Bamberger Gymnasiasten droht die Abschiebung

20.2.2020, 07:36 Uhr
Bamberger Gymnasiasten droht die Abschiebung

© Privat

Das Schicksal zweier Jugendlicher sorgt derzeit für Diskussionsstoff in Bamberg. Konkret geht es um die 13-jährige Yasmina M. und ihren älteren Bruder, den 16-jährigen Ilias M. Beide besuchen das Dientzenhofer-Gymnasium in Bamberg in der sechsten und achten Klasse - und beide sollen nach Willen der Regierung von Oberfranken zeitnah abgeschoben werden. Dagegen formiert sich nun Widerstand, nordbayern.de erreichte am Mittwochnachmittag der offene Brief eines Lehrers des Dientzenhofer-Gymnasiums. Darin heißt es unter anderem: "Meine Schule, das DG, wird dabei in jedem Fall nicht tatenlos zusehen, und wir werden dazu nicht schweigen."


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Verfasser des Schreibens ist Michael Blank. Er unterrichtet die Fächer Deutsch, Geschichte und Ethik an der Bamberger Schule. "Als ich erfahren habe, dass die Familie abgeschoben werden soll, war ich fassungslos. Ich habe das nicht für möglich gehalten", sagt er im Gespräch mit unserer Redaktion. Seit Mai 2013 hält sich die aus Tschetschenien stammende Familie - Mutter, Vater, drei Mädchen und ein Junge - in Deutschland auf. Blank beschreibt seine beiden Schüler als bestens integriert. "Ilias managt die ganze Familie, dolmetscht und geht auf sämtliche Ämter." Yasmina und Ilias - der als Ringer beim TSV Burgebrach aktiv ist - seien bei Mitschülern und im Lehrerkollegium sehr geschätzt, zudem sprächen beide hervorragend Deutsch. Die beiden jüngeren Geschwister, die noch nicht schulpflichtig sind, wurden in Bamberg und Kulmbach geboren. Deutsch ist ihre Muttersprache, sagt Blank, Russisch beherrschen sie praktisch nicht.

"Die Situation ist extrem akut"

Trotzdem könnte sich die Familie schon bald in Tschetschenien wiederfinden. Ihr Antrag auf Asyl oder einen anderen Schutzstatus wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt. Klagen gegen die Entscheidung der Behörde waren nicht erfolgreich. Laut eines Urteils des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom Oktober 2019 ist eine weitere Anfechtung des Asylbescheids nun auch nicht mehr möglich. Das bedeutet: Familie M. ist ausreisepflichtig, könnte grundsätzlich jederzeit abgeschoben werden. "Die Situation ist extrem akut", sagt Lehrer Blank, der Yasmin und Ilias im Fach Ethik unterrichtet. "Ich würde mir es aber nicht verzeihen, wenn ich nicht alles versuchen würde, dass die beiden hier bleiben können."


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Die rechtliche Situation ist - wie häufig in solchen Fällen - komplex und nur für Fachleute in Gänze zu durchschauen. Grundsätzlich gilt aber, dass das BAMF keine Abschiebungen anordnet, sondern nur feststellt, dass kein Anspruch auf Schutz besteht. Die zuständige Ausländerbehörde, die im konkreten Fall bei der Regierung von Oberfranken angesiedelt ist, kann dann die Ausreise der betreffenden Personen forcieren - oder ihnen eine Duldung für den Aufenthalt in Deutschland ausstellen. Allerdings plant die Ausländerbehörde offenbar nicht, Yasmina, Ilias und ihrer Familie eine solche Aufenthaltsberechtigung zu gewähren. Auf Anfrage betont man dort lediglich, dass die Familie ausreisepflichtig und das Asylverfahren beendet sei.

