Tatjana Gsell soll zur Klärung des Mordfalls beitragen

6.10.2014, 06:00 Uhr
Tatjana Gsell soll in Nürnberg vor Gericht aussagen.

© dpa Tatjana Gsell soll in Nürnberg vor Gericht aussagen.

Im Januar 2003 wurde der Nürnberger Schönheitschirurg Franz Gsell (76) in seiner Villa in Nürnberg-Erlenstegen überfallen, misshandelt und beraubt. Er starb einige Wochen später im Krankenhaus an den Folgen.

Lange war unklar, ob Tatjana Gsell überhaupt nach Nürnberg kommen würde. Zunächst konnte die Ladung an ihrem derzeitigen Wohnort nicht zugestellt werden. Mittlerweile soll sie das Schreiben aber bekommen haben. Die 43-Jährige lebt nach Angaben auf ihrer Internetseite in London und gibt den Beruf "Starlet" an.

Ursprünglich hatte das Nürnberger Schwurgericht geplant, die Witwe in dieser Woche zu vernehmen. Nun wurde ihr Auftritt vor Gericht aber auf einen späteren Zeitpunkt vertagt. Dann muss Tatjana Gsell auch die Fragen von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung beantworten. Zwar billigt die Strafprozessordnung engen Verwandten und Ehepartnern ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Das gilt aber nur für Angehörige von Beschuldigten und Angeklagten, denen nicht zugemutet werden soll, ihre Partner zu belasten. Angehörige von Opfern haben dieses Recht nicht.

Mit Spannung wird erwartet, was die 43-Jährige zu den Hintergründen des Überfalls zu sagen hat. Zum Tatzeitpunkt selbst war sie nicht vor Ort. Sie weilte am 5. Januar 2003, dem Tag, an dem ihr Mann Franz in seiner Villa in der Sibeliusstraße, überfallen wurde, mit ihrem Liebhaber, einem 29 Jahre älteren Autohändler aus Düsseldorf, im spanischen Marbella. Erst zwei Wochen nach der Tat reiste sie, wie Medien damals berichteten, zurück nach Franken. Ihr Mann lag mit Prellungen, Rippenbrüchen, Lendenwirbelfraktur und einer Lungenquetschung im Krankenhaus. Franz Gsell war von den Einbrechern gefesselt, geknebelt und misshandelt worden. Davon erholte er sich nicht mehr: Am 26. März 2003 starb er an multiplem Organversagen.

173 Tage in Untersuchungshaft

Anfangs verdächtigten die Ermittler Tatjana Gsell, den Raubüberfall an ihrem Mann in Auftrag gegeben zu haben. Einen Monat nach dem Tod ihres Gatten wurde sie festgenommen, 173 Tage saß sie in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft warf ihr gemeinschaftliche Nötigung, Körperverletzung mit Todesfolge und versuchten Versicherungsbetrug vor.

Die Polizei hatte eine SMS von Tatjana Gsell an eine international tätige Autoschieberbande abgefangen. Die Kriminellen, das klärte eine Sonderkommission der Kripo in Aalen auf, boten Autobesitzern in Deutschland an, ihr Fahrzeug zum Schein zu klauen und gegen eine Provision ins Ausland zu bringen. Dort wollten sie die Karossen teuer verkaufen und den Gewinn den Besitzern auszahlen. Die Fahrzeughalter sollten ihr Auto zudem gestohlen melden und zusätzlich die Versicherungssumme kassieren. Die Nürnberger Polizei vermutete damals, dass Franz Gsell in Streit mit den Autoschiebern geraten sein könnte und diese ihn niedergeschlagen haben könnten.

In einem Prozess wurde Tatjana Gsell im Jahr 2004 für schuldig befunden, den Diebstahl an ihrem SKlasse-Mercedes inszeniert zu haben. Eine Beteiligung an dem Raubüberfall konnte aber weder ihr noch den Autoschiebern nachgewiesen werden. "Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass sie den Tod ihres Mannes wollte oder billigend in Kauf nahm", sagte ein Justizsprecher damals zur NZ. Verurteilt wurde die Witwe trotzdem: Wegen versuchten Versicherungsbetruges und Vortäuschens einer Straftat kassierte sie 16 Monate Haft auf Bewährung und 30.000 Euro Geldstrafe. Ein Jahr später wurden die Autoschieber wegen versuchten gewerbsmäßigen Betrugs und Anstiftung zum Versicherungsbetrug zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Gerüchte, die Tatjana Gsell weiterhin mit dem Tod ihres Mannes in Verbindung brachten, verstummten aber erst Jahre später. 2010 brachte ein Zufallstreffer die Polizei auf eine neue Spur: Nachdem Ermittler bei einem Diebstahl in Dänemark 2010 eine Speichelprobe von einem Täter nahmen, fiel beim Abgleich in der DNA-Datenbank von Interpol auf, dass der genetische Fingerabdruck mit Spuren übereinstimmt, die in Nürnberg in der Nähe des Tatorts gefunden worden waren. Die Kripo hatte unmittelbar nach dem Überfall Mützen in einem Gebüsch an der Grimmschule sichergestellt, in denen sich menschliches Material fand. Die DNA gehörte zu einem Mann aus der rumänischen Stadt Cluj-Napoca (Klausenburg).

