keiner ahnt damals, welches Weltunternehmen sich nach Wendungen und Rückschlägen aus dem kleinen Betrieb entwickeln würde.

Reiniger sollte zwar in die Annalen als Gründungsvater dieses Konzerns eingehen, dem die Menschheit so nützliche Erfindungen wie den Computertomographen und Ultraschalluntersuchungen zu verdanken hat. Am Ende war er aber nur kurzer Wegbegleiter.

Zur Keimzelle vereint

Reiniger unterhält Geschäftsbeziehungen zu zwei Feinmechaniker-Kollegen aus Stuttgart, zu Karl Schall und Max Gebbert. Und alle drei verstehen sich offenbar so gut, dass sie vor genau 125 Jahren gemeinsam die „Vereinigte Physikalisch-medizinischen Werkstätten Reiniger, Gebbert & Schall o.H.G.“ (RGS) aus der Taufe heben – die unternehmerische Keimzelle des heutigen Siemensbereichs.

Das junge Unternehmen wächst, ernährt aber wohl auf lange Sicht keine drei Miteigentümer und deren Familien. Zuerst steigt Schall aus, geht nach England und verschafft dort der RGS hervorragende Absatzkanäle auf der Insel und zu den Kolonien. Später lässt sich auch Reiniger auszahlen, macht sich 1895 zum zweiten Mal selbständig, investiert in eine Glühlampenfabrik – und verspekuliert sich. Würde man nur an ihm die Firmengeschichte festmachen, dann wäre sie jetzt zu Ende.

Doch es bleibt ja noch Max Gebbert – „ein Unternehmer aus bestem Guss“, wie Doris-Maria Vittinghoff herausstellt. Sie leitet das Erlanger Firmenarchiv von Siemens Healthcare, das heute rund 700 Exponate und 600 Regalmeter Akten umfasst und im nächsten Jahr in neue Räume umziehen wird.

Seiner Zeit weit voraus

Fast mit einem Hauch von Bewunderung schildert die akribische Historikerin Gebbert als einen Mann, der seiner Zeit, die noch kein Arbeitsrecht kennt, weit voraus ist: Er definiert für seine Beschäftigten eine feste Arbeitszeit, führt eine Art Betriebsratsgremium und eine Erfolgsprämie ein.

Gebberts Sternstunde kommt, als im nahen Würzburg ein gewisser Wilhelm Conrad Röntgen 1896 die nach ihm benannten unsichtbaren Strahlen entdeckt. Gebbert erkennt sofort, was dies für die Medizin und für seine eigene Firma bedeuten wird. Röntgen selbst will kein Geschäft mit seiner Entdeckung machen, lässt sein Verfahren nicht einmal patentieren. Und so nützt Gebbert seine Chance, konzentriert die Produktion auf Röntgenprodukte und stellt sein Unternehmen international auf.

Doch das Glück bleibt ihm nicht hold. 1907 stirbt Gebbert mit 51 Jahren – ein turbulente, schwierige Zeit für den aufstrebende Erlanger Betrieb beginnt. Die RGS wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, gründet neue Firmen, geht Beteiligungen ein – und kommt fast zu Fall. Managementfehler stürzen das Unternehmen tief in die Schuldenkrise. 1923 ist die Kreditlast auf über sechs Mio. Goldmark angewachsen, verzinst mit 24 Prozent – fast griechische Verhältnisse.

Nur noch ein „weißer Ritter“, ein potenter Investor kann die Firma retten. Die Erlanger lassen ihren Blick weit schweifen und werden schließlich in Berlin fündig. Da gibt es das Großunternehmen Siemens&Halske, das bereits eine eigene Röntgenproduktion unterhält.

Ein strahlender Aufstieg

© Siemens



Die Verhandlungen ziehen sich hin, letztendlich überzeugt die Qualität der Produkte und der vorbildliche Vertrieb. Siemens&Halske übernimmt die Erlanger und verlagert sogar die eigene Röntgenabteilung nebst Personal in die Hugenottenstadt „Für die Berliner war es eine Strafversetzung in die fränkische Diaspora und die Franken hatten Angst um ihre Arbeitsplätze“, beschreibt Archivleiterin Vittinghoff die damalige Situation – keine einfache Geburt. Nach weiterer Fusion entstehen 1932 die Siemens-Reiniger-Werke AG (SRW) mit offiziellem Sitz in Berlin und Produktion unter anderem in Erlangen.

Dann kommt der Zweite Weltkrieg. Die Berliner Büros werden zerstört, zähneknirschend stimmt das Management 1945 dem Umzug des Unternehmens nach Erlangen um. Der Rest der Geschichte ist nicht weniger spannend und reich an Höhepunkten, lässt sich aber schnell erzählen: 1966 werden die Siemens-Reiniger-Werke in die Siemens AG überführt. 1969 stellt sich der Konzern neu auf, es entsteht der Bereich Siemens Medizintechnik, 2001 wird der in Medical Solutions (Med) umbenannt, seit 2008 ist er als „Siemens Healthcare“ einer der drei – seit diesem Jahr vier – tragenden Säulen des Konzerns.

Stets war Erlangen Dreh- und Angelpunkt der Medizinsparte – nur einmal elementar gefährdet, als der Standort Ende der 90-er Jahre rote Zahlen schrieb und in seiner Existenz unter dem Siemensdach gefährdet war. In einer wohl beispiellosen Anstrengung von Management, Beschäftigten, Gewerkschaften und Stadtspitze gelang es, nach schmerzhaften Einschitten bei der Belegschaft den Standort zu halten und quasi im Jahr 2000 in einer neuen Fabrik an neuem Standort fest zu zementieren – ob für alle Zeiten kann heutzutage allerdings niemand garantieren.

Verwandte Themen


Keine Kommentare