Pillen unter Krebsverdacht: Fränkischer Experte kritisiert Spahn

19.9.2019, 05:58 Uhr
Pillen unter Krebsverdacht: Fränkischer Experte kritisiert Spahn

© Foto: Keith Srakocic/AP/dpa

Margit Schlenk ist empört: "Da wird die Gesundheit von Patienten mit Füßen getreten, das ist unmöglich", so die Nürnberger Pharmazeutin. Und der Arzneimittelexperte Professor Fritz Sörgel findet ebenfalls eine klare Sprache: "Das ist ein Zustand, der intolerabel ist".


Kommentar: Spahns Verzicht auf Medikamenten-Kontrollen ist fahrlässig


Beide reden über Messergebnisse, die das US-Labor Valisure‘s Lab – es gehört zu einer großen Versandapotheke – veröffentlicht hat: Demnach haben die Experten dort drei Milligramm des wahrscheinlich krebserregenden Nitrosamins N-Nitrosodimethylamin (NDMA) in Präparaten mit der Substanz Ranitidin gefunden. Das sind Werte, die "sehr hoch und sehr besorgniserregend" sind. Das sagt jedenfalls Dr. Kaury Kucera, die wissenschaftliche Leiterin der Einrichtung, in einem Youtube-Video.

Pillen unter Krebsverdacht: Fränkischer Experte kritisiert Spahn

© Foto: Daniel Karmann/dpa

Noch nicht bestätigt

Fritz Sörgel vom Heroldsberger Institut für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung schränkt zwar ein, dass diese Ergebnisse bis jetzt noch nicht durch andere Institute bestätigt wurden. Fehler bei der Mengenangabe hält er für möglich – aber er bezweifelt nicht, dass NDMA überhaupt in diesen Arzneimitteln ist. Und dort gehört es eben nicht hin

Auf der anderen Seite aber hat er selbst unerwartete Verunreinigungen in Arzneimitteln nachgewiesen und kam schon im Juni zu der Auffassung: "Die Vorstellung, dass unentdeckte Verunreinigungen auf Valsartan begrenzt sind, ist naiv." Valsartan ist das Blutdruckmittel, das vor über einem Jahr wegen der Beimengung problematischer Substanzen in die Schlagzeilen geraten war. Sörgel hatte damals zusammen mit seiner Kollegin Ulrike Holzgrabe von der Universität Würzburg sowie dem Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker Verunreinigungen in Mitteln gegen Bluthochdruck nachgewiesen, die bis dahin unbekannt waren.

Wirkstoff wurde in Indien hergestellt

Ranitidin ist ein Arzneistoff, der seit Jahrzehnten eingesetzt wird, heute aber nicht mehr so verbreitet genutzt wird wie beispielsweise in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es gibt mittlerweile die Substanz Pantoprazol, die sich deutlich besser zur Behandlung von Sodbrennen oder der Refluxkrankheit eignet. Knapp 750.000 Ranitidin-Verschreibungen meldet das Wissenschaftliche Institut der AOK für das vergangene Jahr. Auch Margit Schlenk, Vorstandsmitglied der bayerischen Landesapothekerkammer, spricht von einem "eher selten verordneten Medikament".

Der Wirkstoff für die in Verdacht geratenen Ranitidin-Produkte wurde in Indien, vom Unternehmen Saraca Laborities Ltd. hergestellt. Deshalb wurden die Präparate von Pharmafirmen zurückgerufen, die die Substanz dort eingekauft haben. Das sind nach Angabe des Online-Informationsdienstes Apotheke adhoc die Firmen Ratiopharm, AbZ, 1A-Pharma, Betapharm und Hexal. Dies gilt, bis die Situation genauer überprüft ist.

Probleme beim Recycling

Als eine mögliche Ursache für die Verunreinigung nimmt Fritz Sörgel Lösungsmittel an. Die werden nämlich recycelt, sowohl aus finanziellen als auch aus ökologischen Gründen eine sehr sinnvolle Maßnahme. Aber, so Sörgel: "Ich kann Lösungsmittel nicht zu Tode recyceln, irgendwann kriegt man sie nicht mehr sauber." Die Wiederaufarbeitung wird üblicherweise vom Hersteller an eine andere Firma übertragen und das Produkt dann unter Umständen nicht ausreichend geprüft. Dabei fordert zum Beispiel Margit Schlenk: "Es muss garantiert sein, dass das recycelte Lösungsmittel reinst ist."

Doch auch andere Ursachen sind denkbar: Sörgel verweist auf eine eigene Studie, nach der Patienten, die Ranitidin einnahmen, große Mengen an NDMA ausscheiden. "Das hat bisher keiner beachtet", sagt er, und bringt in die Diskussion, dass sich die chemisch eher instabile Substanz bei der Lagerung oder im Körper umbildet. Sogar eine dritte Variante ist denkbar: Dass jedenfalls die Menge durch eine nicht dem Stand der Wissenschaft entsprechende Methode überhöht gemessen wurde. Als Konsequenz aus den Funden der vergangenen Monate müssten nach Sörgels Auffassung eigentlich alle Arzneimittel überprüft werden.

"Da ist die Industrie gefordert"

Die Apothekerin Margit Schlenk fürchtet vor allem eines: "Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass die Patienten den Arzneimitteln nicht mehr vertrauen." Und sie staunt, dass die Pharmafirmen nach dem Valsartan-Skandal nicht weitergedacht und ihre Produkte besser überprüft haben. Die Analytik während des Herstellungsprozesses müsse deshalb mit einem ganz anderen Nachdruck betrieben werden: "Da ist die Industrie gefordert."

Im aktuellen Fall rät Margit Schlenk zur Vorsicht und empfiehlt Patienten, dass sie vorsichtshalber keine Ranitidin-Produkte mehr einnehmen und sich mit ihrem Arzt in Verbindung setzen sollten.

Falls der ein anderes Mittel verordnet, hat das Valsartan-Debakel wenigstens eine positive Folge: Die Kosten, so sagt Margit Schlenk, trägt jetzt der Hersteller. Und eine Zuzahlung in der Apotheke fällt ebenfalls nicht an.

4 Kommentare