Zuschauerrekord beim FCN
75.000 in Nürnberg! "Fußball ohne Fans ist scheiße"
30.5.2021, 05:51 UhrEr ist unten, soll aber wieder hoch. Sie treiben ihn an. Mit tausenden Unterstützern, die ausharren vor dem Stadion. Im Club-Sommer 1971, lange vor einer Zeit, als Zuschauer Spiele des FCN nicht live vor Ort verfolgen dürfen. Sich pandemiebedingt nicht drängeln können vor Nürnbergs Arena. Nie mehr davor oder danach wird der Club eine solche Heimkulisse haben wie an diesem 30. Mai 1971, dessen Ausgang jedoch reichlich unerfreulich ist.
Deutschlands Rekordchampion ist zwei Jahre zuvor abgestiegen, als Meister. Ungeachtet gewaltiger organisatorischer Missstände, für die sich der Verein im Nachgang entschuldigen wird, schickt sich der FCN an, seinen Betriebsunfall an diesem Tag zu korrigieren. Im zweiten Spiel der Aufstiegsrunde muss er gegen Düsseldorf liefern. Die erste Partie der Konkurrenz hat der Club in Neunkirchen, beim Südwestmeister der fünfgleisigen zweiten Liga, deren beste Vertreter nun nach oben streben, in den Sand gesetzt. Mit 0:1 verloren. Obwohl das "über 90 Minuten ein Spiel auf ein Tor war", wie Dieter Nüssing, schon damals Führungskraft des FCN, berichtet.
Offene Pforten, aber keine Bundesliga-Rückkehr: "Sie haben die Marathontore aufgemacht", die Zugänge zum Stadioninnenraum, erinnert sich Nüssing - in der Meistersaison als Talent von der Mosel zum Club gekommen und mit diesem in der Spielzeit darauf abgestiegen - an die Begleitumstände eines ziemlich unschönen Nürnberger Nachmittags. An eine Auseinandersetzung, die schon wieder 50 Jahre her ist.
Chaos rund um den Club
Viel zu viel ist los in der Noris an diesem Frühsommertag im Jahr 1971, als die Altbierstädter beim Altmeister gastieren. Ein "Rekord-Pfingsten" haben die eigentlich nicht zu solch grellen Überschriften neigenden NN im Vorfeld angekündigt. Und Recht behalten. Sudetendeutscher Tag, Veranstaltungen im Rahmen des Albrecht-Dürer-Jahres, Ferien- und Naherholungsverkehr - in Erlangen feiert man Bergkirchweih. Auf den staugeplagten Straßen rund um die Spielstätte des latent eh zum Chaos neigenden Clubs geht es weit vor dem Anstoß chaotisch zu.
Dass 75.000 Zuschauer überhaupt den FCN vor Ort auf seiner Aufstiegsmission verfolgen wollen, zeigt die Zuneigung zu Deutschlands Rekordmeister aus Nah und Fern. Sie überrascht an diesem Sonntag dennoch alle. Besonders Nürnbergs Lieblingsverein, der vom immensen Publikumsandrang in jeglicher Hinsicht überfordert ist. An den Kassen vor dem Stadion wird verkauft, verkauft und verkauft. "Proppenvoll", erinnert sich Harald Kaiser, Club-Historiker und langjähriger Berichterstatter des kicker, sei das Stadion bereits weit vor Anpfiff gewesen. Kein Ende des Zustroms aber in Sicht, um ein Fußballspiel dort zu verfolgen, wo der Bestwert in Sachen Zuschauer-Zuspruch vor der Saison-Zugabe bei 22.000 liegt und das Fassungsvermögen des Stadions bei knapp 60.000.
In der regulären Runde hat der Club vor der Niederlage in Neunkirchen Erwartungen auf seine Bundesliga-Rückkehr geweckt. Mehrere Spieltage, bevor es in die Direktvergleiche mit den anderen Regionalliga-Regenten geht, hat er sich in der Südstaffel die Meisterschaft gesichert – und damit vielleicht auch ein Stück weit an Spannung verloren. Das Spiel gegen Düsseldorf, das die Aufstiegsträume in dieser Saison beerdigt, hat Dieter Nüssing, der als späterer Kapitän auch in der Folge einige erfolglose Anläufe in Sachen Aufstieg unternehmen wird, als entsprechend unangenehm in Erinnerung.