Unserer Redaktion liegt die Korrespondenz zwischen der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) bei der Regierung von Oberfranken und dem Frankfurter Migrationsrechtler Reinhard Marx vor, der die Familie in dem Verfahren vertritt. In dem Schreiben der Behörde heißt es: "Aus Sicht der ZAB sind keine rechtlichen oder tatsächlichen Gründe [...] ersichtlich, aufgrund derer eine Abschiebung unmöglich wäre." Die für eine Ausreise erforderlichen Reisepässe lägen für die Eltern sowie für Yasmina und Ilias inzwischen vor. Nur für die beiden jüngsten Kinder fehlen die Dokumente noch.

Kinder haben gesundheitliche Probleme

In diesem Zusammenhang wirft die Behörde der Familie vor, ihnen die Reisepässe nach deren Ausstellung bewusst vorenthalten zu haben. Im Brief an Rechtsanwalt Marx bezeichnet die ZAB dies als "enorm rechtsmissbräuchliches Verhalten". Deswegen sei sogar eine Trennung der Familie denkbar. Darüber hinaus sei "das Interesse der Familie an einer gelebten Familiengemeinschaft in Deutschland" deutlich geringer zu werten als "das öffentliche Interesse an der Durchsetzung der Ausreisepflicht".

In seiner Replik auf den Brief der Behörde argumentiert der Anwalt der Familie hingegen, seine Mandanten hätten sehr wohl Anspruch auf Duldung in Deutschland. Außerdem verweist der Jurist auf die Tatsache, dass Familie M. schon seit Jahren in Deutschland lebt und sich hier gut integriert habe. Angefügt an das Schreiben finden sich darüber hinaus mehrere ärztliche Stellungnahmen, unter anderem von der Uniklinik Erlangen, zum Gesundheitszustand des 16-jährigen Ilias. Dieser leidet an Herzrythmusstörungen, seine jüngste Schwester ist außerdem fast taub. Es sei "unklar, ob die notwendige medizinische Versorgung [...] im Heimatstaat gewährleistet werden kann", schreibt Marx.

Lehrer Michael Blank hofft unterdessen, dass die Familie doch noch in Deutschland bleiben darf - und macht sich Sorgen um seine Schüler: "Yasmina wirkt noch erstaunlich gefasst, aber Ilias sieht man an, wie nahe ihm alles geht. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst." Blank hat inzwischen auch die lokale Politik auf die Situation aufmerksam gemacht. Der Bamberger Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) sowie der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Schwarz hätten ihm gegenüber angekündigt, eine offizielle Anfrage zu dem Fall an die Zentrale Ausländerbehörde zu stellen.

Mahnwache in Bamberg ist geplant

Laut Zahlen des BAMF erhielten im Jahren 2019 nur 6,5 Prozent der Asylsuchenden aus Russland einen Schutzstatus in Deutschland. Wie hoch die Quote für Geflüchtete aus Tschetschenien liegt, wird nicht gesondert ausgewiesen, da die Region zur russischen Föderation gehört. Das Auswärtige Amt rät derzeit von nicht notwendigen Reisen in das Gebiet im Südwesten Russlands ab. Die Wochenzeitung Die Zeit schreibt in einer ausführlichen Reportage über Tschetschenien vom August 2019, dass die Gewalt dort zurückgegangen sei. Allerdings heißt es auch: "Bei Morden an Journalisten, Menschenrechtlern und Oppositionspolitiker in Russland führte die Spur letztlich meist nach Tschetschenien."

Blank will weiter für seine Schüler kämpfen. Er hat zu einer Mahnwache für Yasmina und Ilias aufgerufen, die am 2. März um 18 Uhr am Brunnen "Gabelmann" in Bamberg stattfinden soll. Der 45-jährige ist enttäuscht von der Entscheidung der Behörden. In seinem offenen Brief schreibt er: "Mit großem Engagement verfechte ich, seit ich unterrichte, westliche Werte, Demokratie, Aufklärung, Humanismus, Toleranz, Nächstenliebe, wie viele meiner Kolleg*innen auch." Er frage sich, wie er seinen Schülern vor diesem Hintergrund erklären soll, dass Yasmina und Ilias "Deutschland verlassen müssen, obwohl sie eine große Bereicherung für unser Land sind".