Wege zur Arbeit: Neumarkt hilft geflüchteten Frauen

3.2.2020, 12:30 Uhr
LEO - Leben und orientieren in Deutschland - ist ein Modellprojekt des Jobcenters Neumarkt zur Förderung für geflüchtete Frauen.

© Daniel Karmann/dpa LEO - Leben und orientieren in Deutschland - ist ein Modellprojekt des Jobcenters Neumarkt zur Förderung für geflüchtete Frauen.

Immer mehr Flüchtlinge in Bayern finden eine Arbeitsstelle - doch wer genauer hinschaut, stellt fest: Das gilt vor allem für die Männer. "Wir sehen, dass es wesentlich schwieriger ist, die Frauen in Arbeit zu bringen", sagt Ralf Holtzwart, Chef der Arbeitsagentur in Bayern.

Von allen Flüchtlingen aus den von der Agentur erfassten Herkunftsländern, die 2019 einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgingen, waren den Angaben zufolge nur zwölf Prozent Frauen. Auch im Bereich der beruflichen Ausbildung überwiegt der Anteil der Männer deutlich. Und das, obwohl erheblich mehr geflüchtete Frauen einer Arbeit nachgehen könnten: Ein Drittel (33 Prozent) der Arbeitslosen aus den acht Herkunftsländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien sind Frauen. "Da ist also noch viel Potenzial", betont Holtzwart.

In Neumarkt in der Oberpfalz finanziert die Arbeitsagentur seit eineinhalb Jahren ein innovatives Modellprojekt - entwickelt von Maria Auhuber, der Beauftragten für Chancengleichheit beim dortigen Jobcenter. Vor einigen Jahren beobachtete sie, dass geflüchtete Frauen sich nach ihrer Ankunft in Deutschland häufig in ihr familiäres Umfeld zurückzögen. Es seien vor allem Männer, die an Integrationskursen teilnehmen und Deutsch lernten, während sich die Frauen zu Hause um die Kinder kümmerten.

Auhuber erkannte, dass die klassischen Jobcenter-Angebote an den Bedürfnissen der Frauen vorbeigehen. "Wenn eine deutsche Frau sieben Kinder hat, denkt auch keiner daran, sie direkt in Arbeit zu integrieren", merkt Auhuber an. Also konzipierte sie eine ganz neue Maßnahme: Leben und Orientieren in Deutschland (LEO).

Der Integrationskurs richtet sich speziell an Frauen in Erziehungszeit und soll ihnen helfen, sich in ihrer neuen Heimat zurechtzufinden. Dabei geht es erstmal um ganz alltägliche Dinge: Wie fahre ich Bus? Welche Geschäfte und Vereine gibt es? Neben der Sprachförderung lernen die Frauen bei LEO, welche Feiertage es gibt, wie man Steuern bezahlt und wo man einen Übersetzer findet.

Berufliche Qualifikation nicht an erster Stelle

Für die Arbeitsagentur war die Finanzierung eines solchen Kurses, bei dem die berufliche Qualifikation nicht an erster Stelle steht, bis dahin Neuland. Sie habe viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, bis ihr die Maßnahme genehmigt wurde, erzählt Auhuber. Heute meldeten sich Jobcenter aus der ganzen Republik, um mehr über das Projekt zu erfahren. So können die Grundlagen gelegt werden, die Frauen Schritt für Schritt an den deutschen Arbeitsmarkt heranzuführen.


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Eine der Referentinnen ist Carmen Blom. Ihr gegenüber sitzen 13 Frauen, die aus Syrien, Afghanistan, Eritrea und dem Irak geflohen sind und noch nicht lange in Deutschland leben. Auf dem Stundenplan steht heute die Ernährungspyramide: Während Blom versucht mit einfachen Worten zu erklären, warum fett-, zucker- und salzreiches Essen dem Körper schadet, dopst ein Gummiball durchs Klassenzimmer. Sie lässt sich davon nicht irritieren. Sie ist es gewöhnt, dass während ihres Unterrichts ab und an auch Kinder im Raum sind.

Ein zentraler Baustein des Projekts ist eine Kinderbetreuung. Gerade in den ersten Monaten sei es für die geflüchteten Frauen extrem wichtig gewesen, in der Nähe ihrer Kinder zu sein. In Ländern wie Syrien oder Afghanistan sei es nicht selbstverständlich, den Sohn oder die Tochter in den ersten Jahren nach der Geburt in fremde Hände zu geben. Gäbe es die Betreuung nicht, würden wohl deutlich weniger Frauen an dem Integrationskurs teilnehmen.

"Der Kurs ist für mich eine Chance"​

Salma ist froh, dass es ein solches Angebot gibt. Die 24-Jährige ist vor vier Jahren aus dem Irak nach Deutschland geflohen. Nach ihrer Ankunft besuchte sie zunächst eine Integrationsklasse und machte ein Praktikum bei einer Friseurin. Dann bekam sie ein Kind und musste ihre Pläne erstmal unterbrechen. "Der Kurs ist für mich eine Chance"​, sagt sie und ist fest entschlossen, später einmal arbeiten zu gehen. Wo genau, weiß sie allerdings noch nicht.

Mit dieser neu gewonnen Eigenständigkeit hätten einige Männer anfangs ein Problem gehabt, erzählt Projektleiterin Sandra Meyer. Ihnen sei es schwergefallen, ihre Ehefrauen allein losziehen zu lassen. Doch auch diese kulturelle Hürde sei mittlerweile überwunden. Viele der Teilnehmerinnen hätten sich während des Projekts enorm weiterentwickelt: "Sie haben neue Freiheiten gewonnen."

Auch Bayerns Arbeitsagenturchef Holtzwart ist überzeugt, dass geflüchtete Frauen gezielt gefördert werden müssten. "Uns geht es gar nicht darum, die Frauen möglichst schnell in Arbeit zu bringen, sondern ihnen Schritt für Schritt eine Brücke dorthin zu bauen", erklärt er. Gerade mit Blick auf die nächste Generation sei es wichtig, bei der Integration auch die Mütter mitzunehmen.

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