Interview: Pferde beim Festumzug - Ist das Tierquälerei?

5.8.2019, 13:54 Uhr
Interview: Pferde beim Festumzug - Ist das Tierquälerei?

Dr. Nahr, Sie sind der Kanzler im Festumzug des Burgfestes – und außerdem Pferdearzt. Aus ärztlicher Sicht, was sagen Sie: Ist so ein Umzug Stress fürs Pferd?

Nahr: Ich bin ja der Meinung, dass es eine Abwechslung ist.

Also eher eine Bereicherung als eine Belastung?

Nahr: Genau! Wenn jemand fordert: "Pferde sollen nur auf der Wiese stehen" – dann glaube ich, tut man den Tieren unrecht. Denn Pferde wollen Abwechslung, eine Herausforderung. Sie sind hochintelligent und wollen gefordert werden.

Sie zu konditionieren, indem man sie an Lärm gewöhnt – darin sehen Sie also keinen Eingriff ins Tierwohl und einen Auslöser für Stress?

Nahr: Prinzipiell löst Lärm sicher Stress aus. Aber sie werden ja vorbereitet. Ein Beispiel sind die Polizei-Pferdestaffeln, die es jetzt in Bayern gibt. Die Tiere werden mit Schreckschusspistolen, Trommeln und Trillerpfeiffen trainiert – da haben sie natürlich erstmal Angst. Die Pferde müssen also lernen: Ja, da ist Lärm, aber der bedroht mich nicht – denn eigentlich sind sie Fluchttiere.

...und dann ist plötzlicher Lärm gar kein Problem mehr?

Nahr: ...Dann geht beim Festzug das Trommeln unmittelbar hinter ihnen los und sie denken eher: "Mensch, jetzt geht's los. Jetzt darf ich meinen Job machen."

Wie kann man sich die Konditionierung der Pferde konkret vorstellen?

Nahr: Da kommen Jagdbläser auf den Pferdehof. Die Pferde sind in ihren Boxen und hören das erste Mal ein Jagdhorn. Irgendwann wird das Routine, dann kommen die Trommeln dazu und so weiter. Der Umzug wird schrittweise auf dem Hof simuliert.

Gibt es auch Pferde, die so gelassen sind, dass der ganze Umzugslärm spurlos an ihnen vorbei geht?

Nahr: Die gibt's.

Und die muss man finden, sozusagen in einem Casting?

Nahr: Der Begriff Casting gefällt mir ganz gut. Wenn Pferde für sowas ausgesucht werden, wird darauf geachtet: Ist das Pferd ruhig in der Box, ist es seinen Artgenossen gegenüber ruhig? Vielleicht ist es auch ein Pferd, das eher faul ist und nicht so viel arbeiten will. Diese Tiere sind gut geeignet.

Gibt es charakterlich ungeeignete Pferde?

Nahr: Ja, solche die hochblütig, also sehr temperamentvoll sind, werden eher für den Leistungssport hergenommen. Und für die ist es schwer, im Schritttempo einer Kutsche hinterherzulaufen: Sie fangen an zu tänzeln und werden unruhig. Auch sollte ein Pferd mindestens vier, fünf Jahre alt sein.

Laufen auch sehr alte Pferde mit?

Nahr: Oh ja! Für die Pfalzgräfin – sie ist im Damensattel und vielleicht zuvor noch nie auf einem Pferd gesessen – wird das ruhigste Pferd ausgesucht. Das sind meistens alte, abgeklärte Pferde, die ihren Job kennen. Manchmal sind es auch Tiere, die schon "im Ruhestand" sind, für Reitzwecke gar nicht mehr genutzt werden. Die haben dann da ihren Auftritt.

Wo liegt die Grenze, bei der man sagt: Das Pferd ist körperlich nicht mehr in der Lage, den Umzug zu überstehen?

Nahr: Prinzipiell ist die Bewegungsbelastung extrem gering. Jeder Ausritt ist bewegungsintensiver als dieser ein Kilometer lange Festzug. Zudem ist ein Pferd nicht empfindlich gegen die Sonneneinstrahlung. Die kommen aus der Steppe, 35 Grad sind für sie kein Problem.

Das sagen Sie aus ärztlicher Sicht?

Nahr: Ja, aber die Pferde müssen natürlich gesund sein.

Von wem wird das vorab überprüft?

