Kapitel AEG abgehakt

8.2.2012, 12:00 Uhr
Kapitel AEG abgehakt

© Karlheinz Daut

Das Bewusstsein für soziales Unrecht ist geblieben: Wenn es um unfaire Bezahlung von Werkvertragsmitarbeitern, Hartz-IV-Empfänger und andere Kümmerexistenzen geht, erhält diese Zeitung manchmal Leserpost, unterzeichnet mit „ein Ex-AEGler“.

Kapitel AEG abgehakt

Roland Weiß gehört nicht zu diesen Schreibern. Obwohl der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende doch in der vordersten Reihe gekämpft hatte um das Werk in Nürnberg-Muggenhof. Seite an Seite mit Betriebsratschef Harald Dix.

Die Fürther Straße meidet Weiß allerdings heute noch. Dort steht das Electrolux-Haus. Durch das Schaufenster kann man in den Showroom blicken, in dem alle Marken des Konzerns in schöner Pracht ausgestellt sind. 530 Angestellte arbeiten dort noch, nur produziert wird nicht mehr. Wenn er darauf blicke, befalle ihn unwillkürlich „ein Unbehagen, eine Abneigung, wie eingebrannt“, meint der 52-Jährige.

Das Datum kommt wie aus der Pistole geschossen: Am 12. April 1978 begann der gelernte Landmaschinenmechaniker am Band bei AEG, genau wie sein Vater. Denn sein Ausbildungsbetrieb übernahm die Lehrlinge nicht. Später wurde er Gabelstaplerfahrer, danach arbeitete in der Geschirrspülerentwicklung. Bis er zum freigestellten Betriebsrat gewählt wurde. „Dann habe ich nur noch Kaffee getrunken“, bemerkt er selbstironisch. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie, SPD und Gewerkschaft gehörten selbstverständlich dazu.

28 Jahre bei der Firma

28 Jahre AEG-Vergangenheit, die Verbundenheit ist wohl so groß wie nach einer langen Ehe. Scheitert sie, so hören doch die Gefühle nicht auf. Eigentlich hat er das Kapitel AEG abgehakt, trotzdem kommt ihm manchmal der Groll hoch — oder ein schadenfrohes Lächeln über einen Gewinneinbruch bei Electrolux, so wie jüngst aus Stockholm gemeldet.

Sechs Jahre ist der große, verzweifelte Streik her. Bei einer klirrenden Kälte wie heute. Vor allem schwärmt Weiß heute noch über die riesige Welle der Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung. Besonders gern erinnert sich Weiß an die Polizei. Anstatt wie sonst Störungen zu verhindern, wies sie den Platz, wo Großkundgebungen unübersehbar sind: an der Kreuzung Fürther Straße und nicht irgendwo versteckt.

Die ganze Region fühlte mit den Gekündigten mit. Die Menschen brachten Brennholz für die „Feuertonnen“, Kipferl für die knurrenden Mägen, Leberkäs, heißen Tee. Bäcker, Metzger, befreundete Betriebe, Nachbarn schleppten eigentlich alles an, was der Mensch zum Durchhalten braucht. Und sie hielten lange durch, die AEG-Beschäftigten, deren 1700 Produktionsarbeitsplätze gestrichen werden sollten. Vom 20. Januar 2006 an sechseinhalb Wochen Streik rund um die Uhr für einen üppigen Sozialtarifvertrag, den die Deutschen nie gesehen hatten und mit ziemlicher Sicherheit nie wieder sehen werden. Weiß: „Wir haben Geschichte gemacht, das wird sich nicht wiederholen.“

Nach außen hin kämpften die Arbeiter um den Erhalt der Jobs, obwohl schon sehr früh allen klar war, dass das Aus für die Fabrik aus Stockholm endgültig war. Das jedoch zuzugeben, meint Weiß rückblickend, hätte Kampfkraft und die Glaubwürdigkeit untergraben.

Alles in eine Kiste verräumt

Weiß erzählt das und beugt sich vor mit einer unmerklich verschwörerischen Miene. Meistens aber lacht er gern, ob vor, während oder nach dem Streik, der Humor und die Lebenslust sind ihm nie vergangen. Obwohl selbst er, die Frohnatur, am liebsten erst mal verstockt die Arme verschränkt hätte, als der größte Schub an Entlassungen vorbei war. Mal gar nichts tun. „Nach vier Wochen habe ich alles, was AEG betraf, in eine große Kiste verräumt“, erzählt der Vater zweier erwachsener Söhne. Sie waren es, die ihm das Nichtstun nicht durchgehen ließen. Und auch die Qualifizierungsgesellschaft GPQ piesackte ihn: Sich weiterbilden, Bewerbungen schreiben, Praktika absolvieren. „Sonst verlierst du den Anschluss“, hatten ihm alle eingeimpft.

Schritt für Schritt durchlief er alles nach der Schließung der Waschmaschinenfabrik: Ausbildung als Sicherheitskraft mit IHK-Prüfung, Leiharbeiter beim Werkschutz und endlich fest angestellt bei der Werksfeuerwehr von Bosch. Auf das Gehalt von früher kommt er nicht mehr, Schichtarbeit statt freigestellter Betriebsratsarbeit, doch Weiß ist froh um die Arbeit. Auch in seinem Dorf bei Veitsbronn ist er Kommandeur der freiwilligen Feuerwehr. Das meiste, was er gelernt hat, sagt Weiß, habe sich irgendwann ausgezahlt.

Traute Runde am Tiergarten

Er genießt es, ab und zu die alten Mitkämpfer zu treffen. Ein früherer AEG-Kumpel hat eine schlichte Kneipe beim Tiergarten, dort erzählen sie sich regelmäßig über alte und neue Zeiten. Auch wenn Arbeitgeber wegfallen, vieles bleibt doch. Für Roland Weiß die Familienurlaube mit Boot und Camper in Kroatien und die Theatertruppe in Puschendorf. Er grinst über das ganze Gesicht: Das aktuelle Bühnenstück heißt „Männer haben’s auch nicht leicht“. Wie wahr, meint Roland Weiß.

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