Corona-Regeln

"2G für Jugendliche grenzt an Verantwortungslosigkeit"

9.12.2021, 18:50 Uhr
Viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind momentan nur Geimpften oder Genesenen zugänglich.

© Martin Schutt, dpa Viele Bereiche des öffentlichen Lebens sind momentan nur Geimpften oder Genesenen zugänglich.

Was für einen Eindruck haben Sie: Wie geht es Jugendlichen?

Christian Löbel: Kinder und Jugendliche leiden unter einer noch viel stärkeren Belastungssituation als wir Erwachsenen. Das lässt sich auch an Zahlen festmachen. Experten sprechen von einer Pandemie psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Die Pandemie dauert jetzt zwei Jahre. Jemand, der zu Beginn 11 war, ist jetzt 13. Das sind in dem Alter ganze Lebensabschnitte unter pandemischen Ausnahmebedingungen.

Christian Löbel, Vorsitzender des Bezirksjugendrings Mittelfranken.   

Christian Löbel, Vorsitzender des Bezirksjugendrings Mittelfranken.   © privat

Aber seit Schuljahresbeginn war doch wieder sehr viel mehr möglich. Glauben Sie, es konnten Defizite in den letzten Wochen und Monaten aufgefangen werden?

Löbel: Eine richtige Normalität ist ja nie eingekehrt. Die Angebote fanden immer unter schwierigen Bedingungen statt. Vieles ist ausgefallen. Aber der Run zum Beispiel auf unsere Sondermaßnahmen im Rahmen des Sommerferienprogramms hat gezeigt: Der Bedarf ist riesig. Es wurden Angebote angenommen, von denen ich vor der Pandemie nicht gedacht hätte, dass sie auf Resonanz stoßen. Zoom-Stammtische zum Beispiel. Ich bin dankbar, dass die Leute in der Verbandsjugendarbeit, aber auch viele Jugendeinrichtungen wirklich mega-kreativ geworden sind.

Sind Jugendliche denn wieder zurückgekommen in die Einrichtungen?

Löbel: Das ist unterschiedlich je nach Einrichtung, Zielgruppe und Stadt oder Land. Was man feststellen muss: Der Zugang ist deutlich hochschwelliger geworden. Gerade offene Jugendeinrichtungen leben aber davon, dass man kommen und gehen kann, wie man will. Kontaktdatenerfassung, Impfnachweise - wie so oft in der Pandemie werden dadurch vor allem die Jugendlichen ausgeschlossen, die den stärksten Unterstützungsbedarf haben, weil sie kein gut organisiertes, behütetes Elternhaus haben. Die Pandemie erschwert aber auch die Zukunft der Jugendverbände: Ich sehe Schwierigkeiten, die Mitglieder dazu zu bewegen, Verantwortung etwa als Jugendleitung zu übernehmen. Die dafür in Frage kommende Lebensspanne ist einfach zu kurz.

Der BJR spricht von einem faktischen Lockdown. Worin liegt der?

Löbel: Der faktische Lockdown liegt darin, dass Kinder und Jugendliche nicht selbst in der Hand haben, ob sie geimpft werden möchten oder nicht. Ich halte eine Impfung auch für Jugendliche für eine vernünftige Risikoabwägung. Aber es bleibt ein medizinischer Eingriff, der überlegt sein muss und darf. Ich finde, dass man Jugendliche sehr unter Druck setzt, indem soziale Teilhabe an eine Impfung geknüpft wird. Es gibt mehrere Hindernisse: Erstens haben Jugendliche erst viel später ein Impfangebot erhalten. Zweitens basiert ihre Entscheidung auf einer anderen Abwägung als bei Erwachsenen - sie tun das nicht unbedingt aus Selbstschutz heraus, sondern zum größten Teil und nach unserem heutigen Wissensstand als Akt der Solidarität. Vor allem können sie die Entscheidung aber drittens gar nicht selbst treffen. Sie brauchen die Einverständnis der Erziehungsberechtigten.

Sprich: Sie sind gegen die 2G-Regelung für Jugendliche.

Löbel: Unbedingt. Ich halte es für eine schlechte Entscheidung und eine unsolidarische. Gerade Kinder und Jugendliche haben sich in der Summe während der ganzen Pandemie sehr solidarisch verhalten. Sie mussten mitten in wichtigen Entwicklungszeiträumen ihr Leben komplett umkrempeln, ohne dass für sie eine unmittelbare Gefahr bestand. Abgesehen davon ist da diese nicht nachvollziehbare Schieflage: Der Besuch in Restaurants und Hotels ist erlaubt, der von Jugendzentren nicht. Das entbehrt jeglicher Logik. Abgesehen von der, - und das macht es nicht besser - dass aus einer Perspektive von Wähler und Wählerinnen gedacht wird. Deren scheinbare Bedürfnisse werden beachtet. Jugendliche fallen da erneut runter. Das verkennt allerdings die Situation der Jungen und die wesentliche Bedeutung unserer Angebote vor allem im Hinblick auf deren psychische Überlastung. Das grenzt an Verantwortungslosigkeit.

Was brauchen wir dafür?

Löbel: Es fehlen an allen Fronten Ansprechpartner und Ansprechpartnerinnen, mit denen ein vertrautes Wort gewechselt werden kann, die Zwischentöne wahrnehmen und die Signale senden und empfangen können. Dazu brauchen Jugendliche Räume, wo sie außerhalb des Unterrichts auf Erwachsene treffen, denen sie vertrauen, und wo sie sich mit Gleichaltrigen austauschen können.

"Jugendliche wollen ihr Leben zurück"

Wie wird die Impfung bei Jugendlichen diskutiert? In der Erwachsenenwelt gibt es ja das Pro- und das Contra-Lager.

Löbel: In der Jugend spiegelt sich die gesellschaftliche Diskussion wieder. In der organisierten Jugendverbandsarbeit nehme ich aber eher wahr, dass sich viele freuen, ein Impfangebot zu haben. Die Impfdebatte wird bei jungen Leuten überlagert von der Frage, wie unter den Bedingungen soziale Teilhabe ermöglicht werden kann. Sie wollen ihr Leben zurück.

Werden Sie als Verband auch politisch aktiv?

Löbel: Wir suchen das Gespräch mit Landtagsabgeordneten und unserer Jugendministerin Carolina Trautner. Wir waren ja lange Zeit gesegnet, das will ich auch betonen. Für Jugendarbeit galten lange Zeit Ausnahmenregeln. Das fand ich angemessen und richtig. Jugendarbeit hat auch bewiesen, dass sie erstens notwendig ist und zweitens dass sie verantwortungsbewusst damit umgeht. Uns ist kein Fall bekannt, dass sich ein Angebot der Jugendarbeit zum Corona-Hotspot entwickelt hat.

Welchen Auftrag erteilen Sie an die Politik?

Löbel: Jugendarbeit muss auf jeden Fall wieder ermöglicht werden. Es muss einen schärferen Blick geben auf die Frage: Welche Kinder und Jugendliche fallen aus welchen Gründen runter? Denn, das wurde ja schon oft öffentlich angesprochen, die sozialen Ungleichheiten werden durch die Pandemie verstärkt. Gesellschaft und Politik muss Kinder und Jugendliche im Blick haben - in der Schule, in der Frage der sozialen Teilhabe und der Frage ihrer psychischen Situation. Wir müssen ihnen ihre Kindheit und Jugend zurückgeben.

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