Ist die Handschrift ein Relikt vergangener Zeit?

23.1.2019, 06:54 Uhr
Die Hälfte der Jungs und ein Drittel der Mädchen haben Probleme, wenn sie mit der Hand schreiben.

© dpa Die Hälfte der Jungs und ein Drittel der Mädchen haben Probleme, wenn sie mit der Hand schreiben.

In Nürnberg ist die Zahl der Handschrift-Verfechter traditionell groß. Immerhin haben in und um die Frankenmetropole mit Staedtler, Faber-Castell und Schwan-Stabilo gleich drei große Schreibwarenhersteller ihren Sitz. Zusammen beschäftigen sie über 15.000 Mitarbeiter und erzielen über 1,6 Mrd. Euro Umsatz. Mit dem heutigen Internationalen Tag der Handschrift wollen Initiativen und Unternehmen das Handgeschriebene in den Vordergrund stellen. Doch warum sollten wir in Zeiten von Smartphone, Tablet und PC noch mit der Hand schreiben? 

Für viele Menschen gilt längst die Formel: Je länger die Schul- oder Unizeit zurückliegt, desto eingerosteter ist die Handschrift. Und warum sollte es auch anders sein? In einer Forsa-Studie aus dem Jahr 2013 waren sich 71 Prozent der Befragten sicher, dass der handgeschriebene Brief keine Zukunft mehr hat. Heute steht fest: E-Mail, SMS und WhatsApp haben ihn schon ein gutes Stück weit verdrängt. Und auf der Arbeit? Steht der Computer. Einkaufszettel und Notizen? Dafür gibt es das Handy.

Schüler gehen - vermutlich nicht ganz uneigennützig - noch einen Schritt weiter und fragen: Müssen wir dann überhaupt noch schreiben lernen? Laut einer Umfrage unter Lehrern interessieren sich fast 70 Prozent der Jugendlichen an weiterführenden Schulen nicht mehr für Handschrift. Das Argument: Wofür gibt es denn Geräte zum Tippen?

Darum gibt es an Finnlands Schulen keine Handschrift mehr

Eine bestechende Logik - findet zumindest Pisa-Vorreiter Finnland. Dort hat man 2016 die Handschrift aus den Schulen verbannt. Mit der Hand zu schreiben sei für Kinder so anstrengend, dass es zu Schreibblockaden führen könne, erklärte Bildungsministerin Minna Hermanen dazu. In Finnland ist nun das Schreiben am PC neues Bildungsziel. Und Untersuchungen geben ihr offenbar recht: Laut einer Umfrage des Deutschen Lehrerverbandes haben die Hälfte der Jungs und ein Drittel der Mädchen Probleme, mit der Hand zu schreiben.


Schwan-Stabilo: Franken glauben an die Zukunft des Stifts


Deshalb auf das Schreiben mit der Hand zu verzichten, sei falsch, findet Ute Andresen, Vorsitzende der Allianz für die Handschrift. Sie will das Tippen nicht abschaffen, ihm aber nicht alleine das Feld überlassen. Fließend Schreibschrift zu schreiben sei etwa "elementar, um die Rechtschreibung zu erlernen".

Auch wer Zusammenhänge erfassen und seine Gedanken sortieren will, sollte Handschrift benutzen: "Das Gehirn kann sich Dinge besser merken, wenn es mit den vielfältigen Bewegungen der schreibenden Hand verbunden ist, nicht nur mit gleichförmigen Tippbewegungen", erklärt Andresen. Das bestätigen auch wissenschaftliche Studien. "Es ist überraschend, welche kreativen Gedanken wir mit der Handschrift in uns entdecken können", so die Pädagogin. Nicht ohne Grund würden Schriftsteller wichtige Passagen und sogar ganze Bücher mit der Hand schreiben.

 

Doch warum sollten alle, die nicht gerade einen Roman verfassen, das Schreiben mit der Hand nicht sein lassen und gleich mit dem Tippen anfangen? Das sei in etwa so sinnvoll wie zu fragen: "Warum soll ich Klavier spielen lernen, wenn ich später doch CDs höre?", entgegnet Andresen.

Dass die Handschrift durch Smartphones und Tablets überflüssig würde, sieht Andresen nicht – im Gegenteil: "Sie gewinnt wieder an Bedeutung. Stift und Papier sind doch viel billiger und überall verfügbar", argumentiert sie. "Außerdem kann ein Bleistift nicht abstürzen und Handschriftliches kann man auch nicht hacken." Tatsächlich würden Firmen wichtige Dokumente und Protokolle wieder per Hand schreiben lassen, da "wertvolle Informationen nur so geschützt werden können", erklärt die Pädagogin.

Und was sollten wir auch mit der Hand anstellen, wenn sie nicht mehr schreiben darf? "Wenn die Hand nicht sinnvoll beschäftigt ist, verdummt sie sozusagen", sagt Andresen. "Wir brauchen das Schreiben, um unsere psychomotorischen und geistigen Möglichkeiten zu entwickeln und zu bewahren und uns lebenslang als tätig lernende Menschen zu erfahren."

Ist Schreiben nur mit den Gedanken bald möglich?

Wenn es nach dem Internet-Riesen Facebook geht, schaffen wir das Lernen und Entwickeln in Zukunft vielleicht ganz ohne zu schreiben oder zu tippen. Das US-Unternehmen forscht daran, dass Texte mit Hilfe von Gedanken notiert werden können. Informationen aus dem Sprachzentrum des Gehirns sollen dann direkt an das Smartphone geschickt werden. 60 hochqualifizierte Spezialisten forschen derzeit an dieser bahnbrechenden Technologie. Im Silicon Valley ist man optimistisch: Schon in wenigen Jahren, so der Plan, könnten so bereits 100 Wörter pro Minute gescannt werden – ganz ohne zu sprechen, geschweige denn zu schreiben. 

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