Nahr: Teilweise von mir, weil ich ja selber mitreite. Aber auch die Festspielleitung legt großen Wert darauf, dass die Pferde keine Wunden haben.

Ist es auch schon einmal vorgekommen, dass ein Pferd kurz vorher aussortiert wurde?

Nahr: Ja, tatsächlich. Toni Bauer (Pferdetrainer aus Seligenporten, stellte mehrfach das Pferd der Pfalzgräfin, Anm. d. Red.) hat immer zwei bis drei Ersatzpferde dabei. Wenn ein Pferd mal eine Kolik hat, krank ist oder durch den Transport verletzt wurde, werden diese Pferde eingewechselt. Sie laufen aber auch sonst mit und werden von Statisten im Festspiel geritten.

Welche Rolle spielt denn der Reiter, damit am Tag X alles glatt läuft?

Nahr: Die Statisten sind erfahrene Reiter, die ihre Pferde kennen. Sie können die jungen, schwierigen Tiere reiten. Die Hauptdarsteller brauchen hingegen extrem brave, ruhige Pferde, die auch mal Reiterfehler verzeihen.

Kann dann trotz all der Vorbereitung immer noch etwas schief gehen?

Nahr: Auf jeden Fall. Es ist wichtig, dass die Reiter ruhig mit den Pferden umgehen und Sicherheitsabstand zu den Zuschauern halten. Die Veranstalter sind natürlich bemüht – aber es bleibt ein Restrisiko.

Welche Rolle spielt das Verhalten der Zuschauer abseits der Strecke?

Nahr: Viele Leute haben vergessen, dass Pferde Fluchttiere sind und Abwehrbewegungen machen, wenn sie erschrecken – und das gar nicht böswillig. Aber sich einem Pferd zu nähern und es plötzlich anzufassen oder vor dessen Nase mit einer Fahne herumzufuchteln, erschrickt das Tier.

Woran liegt es, dass die Menschen vermeintlich denken, Pferde seien nicht gefährlich?

Nahr: Die Leute haben den natürlichen Umgang mit Pferden, Rindern und dergleichen verloren. Sie werden mehr und mehr mit Haustieren gleichgesetzt, aber man sollte ja auch zu einem Hund nicht einfach hingehen und ihn streicheln. Da fragt man auch: Kennt er das, macht er was? Ich glaube, einen Teil tragen dazu auch die Filme und Serien bei, die Kindern vermitteln, dass alle Tiere, auch Pferde, friedliche, liebe Wesen sind. Da geht der natürliche Respekt vor den Tieren verloren.

Zur Person

Dr. Wolfgang Nahr, geboren am 11.10.1965, 53 Jahre alt, wohnt und arbeitet in Stephansmühle. Auf dem ersten Pferd saß er "wahrscheinlich schon mit einem halben Jahr", bereits sein Vater hatte Pferde. Als 15-Jähriger war er Teil der deutschen Nationalmannschaft im Springreiten. Von 1989 bis 1995 studierte er Veterinärmedizin an der LMU München, seither arbeitet er als Tierarzt. Seit 20 Jahren nimmt er am Burgfest-Festzug teil. Auch privat reitet er gerne, heute allerdings nur gemütlich. In eigenen Worten: Er sei ’mit dem Virus Pferd voll infiziert’.

 

Pferde beim Festzug: Eine Chronologie

Aus den Chroniken geht hervor, dass schon 1927, beim erste Burgfest, sich "vom Bahnhof her der erste Festzug in Bewegung setzte", unter ihnen "drei berittene Herolde", die dem Burgwagen folgten.

Nachweislich zog 1931 Berta Heinzenknecht, die erste Pfalzgräfin, auf einem Schimmel durch die Stadt. Seither erlebt die Pfalzgräfin in jedem Jahr den Festzug zu Pferd.

Die Zahl der Pferde variiert Jahr für Jahr. Heuer sind 33 Pferde am Festzug beteiligt. Darunter 16 Reitpferde, der Rest Gespannpferde.

1979, also exakt vor 40 Jahren, stürzte die Pfalzgräfin Elisabeth Rehm bei einer Reitstunde vom Ross und brach sich dabei das Steißbein. Sie konnte daraufhin nicht am Festzug teilnehmen und wurde von ihrer Vorgängerin Elisabeth Wechsler ersetzt.

Im Folgejahr wurde Rehm gefragt, ob sie den Festzug nachholen wolle – doch sie lehnte ab, weil der Reitunfall ihr noch nachging.

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