Der Norden Floridas: Hoffentlich auf Wiedersehen

26.10.2020, 12:52 Uhr
Zum Baden ist es zu kalt.

© Gudrun Bayer Zum Baden ist es zu kalt.

Aus Rogers Mail spricht Zuversicht. Genau die Zuversicht, mit der er mich mitgerissen hat, als wir uns in seiner Destillerie auf dem Inselchen Amelia Island trafen. Eine Zufallsbegegnung, wie sie zum Reisen gehören; unter anderem seinen Reiz ausmachen. Zwei Menschen, die sich vorher noch nie gesehen haben, die aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen, die ein unterschiedliches Leben führen. Und die sich plötzlich in einem intensiven Gespräch über genau dieses Leben wiederfinden. Die einander zu neuen Blickwinkeln verhelfen; sich gegenseitig die Perspektive weiten.

Eine Stunde blieben Roger Morenc und mir Zeit, bevor mich der Shuttle-Bus zum Flughafen brachte. Eine Stunde, in der er mir seine Geschichte erzählte. Die vom dauer-arbeitenden Daten-Analysten einer Fluggesellschaft, der nach 20 Jahren von Atlanta nach Dallas versetzt werden sollte, das nicht wollte, den Job hinwarf, sich in Europa im Schnapsbrennen und Likörherstellen ausbilden ließ, dann als 45-Jähriger in Fernandina Beach, dem prägenden Städtchen auf Amelia Island im Nordosten Floridas, seine eigene Destillerie gründete. Alles in Absprache mit seiner Frau, wie er lächelnd einfügt.

Sie hat ihm den Spiegel vorgehalten. Sie hat ihm Mut zum Loslassen und Neuanfangen gemacht. Und sie ist jetzt, da "Marlin & Barrel" zwar läuft und von Rum über Whiskey bis Wodka 19 verschiedene alkoholische Getränke produziert, aber längst noch keinen großen Gewinn abwirft, mit einer Halbtagsstelle die finanzielle Stütze der vierköpfigen Familie. "Sie ist die Besserverdienerin", sagt ihr Mann. "Daran musste ich mich erst gewöhnen. Ich bin mit einem traditionellen Rollenbild aufgewachsen". Jetzt, als 50-Jähriger, ist er "stolz auf die Destillerie, aber auch stolz darauf, wie ich mich geändert habe".

Ein paar Monate ist dieses Gespräch erst her. Und doch fand es in einer vergangenen Epoche statt. In der Vor-Corona-Zeit. Damals, als wir Fernreisen als Selbstverständlichkeit nahmen; nur begrenzt durch den Geldbeutel, die Zahl der verfügbaren Urlaubstage und vielleicht noch durch das eigene Umweltgewissen. In einer Zeit, in der ich sicher war, Roger Morenc nach Lust und Laune wieder besuchen zu können. Ihn und Florida.

Der Austausch mit dem Schnapsbrenner versöhnte mich mit einer etwas eingetrübten Reise. Eine seltene Kaltfront war genau in den Tagen unseres Aufenthalts über die Region gezogen. In einer Zeit, in der es dort bis zu 28 Grad warm wird, bibberten wir bei 13 bis 18 Grad. Danach sorgte Sturmtief immer wieder für windgepeitschten Regen. Florida-Feeling? Fehlanzeige. Wenig sunshine im Sunshine-State. Die Einheimischen, da waren wir sicher, liefen nur deshalb noch in kurzen Hosen herum, weil sie keine langen besitzen. Wir Gäste aus Deutschland jedenfalls zogen alles übereinander an, was der Koffer so hergab, und kauften noch einiges dazu.

Crabby Joe's Deck & Grill steht auf einer Seebrücke im Atlantik. Hier gibt es neben Fisch auch wunderbare Frühstücks-Omlettes.

Crabby Joe's Deck & Grill steht auf einer Seebrücke im Atlantik. Hier gibt es neben Fisch auch wunderbare Frühstücks-Omlettes. © Gudrun Bayer

Wie viel wir trotzdem erlebten, wurde mir erst hinterher bewusst. Beim Sichten der Fotos, beim Nachdenken über den Artikel. In Daytona zum Beispiel besuchten wir nicht nur die berühmte Rennstrecke, sondern hatten ein grandioses Frühstück bei Crabby Joe's, das auf einer hölzernen Seebrücke im Atlantik liegt. Wer nach unten schaut, kann zwischen den Planken hindurch das tosende Wasser sehen. Im netten Städtchen New Smyrna Beach taten wir uns im "The Hub on Canal" um, einem Projekt, das in einer ehemaligen Fabrik einen Raum für Kunst geschaffen hat. Jeder soll hier Zugang zu Kunst haben und finden.

