Nächtliche Aktion in Nürnberg

Burg-Flagge getauscht: Aktivisten sprechen - und erklären, warum sie sich der Polizei nicht stellen

5.8.2021, 14:10 Uhr
Diese große Deutschlandflagge thront normalerweise auf der Aussichtsplattform der Kaiserburg. 

Diese große Deutschlandflagge thront normalerweise auf der Aussichtsplattform der Kaiserburg. 

Es geht um Aufmerksamkeit, natürlich. Warum sollten sich Aktivisten sonst die Nürnberger Kaiserburg aussuchen? Hier, am Wahrzeichen der Stadt, holten mehrere Unbekannte in der Nacht auf Mittwoch die Deutschlandfahne, die auf der Aufsichtsplattform thront, ein - und ersetzten sie durch eine Regenbogenfahne. Mitten in der Nacht, still und heimlich. Ein Coup, der für Aufregung sorgt. Die Kriminalpolizei ermittelt, Medien berichten, die Stadt spricht darüber. Mission erfüllt. Nur, erklärt Ria (Name von der Redaktion geändert), um die Flagge ging es bei der Aktion gar nicht. "Das war relativ spontan."

Unter anderem dieses Banner brachten die Aktivisten an der Mauer der Burg an. 

Unter anderem dieses Banner brachten die Aktivisten an der Mauer der Burg an. 

Die Deutschlandfahne sei kein Angriffsziel gewesen, kein Symbol, dass man sich konkret ausgesucht habe, erklärt die Aktivistin. "Eigentlich ging es um die Banner, die wir in derselben Nacht aufgehängt haben. Darauf lag der Fokus." Von "klimapolitischen Parolen" wird die Polizei später in einer Pressemitteilung schreiben, von einer zehnköpfigen Gruppe. Jetzt, zwei Tage später, stehen drei der Teilnehmer unter den Regenbogenflaggen am Opernhaus - und erklären, was es mit der Aktion auf sich hat.

Zwei große Banner hängte die Gruppe an der Kaiserburg auf, zwei weitere in der Innenstadt. "Think global, act local" steht auf dem großen rund acht Meter breiten Transparent. Mehrere Piktogramme sollen verdeutlichen, was die Wissenschaft seit Jahren predigt: den menschengemachten Klimawandel - und seine Folgen. Eine Welle schwappt über die Burg, ein Waldbrand wütet, daneben steht ein Tornado. "Es geht auch darum, vor den Wahlen ein Ausrufezeichen zu setzen", erklärt Ria. Die CSU wird auf den Transparenten scharf kritisiert. "Umfragen zeigen, dass 90 Prozent der Wähler dieser Partei Interesse am Klimaschutz haben. Wem aber ernsthaft an Klimagerechtigkeit gelegen ist, sollte die CSU nicht wählen."

"Eine Kollektivleistung der Gesellschaft"

Gemalt wurden die Transparente in tagelanger Kleinstarbeit im Nürnberger Klimacamp. Die Verantwortlichen - oder Täter, wie die Polizei sie nennt - sind dort aber nicht zu finden, betonen die Aktivisten. "Daran haben weit über Hundert Menschen gearbeitet, Passanten und sogar Kinder, die einfach zufällig vorbeigekommen sind", erklärt Ria. "Das ist eine Kollektivleistung der Gesellschaft in Nürnberg."

Angebracht haben sie aber auch Menschen, die in den vergangenen Wochen und Monaten extra für solche Aktionen klettern gelernt haben. Mit professioneller Ausrüstung seilten sich die Aktivisten an der Steilwand der Aussichtsplattform ab. "Teils waren wir doppelt gesichert, einfach damit nichts passiert", sagt Thomas, der in jener Nacht auch dabei war und eigentlich anders heißt. Wirklich beschädigt wurde dabei nichts - das bestätigt auch die Polizei auf Nachfrage. Bislang ist auch noch unklar, welcher Vorwurf den Aktivisten gemacht wird. Der Fall liegt jedenfalls bei der Staatsschutzabteilung der Kripo.

Die Deutschlandfahne, erklärt Thomas, habe man relativ einfach einholen können - nur ein paar Karabiner und Seile seien notwendig gewesen. "Vielleicht wirkt es so, als hätten Klimaschutz und die Regenbogenflagge erst einmal nichts miteinander zu tun", erklärt Thomas, "aber das ist nicht so." Sie stehe ganz allgemein für marginalisierte oder unterdrückte Gruppen. Und genau die werden die Folgen des Klimawandels deutlicher spüren als "ich als weißer Mann", sagt der Aktivist. "Der Kampf muss gemeinsam geführt werden."

Trotz einer Fahndung des Präsidium Mittelfranken wollen sich die Aktivisten nicht stellen. "Formal ist das eine Bagatelle", sagt Thomas. "Wir glauben, dass an uns ein Exempel statuiert werden könnte." Die Aktivisten fürchten, sagen sie selbst, die Repression des Staates. "Das hier ist keine terroristische Zerstörungswut, aber es ist zu befürchten, dass die Staatsanwaltschaft maximales Strafmaß fordert." Eben das sei zu riskant, sagt Thomas.

Wirklich von Dauer war der Flaggentausch jedenfalls nicht. Noch in der Nacht rückte eine Streife an, suchte nach den Tätern - bislang vergeblich. Inzwischen hängt die Deutschlandflagge auf der Kaiserburg wieder.