Wo der Dichterfürst auf den Märchenkönig traf

11.10.2018, 20:37 Uhr
Tataa! Das Schillerdenkmal Minuten nach seiner Enthüllung am 10. November 1909. Sogar die Abdeckplanen liegen noch am Boden.

© Carl König (Sammlung Sebastian Gulden) Tataa! Das Schillerdenkmal Minuten nach seiner Enthüllung am 10. November 1909. Sogar die Abdeckplanen liegen noch am Boden.

Jetzt, da der Herbst hereingebrochen ist und das Laub – sofern es von der Hitze der letzten Wochen nicht völlig verdorrt ist – sich zu färben beginnt, gehen viele mangels Ablenkung durch das Sommer-Tohuwabohu mit wacheren Augen durch die Grünanlagen. Wer im Stadtpark unterwegs ist, den laden die gewundenen Bänke zu beiden Seiten des Schillerdenkmals zum Verweilen ein.

Manch einer von jenen, die da aufschauen zu dem Relief des am Tisch beim Schreiben sitzenden Friedrich von Schiller, mag da an seine Schulzeit und das quälende Auswendiglernen und Vortragen von Gedichten zurückdenken ("Loch in Erde / Bronze rin / Glocke fertig / bim, bim, bim"). Wir dürfen annehmen, dass es den Gästen bei der Eröffnung des Denkmals im Herbst 1909 auch so ging. Lange genug hatten sie auf "ihren" Schiller warten müssen.

Schon 1905 nämlich hatte das Deutsche Reich den 100. Todestag seines "Nationaldichters" begangen. Auch die Nürnberger feierten den Anlass mit Festen, Vorträgen, Lesungen und Theaterdarbietungen. Da sah Kommerzienrat Johann Grasser, Mitinhaber der Bleistiftfabrik Lyra, die Gelegenheit gekommen, durch eine edle Stiftung für Schillers und seinen eigenen Nachruhm zu sorgen: Er finanzierte Entwurf und Bau eines Denkmals für den "Dichter-Heros".

Schiller und sein Denkmal haben den Zeiten getrotzt. Die Brunnen zu beiden Seiten des Reliefs jedoch liegen heute trocken.

Schiller und sein Denkmal haben den Zeiten getrotzt. Die Brunnen zu beiden Seiten des Reliefs jedoch liegen heute trocken. © Boris Leuthold

Die Stadt stellte den Baugrund zur Verfügung und zeichnete auch
für die Wahl eines geeigneten Künstlers verantwortlich – eine äußerst schwere Geburt, wie sich zeigen sollte. Es brauchte ganze drei (!) Wettbewerbe, bis sich die Stadtoberen endlich auf ein Künstlergespann einigen konnten, das den hohen Ansprüchen genügte: Die beiden Münchener Bildhauer Adolf von Hildebrand und Carl Sattler erhielten schließlich den Zuschlag.

Sie schufen die prachtvolle Denkmalsanlage aus Muschelkalk in den Formen des Neubarock, verziert mit Symbolen des Dichterruhms und des Schauspiels, mit antiken Theatermasken, einer Kithara (ein antikes Saiteninstrument), einer Panflöte, einer Pistole, einem Schwert und Lorbeerzweigen.

Der Wirt der Stadtpark-Restauration druckte das Denkmal um 1910 auf eine Reklamemarke.

Der Wirt der Stadtpark-Restauration druckte das Denkmal um 1910 auf eine Reklamemarke. © Verlag Conrad Schmidtner jr. (Sammlung Sebastian Gulden)

Das zentrale Relief, das in eine altarartige Ädikula eingelassen ist und für das ein Bildnis aus Schillers Lebzeiten Pate stand, besteht indessen aus Untersberger Marmor. So ward am Ende doch alles gut und das Nürnberger Schillerdenkmal rechtzeitig zum 150. Geburtstag des Geehrten fertig.

Zwischen 1913 und 1944 hatte Schiller ein Gegenstück im Stadtpark – zumindest, was die Architektur des Denkmalsockels mit seinem U-förmigen Grundriss betraf. Es ehrte keinen Geringeren als Märchenkönig Ludwig II., im Übrigen ein ausgesprochener Verehrer Friedrich von Schillers.

Eifrige Monarchisten hatten das Werk im Jahr 1911 gestiftet und von Max Heilmaier, damals Professor an der Nürnberger Kunstgewerbeschule, entwerfen lassen. Leider entschied sich Heilmaier bei der Wahl des Materials für das Standbild nicht für den robusten Kalkstein aus dem Berchtesgadener Land, sondern für Bronze.

Noch 1918, als Bayerns Monarchie vor dem Ende stand, feierten Kinder den „Kini“ im Nürnberger Stadtpark. Erst die Nazis stürzten ihn 1944 vom Sockel.

Noch 1918, als Bayerns Monarchie vor dem Ende stand, feierten Kinder den „Kini“ im Nürnberger Stadtpark. Erst die Nazis stürzten ihn 1944 vom Sockel. © Carl Eller (Sammlung Sebastian Gulden)

Der bekanntermaßen äußerst eifrige und regimetreue NS-Oberbürgermeister Willy Liebel entblödete sich denn auch nicht, den König als "Materialablieferung" für die Rüstungsindustrie demontieren zu lassen. Er wurde eingeschmolzen. Ohne seinen Herren fiel der Sockel alsbald der Spitzhacke zum Opfer.

Nur einer der beiden Putti von den Postamenten zu beiden Seiten des "Kini" tauchte schließlich wieder auf: 1972 entdeckte man den zentnerschweren Knirps aus Muschelkalk im Garten des Hauses Virchowstraße 36 und setzte ihn an die Einfahrt des Mittelfränkischen Blindenheims in der Bielefelder Straße um.

Dort leisten ihm Philipp Kittlers Musen Erato und Terpsichore Gesellschaft, die man 1967 von der Fassade des abgebrochenen Gebäudes des Industrie- und Kulturvereins gerettet hatte und die zuvor ebenfalls in jenem Garten gelandet waren. Hoffen wir dennoch, dass auch der Bruder unseres Puttos von einer guten Seele vor der Zerstörung bewahrt wurde. Oder in Schillers Worten: "Wohl dem, dem die Geburt den Bruder gab!"

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