Naschen vom Jungbrunnen-Wasser

Malerin Pamela Ramey Tatum war in ihrem kleinen Atelier gerade dabei, ein Hündchen auf einem ihrer Ölbilder verschwinden zu lassen. Das Bild war fertig gewesen, so die 59-Jährige. Dann beschloss sie, dass ihm ein Hündchen in der Mitte gut tun würde, machte sich nochmal dran. Doch der Hund geriet zu groß, jetzt muss er wieder weg. "So etwas geht gut bei Ölmalerei, zumindest so lange die Farbe noch nicht trocken ist", erklärte sie. Noch wird ihr die Malerei durch das Geld ihres Mannes ermöglicht. Doch ihr Ziel ist es, eines Tages mit den Bildern so viel zu verdienen, dass sie ihn und sich davon ernähren kann.

Am Ponce de León Inlet dann, dem höchsten Leuchtturm Floridas, blickten wir nach 203 Stufen in die Weite über den Atlantik. Und sammelten Wissen über Juan Ponce de León, den spanischen Entdecker Floridas, der 1513 hier erstmals an Land ging. Wir ließen uns im Marineland, in dem in den 1960ern die Fernsehserie Flipper gedreht wurde, von Delfin Cassiz durchs Becken ziehen (brrrr, war das Wasser kalt; wow, war das für ein beglückendes Gefühl, ein klitzekleines Stück mit einem Delfin zu schwimmen).

In St. Augustine, der angeblich ältesten Stadt der USA, naschten wir vom Wasser im Jungbrunnen-Park – ohne sehenswerten Effekt allerdings. Wir paddelten im Kajak bei plötzlich blauem Himmel mit Rangerin Terran McGinnis über das glitzernde Wasser einer Lagune im Anastasia State Park. Und wir schauten auf der Alligatoren-Farm 24 verschiedenen Arten von Krokodilen auf die Zähne und einem Komodovaran auf die Zunge.

Dann kam Amelia Island, die letzte Station der Reise. Die Insel ist etwa so groß ist wie Manhattan, das Ostufer bildet ein 21 Kilometer langer Sandstrand. Doch hier ging dann aus Wettergründen wirklich nicht mehr viel – außer einer unterhaltsamen Kleinbustour über die Insel und einem Abstecher ins Heimatmuseum. Und einer Schnapsprobe bei Roger Morenc. Den ich nach unserem Gespräch mit der festen Überzeugung verließ, ihn bei schönem Wetter wieder zutreffen.

Unser Ziel: Der Ponce de León Inlet Leuchtturm. Sein Name erinnert an Ponce de León, den spanischen Entdecker Floridas.

Unser Ziel: Der Ponce de León Inlet Leuchtturm. Sein Name erinnert an Ponce de León, den spanischen Entdecker Floridas. © Gudrun Bayer

Doch plötzlich zerstörte SARS-CoV-2 alle Pläne; die konkreten und die vagen. Florida, so die Nachrichten, gehört zu den besonders gebeutelten Bundesstaaten der USA. Oft dachte ich an die Destillerie. Kann sie den Lockdown überstehen; die Zeiten, in denen Bars und Clubs geschlossen haben, in denen Feste und Feiern verboten sind?

Ich schrieb Roger an. Und er antwortete voller Zuversicht: Im Norden Floridas, so ist ihr zu entnehmen, griff das Virus weit weniger um sich als im dichtbevölkerten Süden mit Miami und in der Mitte mit den Freizeitparks von Orlando. "Als weitläufige und urbane Region hatten wir glücklicherweise moderate Infektionszahlen" schreibt Roger Morenc. Er nutzte den Stillstand, in dem alle Einnahmen wegbrachen, um mit der Destillerie umzuziehen in ein neues Gebäude, das er schon vor Corona gekauft hatte. Der Umzug ist abgeschlossen, die Produktion ist wieder angelaufen.

"Mein Gefühl für die Zukunft ist, dass Covid nicht ewig dauern wird. Genauso, wie auf das Ende der Spanischen Grippe 1918 die Goldenen Zwanziger gefolgt sind, werden auch wir die Folgen des Nachholbedarfs sehen, der sich gerade anstaut. Wir sind trotz allem soziale Geschöpfe. Ich wäre überrascht, wenn wir nach dem Ende der Pandemie mehr als nur eine geringe Veränderung spüren würden."

Das sehe ich ein anders. Ich denke, wir erleben eine Phase der tiefgreifenden Veränderung. Unbeschwertes Fernreisen kann ich mir gerade nicht mehr vorstellen. Und doch hoffe ich, mich mit Roger Morenc eines Tages auf Amelia Island wieder direkt austauschen zu können. Diesmal wohlgeplant. Und bei Badewetter, bitte.

Mehr Informationen:
www.visitflorida.com
Wann Reisen in die USA wieder möglich sind, ist derzeit völlig offen.

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