Kommentar: Wie sich die Volksparteien selbst abschaffen

20.10.2018, 13:49 Uhr
Die Union rutschte im neuesten "Deutschlandtrend" auf unter 30 Prozent.

© Peter Kneffel/dpa Die Union rutschte im neuesten "Deutschlandtrend" auf unter 30 Prozent.

Die Bundestagswahlen waren der erste Hinweis, die Abstimmung in Bayern hat es verfestigt und die momentanen Umfragen belegen es eindeutig: Das Land erlebt den Abstieg der beiden Volksparteien, die das Land knapp 70 Jahre geprägt haben. Die Union liegt bei unter 30 Prozent, die Sozialdemokraten halten sich gerade noch vor den Freien Demokraten. Und ein Boden ist nicht in Sicht - seit Monaten kennen diese Umfragewerte nur einen Trend, nämlich nach unten. Und, wer weiß, vielleicht bekommen die Sozialdemokraten eines Tages noch Schwierigkeiten mit der Fünf-Prozent-Hürde.

Das Sprichwort sagt: Wo Rauch ist, ist auch Feuer. Das heißt hier, dass es gute Gründe für diese Entwicklung  gibt. Sehr gute sogar. Denn: Ganz grundsätzlich braucht es Regierungen, um den Menschen ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen. Dass klappt natürlich nicht immer; aber die Wähler sollten wenigstens mitbekommen, dass sich die politische Führung darum bemüht.

Viele Baustellen

Das sind meist sehr klassische Themen: Bezahlbarer Wohnraum, gute Kitas und Schulen, faire Bedingungen im Job, eine angemessene Altersversorgung. Und möglichst große Sicherheit.

Zu erleben war in den ersten Monaten der Großen Koalition: ein politisch desorientierter Innenminister, der die Koalition wegen Kontrollen an den Grenzen aufs Spiel setzt, die erkennbar keinen Sinn machen. Ein Geheimdienstchef, der seinen politischen Verstand verloren hat und aus diesem Grund befördert werden soll. Eine Kanzlerin, die diesem wirren Treiben zuschaut, ohne ein Machtwort zu sprechen.


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Zugleich gibt es Millionen Dieselfahrer, die von Autokonzernen betrogen wurden, aber keine ausreichende Unterstützung von der Politik bei ihrem Wunsch nach Nachbesserung oder Schadensausgleich bekommen. Ja, es gibt einen Dieselgipfel. Aber am Ende weiß keiner, wie die versprochenen Neukauf-Prämien oder Hardware-Nachrüstungen durchgesetzt werden können. Die Regierung, so sieht es jedenfalls aus, lässt sich von der Industrie vorführen.

Dazu kommt ein Sommer, der (fast) dem letzten Zweifler klar gemacht hat, dass der Klimawandel Realität ist. Aber die Große Koalition bekommt es - bisher jedenfalls - nicht hin, den Ausstieg aus der besonders schmutzigen Braunkohle zu organisieren. Stattdessen sieht sie tatenlos zu, wie in Nordrhein-Westfalen Staatsmacht und Klimaschützer im Kampf um den Hambacher Forst aufeinanderprallen.

Ein neues politisches System entsteht

Ja, ein bisschen was tut sich auch bei den klassischen Themen - soviel Fairness muss sein: Das Gute-Kita-Gesetz, die Mütterrente, die Mietpreisbremse. Aber das geht unter im restlichen Chaos.

Was tun Wähler, wenn sie mit der politischen Führung unzufrieden sind? Sie wenden sich ab. Das System, das das möglich macht, heißt übrigens Demokratie.

Aus diesem Grund entsteht jetzt ein neues politisches System: Mit sechs Parteien, von denen die meisten bei Wahlen auf zwischen zehn und 25 Prozent kommen. Darunter die aufstrebenden Grünen, die die richtigen Themen besetzt haben und sie geschickt intonieren.

Ja, das alles macht Regierungsbildung schwieriger; Zweier-Koalitionen werden zur Ausnahme werden. So ist das übrigens schon seit längerem in den Niederlanden, ohne dass das Land erkennbar Schaden genommen hat. Vor allem aber gibt es Hoffnung - nämlich dass die richtigen Lehren aus dem Niedergang der Volksparteien gezogen werden und die Politik einfach besser wird.

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