Zerschlagen und ausverkauft: Was von der Quelle blieb
20.10.2010, 10:00 UhrJahrzehntelang stand der Name Quelle für eine bunte Warenwelt. Der Katalog des fränkischen Versandhauses war Familien-Bilderbuch der bundesdeutschen Konsumgesellschaft. Quelle gehörte zum Land wie Volkswagen, Siemens und Persil. Und plötzlich – nach 82 Jahren Unternehmensgeschichte — war es vorbei mit Quelle. Zumindest in der virtuellen Welt ist der Marke ein Weiterleben vergönnt. Der ehemalige Versandhaus-Konkurrent Otto hat für angeblich 65 Millionen Euro die Rechte am Namen Quelle und hauseigenen Marken wie Privileg gekauft. Wer www.quelle.de ansteuert, landet seitdem bei Otto. 150 Millionen Euro Umsatz von ehemaligen Quelle-Kunden soll das dem Hamburger Versandhändler 2009 beschert haben. Das sind ungefähr drei Prozent des Umsatzes, den Quelle vor ein paar Jahren noch verzeichnen konnte.
Fast war es zu spät, als Manfred Gawlas zur Rettung des Industriekultur-Schatzes ansetzte. Teile des Quelle-Archivs waren in den Wirren der Insolvenz schon weggeworfen worden; „in verantwortungsloser Art und Weise“, schimpft der ehemalige Öffentlichkeitsarbeiter des Unternehmens. Immerhin wurde so viel gerettet, dass Matthias Murko, der Leiter des Museums Industriekultur, und einige Helfer immer noch mit der Sichtung beschäftigt sind. Zu bewundern gibt es Filmmitschnitte von Modeschauen aus den 60ern, Schallplatten mit Operettenmelodien des Labels „Quellux“ oder historische Bilder aus der Geschichte des Versandhauses. Sie gesellen sich im Museum zu Produkten, die Murko schon vorher gesammelt hatte. Zum Mars-Mofa, zur Höhensonne aus den 50ern und zu den ersten Fotoapparaten für Durchschnittsverdiener. Noch wird Geld und Platz gesucht, um wenigstens einen Teil ausstellen zu können.
Zu vermieten
Gewerbe-Immobilie — 254000 Quadratmeter Nutzfläche — in bester Verkehrslage zu vermieten. Das riesige Areal an der Fürther Straße wird die Nürnberger noch lange an die Quelle erinnern. Dabei war das Gelände mit dem ehemaligen Versandzentrum und dem Kaufhaus am Ende gar keine wirkliche Quelle-Hinterlassenschaft mehr. 2006 war das Gelände zusammen mit allen anderen Immobilien für 4,5 Milliarden Euro verkauft und teuer zurückgemietet worden. Seither gehört das Areal einer holländischen Fonds-Gesellschaft. Die sucht mit Hilfe eines Immobilien-Entwicklers und der Stadt Nürnberg jetzt nach neuen Mietern. „Vermutlich wird es auf eine Mischung aus Büro, Handel und Bildung hinauslaufen“, sagt Wirtschaftsreferent Roland Fleck. „Möglicherweise entsteht noch ein Konferenzzentrum.“ Erster neuer Mieter war das Jenaplan-Gymnasium. Ein kleiner Anfang. Leicht wird es mit dem großen Rest nicht werden. Einziger Trost: Das Quelle-Logistikzentrum in Leipzig, das vor 15 Jahren die Bedeutung des alten Standortes Nürnberg nachhaltig schwächte, ist ein noch problematischerer Nachlass.
Eine Küche von der Quelle? Kein Problem. Denn dieser Bereich wurde von den vier risikobereiten Franken Bernd Warnick, Christian Bühler, Hannes Streng und Alexander Fackelmann am Leben erhalten. Kurz vor dem endgültigen Untergang übernahmen sie 150 Mitarbeiter und fünf große Läden in ganz Deutschland. Dazu den Namen. So kann die Küchen-Quelle weiter vom alten, guten Ruf profitieren. Die Geschäfte laufen. „Unsere Pläne haben sich verwirklicht“, sagt Warnick. Fast ebenso geht es der Foto Quelle. Diese Traditionsmarke wurde im November 2009 vom Fotodienstleister ORWO aus Sachsen-Anhalt aufgekauft. ORWO übernahm auch „Revue“, den Handelsnamen für Kameras und Zubehör von Quelle. Noch war aber laut Sprecher Lothar Schwarz keine Zeit, über die Zukunft von Revue zu entscheiden. Gerettet, weil sie schon vor der Pleite selbstständig waren, wurden auch die KarstadtQuelle Bank, die KarstadtQuelle Versicherungen und die Quelle Bauspar AG. Doch sie tragen jetzt alle neue Namen.
