Kommentar zur Ukraine: Jetzt muss Selenskyj liefern

22.7.2019, 14:36 Uhr
Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und seine Ehefrau, Olena Selenskyj, an der Wahlurne. Seine Partei erreichte etwas mehr als 40 Prozent.

© Evgeniy Maloletka, dpa Wolodymyr Selenskyj (r), Präsident der Ukraine, und seine Ehefrau, Olena Selenskyj, an der Wahlurne. Seine Partei erreichte etwas mehr als 40 Prozent.

Ganz so grandios, wie von Selenskyj erhofft, fiel der Wahlsieg seiner Partei "Sluha narodu" (Diener des Volkes) nicht aus. Bei der Präsidentenwahl hatte der frühere Fernsehkomiker mit 73 Prozent der Stimmen fast Dreiviertel der Wählerschaft hinter sich gebracht. Für seine Partei sind es nun voraussichtlich 42,7 Prozent – das reicht zu einer absoluten Mehrheit im Parlament. Eine kleine Sensation. Doch einfach wird es trotzdem nicht.

Der Staatschef hat große Ansagen gemacht. Er will den Krieg im Donbass beenden und er will - endlich - die Korruptionsplage im Land bekämpfen, die unter Selenskyjs Vorgänger Petro Poroschenko ungehindert weiterwucherte.

Das Nato-Ziel aufgeben?

Den Kriegszustand zu überwinden wird mehr als guten Willen erfordern. Dazu wird es nicht ausreichen, einfach die schweren Waffen von der Front abzuziehen und mehr regionale Selbstbestimmung zuzulassen.

Entscheidende Bedeutung wird haben, ob Selenskyj an dem Ziel festhält, sein Land schnellstmöglich in die Nato zu führen. Sollte er das vorhaben, wird der Konflikt nicht enden. Kremlchef Wladimir Putin hat unzählige Male klargemacht, dass für Russland eine Ausdehnung des westlichen Allianz an die russische Landesgrenze unter keinen Umständen akzeptabel ist. Man mag gerne – und mit gutem Recht – darauf pochen, dass die Ukraine doch ein freier, souveräner Staat sei, der selbstverständlich entscheiden darf, ob er sich einem Bündnis anschließt. Die Realität wird sein, dass sich genau an dieser Frage entscheiden wird, ob die Waffen wirklich irgendwann schweigen werden und das Land wieder anfangen kann zu blühen.

Russland mag ein schwieriger Nachbar sein. Seine Interessen aber einfach zu ignorieren, ist keine kluge Strategie. Sie wird nicht aufgehen. Es kann auch nicht sein, diese entscheidende Zukunftsfrage allein von militärischen Bündnisbindungen abhängig zu machen.

Nicht nur eine Marionette

Nicht viel einfacher wird der Kampf gegen die Korruption. Dabei muss der neue Präsident überzeugend klarmachen, dass er keine Marionette des ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojsky ist. Bei dessen Fernsehsender 1+1 wurde Selenskyjs satirische Fernsehserie "Diener des Volkes" ausgestrahlt. Der Milliardär hat auch seine Wahlkampagne zu einem wesentlichen Teil mitfinanziert. Und er hat in der Vergangenheit schon gezeigt, wie ruppig er werden kann. Als der damalige Präsident Poroschenko Kolomojskys Einfluss auf die nationale Öl- und Gaswirtschaft eindämmen wollte, ließ der Konzernchef in Kiew seine Privatarmee aufmarschieren. Schon jetzt monieren manche, dass im Umfeld Selenskyjs zu viele Kolomojsky-Leute einflussreiche Posten innehaben. Das ist kein gutes Omen.

Auch nach der Parlamentswahl ist also keineswegs klar, dass die Ukraine in eine gute Zukunft geht. Im stärker europäisch geprägten Westen des Landes boomt die Wirtschaft in Teilen. Vom stärker russischen Ostteil der Ukraine kann das nicht gesagt werden. Die Europäer haben auf all das nur begrenzten Einfluss. Investitionen werden erst dann stärker fließen, wenn die politische Lage sich beruhigt hat. Es wäre aber schon hilfreich, wenn sie den Drang der Ukraine in die Nato nicht durch eigenes Zutun noch befeuern würden. Da freilich tut sich ein Konflikt mit den USA auf, wo ein Großteil des politischen Establishments die Ukraine in die Allianz holen möchte. Zum Wohl der Ukraine ist das eher nicht.

Verwandte Themen


Keine Kommentare