Zurück zu den Wurzeln der Marktforschung

10.8.2011, 12:00 Uhr
Zurück zu den Wurzeln der Marktforschung

© Michael Matejka

Eine Familie mit einem Diabetiker tickt anders als die Normalo-Familie. Gegessen wird nicht, wenn alle Hunger haben, sondern nach einem genau einzuhaltenden Stundenplan. Die Krankheit des 18-jährigen Sprösslings regelt die Alltagsabläufe. Doch wie kommt der junge Mann zurecht mit dem erzwungenen Messen des Blutzuckerspiegels, wie mit der Spritzgarnitur?

Die Pharma-Industrie hat ein Interesse daran, unbeschönigt zu erfahren, welche Probleme der Patient mit den Präparaten wirklich hat. Psyma, die Nummer fünf der wichtigsten Marktforschungsinstitute und zudem das größte eigentümergeführte in Deutschland, begnügt sich nicht mit Befragungen, sondern beobachtet die Probanden in ihrem Umfeld, um eine andere Qualität der Forschung zu erzielen.

Zuhören beim Twittern

Vorstandschef Matthias Fargel sagt: „Wir begleiten Menschen in ihrem Alltag. Wir machen Hausbesuche in kleinem Umfang, so sehen wir die Personen in ihrem Kontext.“ In die Tiefe gehen, ergänzend zu quantitativen Studien. Online-Befragungen bleiben der Schwerpunkt. Sie gehen schneller, sind aber auch flacher. Beim „Online Zuhören“ wertet Psyma gezielt Beiträge in Foren, Blogs und bei Twitter aus, bei denen sich Verbraucher austauschen über Arzneien oder Autodesigns. „Diese Beobachtungen in sozialen Netzwerken sind nicht repräsentativ, aber allemal relevant für die sensible Trendforschung. Sie dienen uns als Stoffsammlung und bilden Stimmungen ab“, sagt der Vorstandschef.

Letztlich gaben die sozialen Netzwerke den Auslöser, sich wieder auf das Beobachten zurückzubesinnen, „Spuren zu sichern“, wie er es nennt — eine Sonderform der Sozialforschung. Gerade im Gesundheitswesen sieht sich das Institut als Bindeglied zwischen Pharmaindustrie, Ärzten und Patienten. Folgen die Menschen dem Rat ihres Arztes, knüllen sie das Rezept zu Altpapier oder lassen sie das gekaufte Medikament verfallen?

Der Staat sollte es wissen, wollte er die Gesundheitskosten tatsächlich senken. Und die gesamte Branche müsste daran ein Interesse haben, die Ärzte allemal. Denn nicht selten, erzählt der studierte Medizinsoziologe, wundert sich ein Arzt, wenn ein Antidepressivum nach Patientenangaben plötzlich nachlässt. Der wahre Grund: Im Urlaub hat sich der Mann eine Auszeit vom Pillenschlucken gegönnt.

Laufer vergleichen Websites

Constantin Peter, im Management zuständig für die Unternehmensstrategie, berichtet über ein anderes Geschäftsfeld. 30 Mitarbeiter in Lauf beschäftigen sich mit einem Website-Benchmarking. Die Kernfrage lautet: Wer macht es am besten in der Branche? Und das geht so: Beim Verlassen der Homepages werden Kunden nach dem Zufallsprinzip etwa darüber befragt, wie benutzerfreundlich sie die Seite finden und was sie daran nervt.

Peter: „Wir waren die Ersten auf diesem Feld und erstellen den weltweit größten Branchenvergleich von Internetauftritten unter der Überschrift: Wer ist der Beste?“ Fargel ergänzt: „Wir erwischen die Besucher der Website mit dem Finger im Kuchen.“

Bei den Auswertungen komme dann auch heraus, ob die Automarken das erwünschte Image rüberbringen oder ein völlig unbeabsichtigtes. Am Ende stehen Workshops mit den Herstellern. „Die Internetauftritte verbessern sich daraufhin“, sagt Peter.

Die Geschäfte, so die beiden Manager, seien mit den Jahren komplizierter geworden: Zum einen wegen der Flut von Gesetzen und zum anderen wegen der Neigung der Kunden, Risiken auf ihre Zulieferer abzuwälzen, so wie es in der Autobranche gang und gäbe ist. „Die Konzerne haben einen wahnsinnigen Absicherungsdrang“, urteilt Peter.

Am meisten aber ärgern sich die Marktforscher darüber, dass Verkäufer unter dem Mäntelchen der Marktforschung Verbraucher ansprechen. Fargel: „Dieses Geschäftsgebaren senkt die Bereitschaft in der Bevölkerung, an Befragungen teilzunehmen.“ Auch wenn diese korrekt forschungsbezogen und strikt anonym sind.