781 Menschen noch immer auf Jobsuche
Tausende haben direkt nach dem Aus für Quelle ihren Job verloren. 781 suchen immer noch eine neue Arbeit. Aber rund 100 Mitarbeiter sind nach wie vor für ein Unternehmen tätig, das es eigentlich nicht mehr gibt. In einem ehemaligen Firmengebäude in der Fürther Ludwig-Quellen-Straße kümmern sie sich beispielsweise um Buchhaltung, um Verhandlungen mit Gläubigern. Und sie schauen darauf, dass ehemalige Kunden ihre Raten weiter begleichen. Einige hier werden ihren Stuhl schließlich direkt in Richtung Ruhestand verlassen. Die anderen versuchen, parallel einen neuen Job zu finden. Dass sie nach und nach der eigenen Abwicklung entgegenarbeiten, wissen alle. Wann aber das Licht ausgeht, kann jetzt noch niemand sagen. Fest steht, es wird nicht Monate dauern, sondern Jahre. Und bis dahin will niemand hier Totengräberstimmung aufkommen lassen.
LAC Quelle Fürth — so heißt seit 41 Jahren die Leichtathletik-Abteilung des TV Fürth 1860. Und das wird auch so bleiben. Ein Umbenennen wäre schlicht zu teuer, wie Theo Kiefner vom LAC erklärt. Trikots, Trainingsanzüge, Briefpapier, überall steht der Name drauf. Das alles neu zu kaufen wäre nur drin, wenn sich ein neuer Sponsor finden würde. Der ist aber nicht mal am fernen Horizont zu sehen. Auch die Fußballer des TV beweisen Namenstreue. Seit 1973 heißen sie SG Quelle. Keinesfalls wollen sie das ändern, wie Rainer Krassow versichert. Krassow war bis vor kurzem Abteilungsleiter und ist aktuell 3. Vorstand des Gesamtvereins. Er sagt: „Der Name Quelle ist im Sport längst eine eigene Marke mit gutem Klang.“
Geniale Idee
Ursprünglich war es eine geniale Idee, quer durchs Land mit kleinen Agenturen die Kundenbindung an Quelle zu festigen. Für die (schein)selbstständigen Inhaber der späteren Quelle-Shops endete es allerdings meist im finanziellen Desaster. Zehn Prozent Umsatzprovision sicherten den wenigsten die Existenz. Von ehemals fast 8000 Shops waren im Jahr der Quelle-Insolvenz noch knapp 2000 übrig. Heute erinnert nur der „Interessenverband Quelle Shops“ im hessischen Niedernhausen an das dichte Filialnetz. Auch ohne einen einzigen übrig gebliebenen Shop hat der noch genug zu tun. Er berät viele ehemalige Betreiber, die vor Gericht gegen hohe, noch von Quelle gegen sie erhobene Forderungen kämpfen. Um mysteriöse „Hintergrundbuchungen“ im EDV-System der Shops geht es unter anderem. Je nach Ausgang könnten einigen Ex-Ladeninhabern noch jahrelange Zahlungen blühen.
2006 wurde auf dem Quelle-Turm das alte Markenzeichen modernisiert. Statt Quelle-Hand prangte dort plötzlich ein Symbol, das für Innovation stehen sollte. Danach gab es Ärger. Die Denkmalschützer meckerten über die unangemeldete Änderung in 90 Meter Höhe. Den Anwohnern war die neue Leuchtreklame zu grell. Und jetzt? Die neue Werbung mag nie jemandem gefallen haben, darf als Teil des Einzeldenkmals aber nicht einfach so entfernt werden. Der niederländische Immobilienverwerter Valbonne als Eigentümer ist verpflichtet, für den Erhalt des Turms von 1964 zu sorgen, mit allem Drum und Dran. Für eine Änderung allerdings wäre der Denkmalschutz offen. „Wenn sie das alte Markenzeichen wieder hochschrauben wollen, können wir drüber reden“, sagt Leiter Daniel Ulrich.
Keimzelle des Konzerns wiedereröffnet
Das Sortiment ist bunt. Vor der Tür stehen Ständer mit Kinderkleidung. Daneben kann man Lenkdrachen kaufen oder Bratpfannen. Das Kaufhaus Schickedanz in Hersbruck ist kein glitzernder Konsumtempel. Besitzer Harald Herbrig setzt auf ein breites Angebot für die Kundschaft. Vor einem Jahr hat er die einstige Keimzelle des Quelle-Konzerns wiedereröffnet. Vier Tage später kam die Nachricht über das Ende des Traditionsunternehmens. Das hat ihn getroffen. Persönlich und kaufmännisch: Bestellte Ware blieb aus und damit auch Kunden. Aber inzwischen läuft das Geschäft, in das auch ehemalige Quelle-Mitarbeiter wieder gerne kommen. Hier kriegen sie noch den alten Mitarbeiter-Rabatt. Herbrig, der selber 30 Jahre im Versandkonzern gearbeitet hat, will das so. Über der Zentralkasse hängt ein großes Foto, auf dem Gustav und Grete Schickedanz freundlich dazu lächeln.