Elektromobilität wird bei Kfz-Zulieferern Opfer fordern

30.1.2017, 11:58 Uhr
Elektromobilität wird bei Kfz-Zulieferern Opfer fordern

© F.: Stefan Hippel

"Massive Marktbereinigung in den nächsten fünf bis acht Jahren" (Institut für Automobilwirtschaft), "disruptive technologische Trends sorgen für hohe Unsicherheit" (Roland Berger), "in den nächsten Jahren dürften Zehntausende Arbeitsplätze wegfallen" (Ernst & Young): Als Kfz-Zulieferer kann man das Gruseln kriegen, blättert man in den Studien, die dieser Tage die Zukunft der eigenen Branche vorhersagen. Und der ärgste Unruhestifter ist immer derselbe: der Abschied vom Verbrennungsmotor und die elektromobile Ära danach.

Nun ist das mit Studien immer so eine Sache. Heftige Umwälzungen wurden und werden der Wirtschaftswelt regelmäßig vorhergesagt. Denn bliebe alles wie es ist: Was hätten die Berater dann zu beraten? Und trotzdem: Selbst wenn nur die Hälfte der Vorhersagen einträfe, würde es ungemütlich. "Die Autoindustrie wird sich in den nächsten fünf Jahren stärker verändern als in den 50 Jahren zuvor", glaubt denn beispielsweise auch Mary Barra. Keine Beraterin, sondern als GM-Chefin am Steuer des drittgrößten Autobauers der Welt (Opel, Chevrolet).

Wie brutal der Wandel für die Kfz-Zulieferer in der Region wird, lässt sich indes seriös pauschal nicht sagen. Der Einzelfall macht’s. Solange beim Ausparken Pfosten gefühlt aus dem Nichts auftauchen, werden Stoßstangen mit Teilen von Plastic Omnium aus Weißenburg gefragt sein - Verbrennungsmotor hin, Elektromotor her. Auch liegt auf der Hand, dass ein Unternehmen wie die Erlanger Elektrobit, die Software für Fahrzeuge entwickelt, weniger Probleme bekommen wird als das Bosch-Werk in Nürnberg, das Pumpen für Direkteinspritzer fertigt.

"Wir sind ein Benzinwerk"

"Wir sind ein reines Benzinwerk. Das ist natürlich nicht die ideale Voraussetzung", sagt Ludwig Neusinger, vor Ort Bosch-Betriebsratschef. Standort-Leiter Joachim Pietzcker aber versichert, dass er deshalb noch lange nicht gedenke, an der Trauerrede zur Werksschließung zu feilen. Zum Ersten, weil der Verbrennungsmotor nicht von heute auf morgen abgewürgt werde. Tatsächlich gehen die meisten Prognosen davon aus, dass das Elektroauto nicht vor 2025 zum Massenprodukt wird und auch 2030 noch ein Großteil der Neuwagen ein Diesel oder Benziner ist.

Zum Zweiten, weil sie im Nürnberger Werk bereits begonnen haben, neue Kompetenzen aufzubauen. So haben die Franken gerade einen autonomen Bodenroller für die interne Werkslogistik entwickelt. "Es geht darum zu zeigen, dass wir hier mehr können als Verbrennungsmotor, dass wir kreativ und flexibel sind", erklärt Pietzcker. Das sei in der Bosch-Zentrale auch durchaus schon aufgefallen. Noch im zweiten Quartal könnte Nürnberg den Zuschlag für neue, "elektroautofeste" Produkte erhalten. Betriebsrat Neusinger steht voll dahinter: "Wir müssen mit der Zeit gehen. Am Elektroauto kommt die Welt nicht vorbei."

Der Mut zum Neu- und Querdenken, für Ferdinand Dudenhöffer, Direktor des Car-Instituts der Uni Duisburg-Essen, ist er existenziell. Nur Bestehendes zu optimieren, das reiche nicht angesichts der Zeitenwende, an der die Branche stehe. Mangelnde Investitionskraft, autoritäre Kultur und wenig Neigung, sich mit neuen Konzepten auseinanderzusetzen, seien der sicherste Weg, zu den Verlierern zu gehören.

Zuerst wird's hybrid

Alle Antennen draußen sind auch bei Continental und Schaeffler, das an Conti 46 Prozent hält. "Ohne Zweifel, in einem E-Auto fallen ganz wesentliche Schaeffler-Produkte weg", sagt Schaeffler-Chef Klaus Rosenfeld, "Aber das E-Auto kommt, und Schaeffler fällt um: So wird es auch nicht sein." Zumal er glaube, - gedeckt von den meisten Studien -, dass als Zwischenschritt zur reinen E-Mobilität als Erstes Hybridfahrzeuge kräftig nachgefragt werden. "Das vergrößert den Markt für uns zunächst sogar."

