Fall Tatjana Gsell: Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt

22.11.2017, 18:19 Uhr
Millionärswitwe Tatjana Gsell stellt sich im Gericht den Fragen der Reporter.

© Hippel Millionärswitwe Tatjana Gsell stellt sich im Gericht den Fragen der Reporter.

Kurz vor Weihnachten 2014, elf Jahre nach der Tat, verurteilte das Landgericht Nürnberg-Fürth zwei Einbrecher wegen Raubes mit Todesfolge zu je elf Jahren Freiheitsstrafe – beide Männer gaben zu, dass sie in die Villa eingestiegen waren und den gesundheitlich angeschlagenen Franz Gsell mit Schlägen traktiert hatten. 

"Nachdem Tatjana im gleichen Jahr von allen juristischen Vorwürfen frei gesprochen und damit rehabilitiert wurde, zog sie sich bewusst aus der Öffentlichkeit und den Medien zurück", heißt es auf der Internetseite des Starlets – doch das Gegenteil ist der Fall. Die mittlerweile 46-Jährige kämpfte vergeblich um ihren Ruf. Doch wieso eigentlich? War denn nach der Verhandlung 2014 am Landgericht nicht endlich ans Licht gekommen, was sich am 5. Januar 2003 im Hause Gsell wirklich zugetragen hatte? Zwei Einbrecher, maskiert mit Mützen, bewaffnet mit Äxten, waren in die Villa des Arztes eingedrungen. Sie hinterließen DNA-Spuren und gestanden die Tat.

Autoschieber angeheuert

Ein Einbruch, der in krassem Widerspruch zu früher ergangenen Urteilen steht? In den Jahren 2003/2004 ging die Justiz davon aus, dass Tatjana Gsell und ihr Jugendfreund Stefan M., er war damals in Hof Staatsanwalt, zwei Autoschieber aus Belgrad angeheuert hatten, damit diese am 5. Januar 2003 einen Mercedes 500 SL stehlen. Der Wagen sollte verhökert werden. Dass es diesen Plan gab, hat Tatjana Gsell nie bestritten – doch sie sagt heute auch, ebenso wie die Autoschieber, dass er nie umgesetzt wurde.

Das Auto parkte in jener Nacht vor dem Anwesen, der Chirurg hatte es Tatjana zum Geburtstag geschenkt. Nach dem vorgetäuschten Überfall ergingen Urteile gegen Tatjana Gsell, den Staatsanwalt und zwei Autoschieber wegen versuchten Versicherungsbetrugs. Der Tod des Doktor Gsell blieb ungesühnt, man ging davon aus, dass der Coup aus dem Ruder lief.

Falsches Geständnis

Die Urteile gegen Tatjana Gsell und ihren Jugendfreund Stefan M. fußten auch auf einem falschen Geständnis von Tatjana Gsell – ein falsches Geständnis, dessen Gründe in den modernen Folterwerkzeugen der Strafverfolgung vermutet werden können. Sie saß bereits in U-Haft, als ihr ein polizeilicher Ermittler einen weiteren Haftbefehl vor die Nase hielt, in dem sie für Franz Gsells Tod mitverantwortlich gemacht wurde. Als ihr das Angebot gemacht wurde, aus dem Gefängnis zu kommen, würde sie den Versicherungsbetrug nur zugeben, nahm sie an und ergriff ihre Chance. 

So entstand ein Geständnis ohne Wert, weil sie nur einräumte, was der Ermittler hören wollte. "Was hätte sie denn tun sollen", betont Nicole Obert, Gsells Rechtsanwältin, "die Wahrheit wurde ihr damals ja nicht geglaubt."

Doch als die Einbrecher 2014 verurteilt worden waren, 2015 der Bundesgerichtshof das Urteil bestätigte, schien die Dinge anders zu liegen. War denn jetzt nicht klar, dass der Raub, der Überfall auf Doktor Gsell, eben kein entglittener Schein-Überfall auf eine Villa zum Zwecke des Versicherungsbetrugs war – sondern die Tat zweier Kleinganoven, die sich für ihren Einbruch eben das noble Erlenstegen ausgesucht hatten? Rechtsanwältin Obert strebte, ebenso wie Martin Reymann-Brauer, der Verteidiger des Staatsanwalts Stefan M. ein Wiederaufnahmeverfahren an.

Der Aktenkoloss, der sechseinhalbtausend Seiten fasst, wurde ins Amtsgericht Fürth gekarrt und der zuständige Amtsrichter reagierte flott: Bereits im Januar 2016 erließ er einen Beschluss, allerdings versehen mit dem Hinweis "Entwurf": Demnach sollte Tatjana Gsell freigesprochen werden. Unwahrscheinlich, dass gegen dieses Ergebnis einer protestiert, oder, wie der Jurist formuliert, Rechtsmittel eingelegt hätte – waren doch die Verteidigung und die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth einhellig der Meinung, dass Frau Gsell Entschädigung zusteht.

Und doch gelangt der zuständige Richter im Amtsgericht Fürth, nun, fast zwei Jahre später, "nunmehr nach eingehender Prüfung des komplexen Gesamtvorgangs" zu der Einschätzung, dass Tatjana Gsell keine Wiederaufnahme bekommt.

Denn in jener Nacht vom 5. Januar 2003, so die Theorie, könnte es im Hause Gsell auch zu zwei Straftaten gekommen sein: Demnach waren die beiden Einbrecher nicht die einzigen Halunken in der Villa – auch die Helfer der Tatjana Gsell, namentlich der Ex-Staatsanwalt und die Autoschieber aus Belgrad, wären vor Ort gewesen.

Die Frage, wie naheliegend diese Theorie ist, mag jeder für sich beantworten. Zumindest gab es, auch das stellte das Landgericht 2014 fest, keinerlei Verbindung zwischen den Einbrechern und jenen vier Personen, die 2004 verurteilt worden waren – also Tatjana Gsell, Stefan M. und den beiden Autoschiebern.

"Enttäuscht und traurig"

2004 habe sich die Justiz verrannt, sagt Rechtsanwältin Obert, sie sei "enttäuscht und traurig", dass heute nicht erkannt wurde, wie leicht das Verfahren hätte "glatt gezogen" werden können, lagen doch mit dem Urteil von 2014 neue Beweise vor, die per Wiederaufnahmeverfahren hätten geprüft werden können.

Stattdessen argumentiert das Amtsgericht Fürth nun ebenso wie zuletzt das Landgericht Regensburg. Das Gericht hatte den Wiederaufnahmeantrag des Ex-Staatsanwalts Stefan M. verworfen, auch mit einer Beschwerde beim 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg unterlag er. Die Hürden für ein Wiederaufnahmeverfahren sind hoch: Das Gesetz verlangt nicht nur neue Tatsachen und Erkenntnisse – diese sollen auch einen Freispruch des Angeklagten begründen.

Diese sieht das Amtsgericht, ebenso wie im Parallelverfahren das OLG Nürnberg, nicht. Anwältin Obert wird dagegen Beschwerde einlegen – vor dem OLG Nürnberg: "Denn die Hoffnung stirbt zuletzt".