Wie alle, die dabei sind. Und das sind viele. Während der Club, der gefühlt 30 Ecken, aber kaum Chancen hat und beim Ausnutzen dieser im Konjunktiv bleibt, zu berechenbar durchs Zentrum agiert, ist die Fortuna, die am Ende des Wettbewerbs hochgehen wird, frischer, moderner, direkter. "Einfach besser", wie Nüssing 50 Jahre später einräumt. Der Rahmen für eine denkbar schlechte Club-Partie, welche dieser mit 0:2 verliert, stellt deshalb einen Rekord in Sachen Zuschauern dar, weil man die tausenden Fans, die vor dem Stadion unwillig warten, aus Sicherheitserwägungen in der Halbzeit auf die Tartanbahn lässt. Mit oder ohne Ticket.
Ecken, Einsatz und Gedrängel
"Man konnte danach kaum noch einen Eckball schießen, musste dazu durch die Zuschauer", erklärt der 71-Jährige, dem man in punkto Einsatz wie immer keinen Vorwurf machen kann. Wie Nürnbergs anderen Spielern in diesem Gedrängel auch. Düsseldorf, das "eine Bombenmannschaft hatte", wie der "Nuss" berichtet, agiert auch nach Wiederbeginn zielstrebiger. Und mit mehr Elan als ein zwar couragierter, aber doch recht einfallsloser Club, der nicht seinen besten Tag erwischt.
"Nicht wirklich vorbereitet" und angesichts der außergewöhnlichen Drucksituation, welche dieser "nicht gut verkraftet" habe, als "hypernervös" empfand auch Harald Kaiser den FCN. Etwas, was durchaus schade war. Hatte der Club in seiner Regionalliga-Staffel unter dem jungen Barthel Thomas, den Nüssing dem Altmeister als im Rheinland erfolgreichen Nachwuchsförderer empfohlen hatte und als Nürnberger Amateurcoach schließlich befördert worden war, eine wirklich gute Figur gemacht. Zumindest, bis er sich - im Klassenkampf fortan chancenlos - gegen die Fortuna die zweite Niederlage in Folge zum schlechtmöglichsten Zeitpunkt fing.
Zuvor keine Zuschauer, dann zu viele: Wer von Dieter Nüssing, Nürnbergs 71-jährigem Sympathieträger, der dem Verein als scoutende Spürnase schon so viele tolle Spieler zugeführt hat, einen Vorwurf erwartet, dass der Club gegen Düsseldorf die Tore öffnete, geht indes fehl. In der damaligen Situation hätte dies die junge FCN-Mannschaft freilich "gehemmt". Sie habe - wie auch Kaiser festhält - im Anschluss "verkrampft und ohne echte Chance" agiert. Und trotzdem: Die Fans, zu denen Nüssing, dieser bodenständige Vorkämpfer beim Club, stets eine besondere Beziehung pflegte, wären in dieser Zeit enorm wichtig gewesen. Nicht TV-Gelder, sondern Zuschauereinnahmen stellten damals einen entscheidenden Faktor für die Vereine dar.
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Auch heute sind die Anhänger wichtig für den Club. In der noch andauernden Pandemiezeit wurde dies dem Mann, der in über 150 Spielen mehr als 50 Tore für den FCN erzielte, noch bewusster. "Der Heimvorteil macht in Nürnberg viel aus, er trägt einen", sagt Nüssing. Als er in der vergangenen Spielzeit vereinzelt im Stadion war, fehlte all das. "Mit 50 Mann, das hat mir nicht gefallen", sagt das emotionale Oberhaupt der Club-Familie.
"Eine außerordentliche Fußballstadt"
"Fußball ohne Zuschauer ist scheiße", konstatiert Nürnbergs Superscout und NLZ-Papa, der beim Anwerben junger und talentierter Kräfte für den Altmeister stets darauf hinweist, dass die Noris "eine außerordentliche Fußballstadt ist, welche die Jungs auf Händen trägt, wenn sie alles geben und Leistung bringen". In der Hoffnung, dass es – wenn vielleicht auch nicht vor 75.000 Zuschauern - bald wieder nach oben geht.
Dieter Nüssing Fußballgott #fcn
— Fadi (@Gopankhurst) February 10, 2017
+++ Glücksmomente beim FCN: Siege, Spaß und Shuranov +++
14 Kommentare
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