500 Millionen Euro hat Schaeffler bereits in Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet Mechatronik, Hybrid und E-Mobilität gesteckt. Eine weitere halbe Milliarde soll bis 2020 hinzukommen. "Wir werden sicher kein Softwarehersteller werden", so der Schaeffler-Chef. Aber damit umgehen, das müsse der Familienkonzern können. Nicht zufällig habe man im Oktober eine Partnerschaft mit IBM geschlossen.

Bei Conti läuft im Werk Nürnberg die Zukunft seit Kurzem bereits vom Band, so hoffen sie: der weltweit erste Hybridantrieb, der mit einer Spannung von 48-Volt arbeitet. "Für uns beginnt damit ein neues Mobilitätszeitalter", ist Werkleiter Rainer Pühl stolz. 500 Mitarbeiter beschäftigen sich am Standort nur mit dem Thema Elektrifizierung. "Für reine Elektroautos bauen wir noch keine Motoren. Aber das Know-how hätten wir." Wichtig sei, das richtig Timing zu haben, wenn der Markt bereit ist.

Wie viele Jobs in der Region an der Autoindustrie exakt hängen, dazu gibt es überraschenderweise keine eindeutigen Zahlen. Je nach Erhebung - gehört ein Kunststoffgießer nun dazu oder nicht? - reichen die Schätzungen von 15.000 bis über 40.000, so die Industrie- und Handelskammer (IHK). Sicher ist, dass der Großraum ein Zentrum der deutschen Zuliefererbranche ist und "natürlich noch zu einem hohen Anteil vom Verbrennungsmotor lebt", erklärt IHK-Präsident Dirk von Vopelius. "Aber man ist durchaus alert und weiß, dass sich die Welt verändert."

Tatsächlich scheint einigen das Elektroauto nicht schnell genug angeschnurrt kommen zu können. "Wir sehen das sehr positiv", sagt Leoni-Chef Dieter Bellé. Auf zehn Prozent mehr Umsatz mit Kabeln spekulieren die Nürnberger beim Elektromotor im Vergleich zum Verbrenner. "Kritisch allerdings ist, dass wir zurzeit sehr viel Geld für die Entwicklung ausgeben müssen, am Markt die Stückzahlen aber noch nicht da sind."

25 Millionen Euro Umsatz machen die Kabel-Könige zurzeit mit Hybrid- und Elektroautos. Gemessen am Gesamtumsatz von 4,5 Milliarden sei das "noch im homöopathischen Bereich", erklärt Bellé. Doch dass es die Autobauer dieses Mal ernst meinen, daran zweifelt er nicht. Die Anfragen und Aufträge, die man in den vergangenen Monaten erhalten habe, seien eindeutig.

Gelassen bis heiter verfolgt man die Entwicklung auch bei ZF in Auerbach. Von hier aus lenkt der Konzern das Geschäftsfeld "Elektronische Systeme" - und das gehört nicht von ungefähr zur nagelneuen ZF-Division "E-Mobilität". "Wir haben auch ein paar Produkte, die eng am Verbrenner hängen", sagt Standort-Sprecher Michael Lautenschläger. Aber kräftig ausbauen werde man in Zukunft den Bereich Leistungselektronik. Betriebsratschefin Sonja Hahn hört’s mit Freuden: Auf der Fahrt der Branche Richtung Elektromobilität sei Auerbach "aktiv mit dabei".

Einige wird es erwischen

Also alles gut? Einige Zulieferer der Region haben bereits die richtigen Produkte, die anderen entwickeln halt flugs das nötige Wissen - und dann klappt das schon mit der E-Mobilität? Da treten die Unternehmen dann verbal doch lieber auf die Bremse. "Es ist schon gewaltig, was da für die Branche an Veränderungen ansteht", macht sich Leoni-Chef Bellé keine Illusionen. "Es wird aus meiner Sicht eine ganze Reihe von Zulieferern geben, die echte Probleme bekommen", glaubt auch Schaeffler-Chef Rosenfeld.

Eine berechtigte Sorge, unterstreicht Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM): "Den Wandel werden definitiv nicht alle Zulieferer überleben." Die Aufgabe zu erkennen, sei eine Sache. Neue Kompetenzen aufzubauen, die eines Tages die Zukunft des Unternehmens sichern, sei aber wie eine Operation am offenen Herzen. "Denn parallel muss das Alltagsgeschäft weiterlaufen. Mit E-Mobilität verdient heute noch keiner Geld."

Eine Option könne auch sein, in anderen Branchen nach neuen Kunden zu suchen. Brauchen Autos keine Abgassysteme mehr, dann vielleicht aber die Schifffahrtsindustrie? "Es ist ein mühsames Ausprobieren", erklärt Bratzel. "Allerdings: Den Kopf in den Sand zu stecken und es erst gar nicht zu versuchen, das ist ja auch kein Weg."

Verwandte Themen


2 Kommentare