Zweite Chance für Studienabbrecher

19.8.2017, 18:00 Uhr
Das Lernen im vollen Hörsaal ist nicht jedermanns Sache. Manch ein Studienanfänger merkt schnell, dass eine akademische Laufbahn nicht das Richtige ist.

© Foto: Uwe Anspach/dpa Das Lernen im vollen Hörsaal ist nicht jedermanns Sache. Manch ein Studienanfänger merkt schnell, dass eine akademische Laufbahn nicht das Richtige ist.

Mittlerweile wird fast jeder zweite Schüler mit einer Hochschulreife ins Leben entlassen, aber so viele Studienanfänger wie noch nie scheitern. Mit einem traurigen Rekord glänzen dabei die MINT-Fächer an Deutschlands Hochschulen: In keiner anderen Fächergruppe brechen so viele Nachwuchsakademiker ihr Studium ab wie in Mathematik, Informatik sowie den Natur- und Ingenieurwissenschaften. Bis zu 40 Prozent der Ingenieurstudenten verlassen die Hochschule ohne Abschluss, wie das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung ausgerechnet hat.

Gleichzeitig geht immer mehr Industrie- und Handwerksbetrieben der Nachwuchs aus. Allein im vergangenen Jahr blieben in Deutschland nach Angaben des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) etwa 40 000 Lehrstellen unbesetzt. Mehr als 40 Prozent der IHK-Betriebe versuchen deshalb verstärkt, Studienabbrecher für sich zu gewinnen. Mit Erfolg, denn nach Angaben des Deutschen Zentrums für die Hochschul- und Wissenschaftsforschung haben bereits 60.000 frühere Bachelorstudenten, und damit knapp die Hälfte aller Abbrecher, kurz nach der Exmatrikulation eine Fachausbildung begonnen.

Bundesagentur will Neustart unterstützen

Inzwischen versuchen nach DIHK-Angaben 42 Prozent der IHK-Betriebe verstärkt, Studienabbrecher für sich zu gewinnen. Auch die bayerische Staatsregierung will bei ihrem neuen "Pakt für die Berufliche Bildung" gemeinsam mit Wirtschaftsverbänden und der Bundesagentur für Arbeit Studienabbrecher bei ihrem Neustart ins Arbeitsleben unterstützen.

Noch sind unter den Auszubildenden in Nürnberger Unternehmen Studienabbrecher allerdings nur selten zu finden. So zum Beispiel bei den Städtischen Werken Nürnberg inklusive N-Ergie und VAG. Von "Einzelfällen" berichtet Sprecherin Elisabeth Seitzinger, und nennt als Beispiel den Sohn eines Mitarbeiters, der sein BWL-Bachelorstudium abgebrochen hat. Sie sagt: "Aus sozialer Verantwortung heraus war es uns bislang wichtiger, Schulabgängern einen Einstieg in das Berufsleben zu ermöglichen." Studienabbrecher waren bei den Städtischen Werken "bislang noch nicht im Fokus – das kann sich aber ändern, wenn der Trend zum Abitur weiterhin besteht und wir unsere Ausbildungsplätze nicht mehr über junge Menschen mit Mittelschul- und Realschulabschluss besetzen können."

"Größere persönliche Reife"

Auch bei der stadteigenen Wohnungsbaugesellschaft wbg findet sich bisher nur ein einzelner Studienabbrecher, der mit einer kaufmännischen Ausbildung neu ins Arbeitsleben startet. Personalleiterin Ruth Haring berichtet: "Dieser Azubi fühlt sich in der Ausbildung bei uns sehr wohl. Man merkt natürlich hier gegenüber sehr jungen Azubis, die direkt von der Schule zu uns kommen, eine etwas größere persönliche Reife."

Nach ihrer Meinung liegt das allerdings nicht am Studium allein: "Auch andere Azubis, die schon eine andere Ausbildung abgeschlossen haben oder andere Erfahrungen durch Engagement im privaten Bereich mitbringen, stehen hier nicht zurück."

Ein ganz anderes Bild bei der Sparkasse Nürnberg. "Im vergangenen Jahr haben wir von 56 Auszubildenden insgesamt 16 Studienabbrecher eingestellt", sagt Claudia Sigl, Leiterin Personalbetreuung: "Für 2017 werden 57 neue Auszubildende starten, darunter befinden sich insgesamt sieben Studienabbrecher." Sie weiß, dass Studienabbrecher "bereits über Kenntnisse oder Fähigkeiten wie Persönlichkeit, Reife, Selbstbewusstsein und umfangreiches Wissen verfügen, die in der Ausbildung nützlich sind".

Nach ihren Erfahrungen ist bereits im Einstellungsgespräch die Reife, Kommunikationsfähigkeit und Persönlichkeitsentwicklung deutlich erkennbar. Sigl sagt: "Weiterhin haben Studienabbrecher eine hohe Verbundenheit zum Unternehmen, auch nach der erfolgreichen Ausbildung. Außerdem haben sie oftmals eine hohe Kritikfähigkeit und können mit komplexen Situationen oder auch ‚Niederlagen‘ gut umgehen, da die Erfahrung aus der Studienzeit und dem damit verbundenen Abbruch hier zum Tragen kommt."

Überfordert und alleingelassen

Während sich junge Studenten bei ihrem Start an der Hochschule, so die Wissenschaftler vom Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, oft überfordert und alleingelassen fühlen, reagieren sie auf die berufliche Ausbildung zumeist positiv, da sie einen klaren Rahmen vorgegeben bekommen.

In den Betrieben wissen sie in der Regel über die gesamte Ausbildungszeit hinweg, was für sie zu welchem Zeitpunkt ansteht. Diese Sicherheit vermissen die meisten während eines Vollzeitstudiums genauso wie einen festen Ansprechpartner und jemanden, der sich um ihre persönlichen Anliegen kümmert, ihnen zuhört und sie unterstützt. Und neben der praktischen Arbeit mit Menschen, so berichten Ausbildungsexperten, gefällt den Studienabbrechern natürlich auch, dass sie bereits in der Lehrzeit ein geregeltes Einkommen und feste Arbeitszeiten haben.

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