Volle Kirchen nur an Weihnachten: Wenn Glaube schwindet

23.12.2017, 14:45 Uhr
An Heiligabend sind sie wieder voll, die Kirchen. Aber sonst?

© Andreas Beil An Heiligabend sind sie wieder voll, die Kirchen. Aber sonst?

"Der lange Abschied vom Christentum": So betitelte das Institut für Demoskopie Allensbach eine Studie, die untersuchte, wie es die Deutschen mit der Religion halten. Ein Ergebnis: "Es sind die Christen selbst, die sich mehr und mehr von ihrem eigenen Glauben abgewandt haben."

Immer weniger Bedeutung haben demnach christliche Kernelemente, wie sie im Glaubensbekenntnis benannt werden. Geblieben sei bei vielen "eine vage Spiritualität". Fazit: "Man erkennt, dass das Christentum gleichsam von innen ausgehöhlt wird. Die wichtigsten Bestandteile der Botschaft verlieren an Bedeutung, die Bildsprache und manche plakativen Randaspekte behaupten sich dagegen besser."

Was bedeutet dieser Rückgang des Glaubens für ein Land? Religiös geprägte Menschen werden das anders beurteilen als Kirchenkritiker. Als unsere Zeitung gerade ein langes Streitgespräch über das Konfliktpotenzial von Religionen veröffentlichte, da kam von etlichen Lesern zugespitzt diese Reaktion: Am besten wäre eine (dann friedlichere) Welt ohne Religion.

Zu viele Religionskriege

Der Blick auf die Geschichte spricht jedenfalls nicht gegen diese Sicht: Zu viele Kriege und Konflikte wurden auch um des Glaubens willen ausgetragen. 2018 wird an den Beginn des 30-Jährigen Krieges vor 400 Jahren erinnert, der nicht zuletzt eine Spätfolge von Luthers Reformation samt der Glaubensspaltung war. Vor hundert Jahren, als sich der Erste Weltkrieg schon über drei Jahre hinzog, predigten zu viele Geistliche immer noch nationalistische Durchhalteparolen. Und erst das Versagen weiter Teile der Kirchen während des Nationalsozialismus sorgte dann dafür, dass Geistliche nach 1945 politisch sensibler und wacher wurden — inzwischen so sehr, dass die Wortmeldungen führender Vertreter manche nerven.

Reinhard Marx und Heinrich Bedford-Strohm, die obersten Repräsentanten der Katholiken und Protestanten, sind in der Tat politisch engagiert. Nationalismus sei ein Widerspruch zur universalistischen Botschaft der Bibel, so Marx kürzlich. Bedford-Strohm sagt in seiner Weihnachtspredigt ganz Ähnliches: "Gott wird Mensch. Er wird nicht zuerst Deutscher, Amerikaner, Russe oder Chinese." Die "Weihnachtsfreude" sei "die stärkste Medizin gegen den Virus des Nationalismus, der Fremdenfeindlichkeit und des religiösen Fanatismus".

Blutiges Ringen

Fromme Wünsche. Denn so aufgeklärt, so dezidiert anti-fundamentalistisch wie die (nicht mehr ganz so großen) Kirchen hierzulande sind die meisten anderen, auch christlichen Religionsgemeinschaften, nicht. Der Islam wird zerrissen vom blutigen Ringen zwischen Schiiten und Sunniten, für manche ein neuer 30-Jähriger Krieg. Radikale Strömungen machen aus dem Glauben eine Kampfansage, die im Extremfall in Terror mündet.

Da muss jene Verweltlichung, die Deutschland erlebt, nicht von Schaden sein. Mit Kirchen, die Konflikte eher moderieren als anfachen. Die aber nicht müde werden, unbedingter Fürsprecher der Schwachen zu sein — von denen es auch im reichen Deutschland zu viele gibt. "Die Kirche ist den Opfern jeder Gesellschaftsordnung in unbedingter Weise verpflichtet, auch wenn sie nicht der christlichen Gemeinde angehören", so formulierte Dietrich Bonhoeffer diese Aufgabe.

Die Kirche also als Mahner, Anwalt und Tröster: Das ist ihre Rolle in Deutschland. Da ist Weihnachten nicht für alle das Fest der Liebe und des Glaubens, manche nervt es, für viele ist es ein Moment des Feierns und Innehaltens in einer Welt ohne Ruhe, ein notwendiger Haltepunkt. In diesem Sinne: Allen ein frohes, friedliches Fest!

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