Augenhöhe anstatt strenger Hierarchie

6.7.2016, 19:43 Uhr
Augenhöhe anstatt strenger Hierarchie

© Foto: Antonia Neumeier

Auf dem Pausenhof wird geschraubt. Sechs Jugendliche mit ölig-schwarzen Händen stehen oder knien vor den Einzelteilen eines zerlegten Motors. Es wird gefachsimpelt. Der Motor soll erst gesäubert und dann zusammengebaut werden, so viel ist klar. Doch wie genau das gehen soll, ist den Schülern im Moment noch schleierhaft. Deshalb wird lebhaft diskutiert. Auch darüber wie ein Motor genau funktioniert, welchen physikalischen Gesetzen der Antrieb gehorcht.

Ein Lehrer steht bei der Gruppe und hört den Gesprächen aufmerksam zu. Er wird sich erst einschalten, wenn er von den Schülern darum gebeten wird. Ausprobieren und sich Kompetenzen selbst aneignen, gehört im Jenaplan-Gymnasium Nürnberg zum Selbstverständnis.

Die Lehrer verstehen sich als Lernbegleiter, als Coach, als Unterstützer und nicht als Autorität, die Gehorsam und Leistung fordert. Den klassischen Frontalunterricht gibt es im Jenaplan-Gymnasium deshalb nur noch selten, in der Regel in den Kernfächern. Auch Noten oder besser gesagt, das klassiche Punktesystem, gibt es erst ab der zehnten Klasse, wenn es langsam in Richtung Abitur geht.

Gespräche statt Noten

Anstelle von Noten stehen im Jenaplan-Gymnasium für jeden Schüler drei Mal im Jahr Trimestergespräche an. Dabei setzen sich jeweils ein Fachlehrer und ein Sozialpädagoge mit dem Schüler zusammen. Gemeinsam lässt man die vergangenen Monate Revue passieren und spricht darüber, was gut und was schlecht gelaufen ist. Die Eltern sind bei diesen Gesprächen mit dabei.

Den Schülern soll bei diesen Beurteilungsgesprächen die Gelegenheit gegeben werden, ihre Leistungen selbst zu beurteilen. Danach geben die Pädagogen ihre Einschätzung ab. "Auf die substantielle Rückmeldung legen wir dabei besonderen Wert", erklärt Schulleiter Stefan Wagner. Der Schüler soll nach dem Gespräch genau wissen, an welcher Stelle Nachholbedarf besteht. Wie bestehende Wissenslücken in welchem Zeitrahmen geschlossen werden, besprechen Lehrer und Schüler gemeinsam.

Wagner betont, dass das Verhältnis "unter den Mitgliedern der Schulfamilie" ausgesprochen gut sei. "Wir begegnen uns auf Augenhöhe", sagt er. Den Schülern sei bewusst, dass sie die Verantwortung für ihren Lernfortschritt selbst in der Hand haben. "Sie wissen in der Regel ganz genau, wo sie stehen", sagt Wagner. Nur selten gelinge es dem Kollegium nicht, einen Schüler zur Mitarbeit zu motivieren.

Augenhöhe anstatt strenger Hierarchie

© Foto: Neumeier

Unterrichtet werden die Schüler im Jenaplan-Gymnasium in der Regel altersgemischt. Nur in den Kernfächern bleibt die Jahrgangsstufe unter sich. Ein Wochenarbeitsplan und offene Lernformen, wie etwa das Lernbüro oder die Lernwerkstatt lassen viel Spielraum für eigene Entscheidungen.

Ein Logbuch, das jeder Schüler führt, gibt einen genauen Überblick über die schulischen Aktivitäten aber auch über den eigenen persönlichen Entwicklungsstand. Denn die soziale Kompetenz im Sinne von Empathie, Toleranz, Teamgeist, Kommunikations- und Konfliktfähigkeit werden am Jenaplan-Gymnasium systematisch gefördert.

Jeder Schüler bekommt von der fünften Klasse an, einen Lerncoach zur Seite gestellt. Einmal pro Woche werden im Dialog Erfolge und Misserfolge des Schülers aufgezeigt und die Lernziele für die nächste Woche definiert.

Ganzheitliche Entwicklung

Schulleiter Wagner ist überzeugt von diesem System. Es sei die Grundlage für einen erfolgreichen Lernprozess und eine ganzheitliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, betont er. Der Lerncoach ist nicht nur eine Vertrauensperson für die Schüler, sondern auch für deren Eltern. Bei Bedarf informiert er sie über den Lernprozess oder die persönliche Entwicklung ihrer Kinder.

Neben den klassischen Schulfächern gibt es zahlreiche musische, sportliche und künstlerische und handwerkliche Angebote in verschiedenen Arbeitsgruppen und Werkstätten. Betreut werden diese Angebote teils von externen Experten, teils von engagierten Eltern aber auch von den Schülern selbst.

"Das Leben und Lernen in einer Gemeinschaft, die die eigene Persönlichkeit akzeptiert, ermöglicht es den Kindern und Jugendlichen, ihre Stärken zu entdecken und auszuleben, Andersdenkende zu respektieren und für sich selbst und ihre Umwelt Verantwortung zu übernehmen", bringt es Wagner auf den Punkt.

Und was sagen Schüler und Eltern über ihre Schule? Peter Schmidt, Vater von zwei Töchtern, die mittlerweile beide das Jenaplan-Gymnasium besuchen, betont, dass beide Mädchen wirklich gern zur Schule gehen. "Das war nicht immer so, meine Große ist ja zunächst auf ein staatliches Gymnasium gegangen. Man konnte dabei zusehen, wie ihr von Monat zu Monat die Lust am Lernen vergangen ist", sagt der Cadolzburger. Das sei jetzt anders, sagt Schmidt. Mittlerweile beschäftigen sich seine Töchter sogar nach dem Unterricht noch mit dem Unterrichsstoff.

Die 15-Jährige Kaya besucht die 9. Klasse und hat ebenfalls den Vergleich zu einem staatlichen Gymnasium. "Dort war es immer so stressig, ich stand dauernd unter Druck", erzählt sie. "Hier lernen wir zwar genauso viel, aber ganz anders." Dass das Jenaplan-Gymnasium Nürnberg mit anderen staatlichen Gymnasien mithalten kann, beweist die Tatsache, dass der erste Abiturjahrgang, wie berichtet, ausnahmslos die Hochschulreife bestanden hat.

Schulgeld und Pädagogik

Das Jenaplan-Gymnasium Nürnberg ist eine private Schule, die vor neun Jahren von etwa 15 engagierten Eltern gegründet wurde. Der Träger ist deshalb auch die gemeinnützige Genossenschaft Jenaplan-Gymnasium, deren Mitglieder Eltern und Schüler sind.

Das Wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Gymnasium befindet sich im ehemaligen Werksgebäude der Dr. C. Soldan GmbH an der Stadtgrenze nach Fürth. Derzeit besuchen 130 Schüler das Gymnasium. Unterrichtet werden sie von insgesamt 20 Fachlehrern, zudem sind fünf Sozialpädagogen angestellt. Das Schulgeld liegt derzeit bei 440 Euro pro Monat. Ermäßigungen gibt es aber für Geschwisterkinder und sozial schwächer gestellte Familien.

Das Jenaplan-Gymnasium orientiert sich an der Pädagogik von Peter Petersen aus dem Jahr 1927. Dieser formulierte selbsttätiges Arbeiten, gemeinschaftliches Zusammenarbeiten und Mitverantwortung der Schüler- und Eltern als Kernziele.

Keine Kommentare