Heinz Höher: Ein Leben, unvollendet und trostreich

8.11.2019, 19:30 Uhr
Keiner saß länger auf der Nürnberger Trainerbank als er: Heinz Höher führte den Club zum Aufstieg und in den Uefa-Cup.

© Sven Simon Keiner saß länger auf der Nürnberger Trainerbank als er: Heinz Höher führte den Club zum Aufstieg und in den Uefa-Cup.

Bei seinem letzten Besuch in dieser Redaktion bat Heinz Höher darum, ihm sehr genau zuzuhören. Es ging ihm nicht um das Gewicht seiner Worte. Heinz Höher war nie eitel. Aber die Konzentration, erklärte er, leide inzwischen, er verliere mitunter einen Gedanken – an den man ihn dann bitte erinnern möge.

Es lohnte immer, Heinz Höher sehr genau zuzuhören. Er war ein geistreicher, humorvoller Mensch, er hatte viel zu erzählen, und zu diesem letzten Gespräch hatte er wieder allerhand mitgebracht. Drei selbst verfasste Kurzgeschichten zum Beispiel, zwei frei erfundene, eine mit einem wahren Hintergrund. Er werde, schlug Höher vor, in ein paar Tagen anrufen, um die Sache aufzulösen. Was ist wahr? Was erfunden? Ob man Lust habe auf so ein Rätselspiel?

Heinz Höher mochte alles, was die Phantasie anregt, wenn man mit ihm über sein Leben sprach, konnte man sich das auch fragen: Kann das alles wahr sein? Der ballgewandte Stürmer Höher stand im Notizbuch des legendären Bundestrainers Sepp Herberger, er war ein sehr guter Fußballer, später war er ein junger, moderner und erfolgreicher Trainer. Ein früher Unfalltod nahm ihm seinen Sohn, er verfiel dem Alkohol, er war spielsüchtig, stürzte ab und stand wieder auf.

Der schöne Blick auf den Teich

"Es ist mein Leben, und ich finde nicht, dass es ein besonders spektakuläres Leben ist", sagte er: "Ich habe es gerne gelebt und lebe es gerne" – zuletzt tat er es zurückgezogen, stark angeschlagen von Alter und Krankheit, sein Lieblingsplatz in Nürnberg war eine Bank im Park am Marienberg, von der aus man einen schönen Blick auf den Teich hat. Viel mehr brauchte Heinz Höher gar nicht, ihm lag nicht besonders an Gesellschaft. "Ich genieße es, dort zu sitzen, mehr unter Menschen muss ich aber nicht sein", sagte er, und: "Ich finde schon, dass ich freundlich bin, aber zurückhaltend."

Das traf es gut, wen Höher mochte, den ließ er eine feine, ganz und gar unaufdringliche, aber sehr innige Wertschätzung spüren, man konnte über alles reden, auch über dieses Leben, das, in seiner Intensität, Leidenschaft, Zerrissenheit und all seinen Zweifeln, ruinöse Züge hatte, trotzdem auf manchmal anrührende Weise tröstlich erschien – und spät noch einmal verewigt wurde, als dem Journalisten Ronald Reng 2013 mit "Spieltage" eine außerordentliche Biographie über Heinz Höher gelang, ein Bestseller, der von Rengs Einfühlungsvermögen und Höhers Offenheit lebt.

Höher mochte das Buch sehr, aber es gäbe, sagte er im Gespräch darüber, sogar noch viel mehr zu erzählen – vor allem über die Jahre beim 1.FC Nürnberg, bei dem Höher, und in diesem Fall ist das kein zu großes Wort: Fußball-Geschichte schrieb. Heinz Höher, geboren 1938 in Leverkusen, spielte für Bayer 04 in der Oberliga und später, nach Gründung der Bundesliga, für den Meidericher SV in Duisburg, für ein Jahr wechselte er zum FC Twente nach Enschede in die Niederlande. Mit dem VfL Bochum stand er 1968 im gegen den 1.FC Köln verlorenen Pokalfinale, in Bochum lernte er auch das Trainerhandwerk – und trat, nach drei kurzen Missionen in Griechenland, am 1. Januar 1984 beim hoffnungslos schlingernden Bundesligisten 1.FC Nürnberg an.


Kuchen, Club und Revolution: Erinnerungen an Heinz Höher


Trotz des absehbaren Abstiegs setzte der junge Präsident Gerd Schmelzer auf Höher, es wuchs eine Lebensfreundschaft von zwei Männern, die mutig waren, visionär, auch illusionär, die es wagten, ganz groß zu träumen – und die zusammenhielten, als Teile der Mannschaft einen Aufstand gegen den mitunter eigenwilligen, auch autoritären Trainer probten.

Schmelzer entließ nicht Höher, sondern die Wortführer der Rebellen, das war ein Novum im deutschen Fußball. Die Nürnberger Oktoberrevolution von 1984 ging als starkes Kapitel in die Sport-Historie ein, und Höher schaffte mit einer jungen, begeisterungsfähigen Mannschaft nicht nur den sofortigen Wiederaufstieg – er führte den Club 1988 in den Europapokal. "Ich würde auf keinen von ihnen zugehen", sagte er noch Jahrzehnte später über die Aufständischen, "an einem Gespräch bin ich nicht interessiert." Er habe sich damals sehr um den Nürnberger Weg gesorgt, aber auch um seine persönliche Zukunft, er sah Nürnberg, nach zuvor wechselvollen Trainerjahren, als große Chance, er blieb Schmelzer immer dankbar für dessen Haltung – "obwohl ich dann", wie er mit der ihm eigenen Selbstironie auch sagte, "aus heutiger Sicht nicht so viel aus dieser Zukunft gemacht habe".

Zwei linke Hände

Nach viereinhalb Jahren im Amt, das ist bis heute der Nürnberger Bundesliga-Hausrekord, wechselte Höher glücklos auf den Posten des Managers, zog weiter zum Ittihad FC nach Saudi Arabien und scheiterte 1996 schon am ersten Tag beim VfB Lübeck – gezeichnet vom Alkohol, er brach vor dem Training zusammen. Er zog zurück nach Nürnberg und betreute für einige Jahre sehr einfühlsam den jüngeren Nachwuchs der Spielvereinigung Greuther Fürth.

Vom Alkohol befreite er sich spät und aus eigener Kraft. "Früher fühlte ich mich sauwohl, wenn ich getrunken habe, aber das war vorbei, ich habe gemerkt, dass ich es nicht mehr brauche." Er erzählte es frei von Reue, verbittert hat man ihn nie erlebt. Er habe, sagte Höher, "auch in schweren Zeiten auf die Sonnenseite gesehen", Neid zum Beispiel sei ihm ein vollkommen fremdes Gefühl – auch wenn, wie er überlegte, "man sich einmal bei dem Gedanken ertappt, was vielleicht möglich gewesen wäre, wäre manches etwas anders gekommen", nur: "Der Gedanke verfliegt schnell wieder."

Zum letzten Besuch in der Redaktion hatte Heinz Höher noch eine linke Hand mitgebracht. Eine aus Plastik. Er streifte sie über seine rechte und lächelte. Er habe, sagte er, zwei linke Hände – "und deshalb habe ich im Leben nie richtig arbeiten müssen". Am Donnerstag ist Heinz Höher, fünf Jahre nach seiner Ehefrau Doris, im Alter von 81 Jahren gestorben.

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