Wichtige Hinweise vom Sterbebett

Der Verdacht gegen diesen und einen weiteren Mann erhärtete sich, als 2010 plötzlich ein Informant auftauchte: Ein älterer, schwer kranker Mann meldete sich bei der Polizei. Er wolle vor seinem Ableben reinen Tisch machen. Er gab an, dass er die Verdächtigen sowie weitere Männer Anfang 2003 nach Nürnberg gefahren hatte. Ein Teil seiner Mitfahrer sei eine Zeit lang verschwunden gewesen und dann mit einem Koffer zurückgekehrt. Sie hätten sich auf der Heimfahrt im Fond seines Campingmobils über den Überfall auf einen "Dr. Silikon" unterhalten.

Einer der Verdächtigen wurde in Rumänien festgenommen, der zweite in Frankreich. 2011 saßen sie dann in Untersuchungshaft in Nürnberg. Weil sich das Ermittlungsverfahren zu lange hinzog und die Männer über ein Jahr in Untersuchungshaft saßen, mussten sie auf Beschluss des Oberlandesgerichts im Februar 2012 freigelassen werden. Sie tauchten in ihrem Heimatland unter. Im Anschluss scheiterten alle Versuche, die beiden vor Gericht zu stellen. Dann wurde einer der beiden Männer in Frankreich bei einer anderen Straftat geschnappt und hinter Gitter gebracht. Im Sommer wurde er an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Sein mutmaßlicher Komplize erschien freiwillig. Ihm wurde bis zu einem Urteilsspruch freies Geleit zugesichert.

An den bisherigen vier Prozesstagen haben vor allem Polizisten ausgesagt, die unmittelbar nach dem Überfall 2003 und – nachdem es eine neue heiße Spur gab – ab 2010 ermittelten. Auch ein, allen bisherigen Erkenntnissen nach nicht mit der Tat in Verbindung stehender Mitfahrer aus dem Campingmobil, reiste aus Rumänien an und sagte aus. Der Ingenieur bestätigte zumindest teilweise die Aussagen des Hauptinformanten. Dessen Einlassung konnte nur verlesen werden. Dem 71-Jährigen geht es gesundheitlich so schlecht, dass er nicht vernehmungsfähig ist.

Angeklagte schweigen

Trotz der eindeutigen Spuren und der belastenden Zeugenaussagen hüllen sich die beiden Angeklagten Vasile R. (38) und Ioan F. (45) nach wie vor in Schweigen. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die beiden Männer am 5. Januar 2003 maskiert und mit einem Beil bewaffnet in die Privatwohnung von Franz Gsell eindrangen. Sie sollen von dem 76-Jährigen Geld gefordert und ihn geschlagen haben. Dann sollen sie den Arzt gefesselt, geknebelt und verletzt zurückgelassen haben und mit Bargeld und Schmuck geflohen sein.

Dieser Ablauf ist aus Sicht der Anklage eindeutig. Dennoch bleiben zahlreiche offene Fragen: Zum Beispiel lässt sich schwer erklären, wie Franz Gsell gefesselt und mit einem Knebel im Mund einen Notruf bei der Polizei absetzen konnte. Unklar ist auch, wie 5000 Euro in Bar, die bei dem Überfall aus dem Tresor gestohlen worden sein sollen, später in einem Sicherungskasten in der Gsell-Villa auftauchen konnten. Der Hauptbelastungszeuge will auch gehört haben, dass die beiden Angeklagten auf der Heimreise berichteten, dass sie der Arzt selbst ins Haus gelassen hatte und sie später dann ein Fenster einschlugen, um es wie einen Einbruch aussehen zu lassen.

War also vielleicht nicht nur der Mercedes-Diebstahl sondern auch der Überfall inszeniert? War das Überfallopfer am Ende gar in die Pläne eingeweiht? Um das zu klären hat das Nürnberger Schwurgericht acht weitere Verhandlungstermine bis Anfang November anberaumt. Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche sollen unter anderem eine Haushaltshilfe der Gsells und ein Mitglied der Autoschieberbande aussagen. Außerdem werden Zeugen gehört, die Beweismittel gefunden haben. Schließlich ist ein Jugendfreund geladen, der 2003 am inszenierten Diebstahl von Tatjana Gsells Luxuslimousine beteiligt gewesen sein soll.

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