Kunst- und Menschenversteher

Das Empfangskomitee: Hinter den Kulissen der Schwabacher "Ortung"

21.8.2021, 12:04 Uhr
Josef Balasz betreut bereits zum vierten Mal die Station in der Franzosenkirche: „Ortung zeigt: Die Stadt lebt. Ich bin stolz auf Schwabach.“  

© Günther Wilhelm, NN Josef Balasz betreut bereits zum vierten Mal die Station in der Franzosenkirche: „Ortung zeigt: Die Stadt lebt. Ich bin stolz auf Schwabach.“  

Aufsicht, wie streng das klingt. Aufsicht sind sie tatsächlich. Sie achten darauf, dass alle Besucherinnen und Besucher ein gültiges Ticket umhängen haben, dass sie die Masken tragen, dass nicht zu viele gleichzeitig in den Räumen sind, dass die Kunstwerke bitte nicht berührt werden. Alles nötig, alles wichtig.

Aber das macht es nicht aus. Nicht nur weil so gut wie alle Gäste sehr entspannt und verständnisvoll sind. Vor allem: Die Betreuerinnen und Betreuer der einzelnen Ortung-Stationen verstehen sich nicht als penibler Ordnungsdienst. Vielmehr sind sie Gastgeber, quasi das Empfangskomitee. Zusammen mit den Kunstvermittlerinnen und -vermittlern bei der Führungen sind sie die Gesichter des Kunst-Parcours. Ansprechpartner, Wegweiser, Serviceteam – und für die Gäste aus nah und vor allem fern so etwas wie Botschafter Schwabachs.

„Das ist weit mehr als aufsperren und wieder schließen“, erklärt Ortung-Leiterin Ulrike Kummer vom Kulturamt. Nicht jede der 32 Stationen ist besetzt: „Etwa im Freien wie im Seminargarten des Alten DG muss das nicht sein.“ 17 Köpfe ist das Team stark. „Ich bin so froh, dass ich sie alle hab’“, betont Ulrike Kummer. Auf einige kann das Kulturamt bereits seit Jahren bauen.
Fünf Besuche, fünf Gespräche:

„Mir macht das total Spaß“

Wenn sie zurückdenkt, kann sie es selbst kaum glauben. Eigentlich war Irene Roth-Szauer 38 Jahre lang Büroleiterin im Vorzimmer von OB Hartwig Reimann. „Gleichzeitig war ich quasi die erste Kulturreferentin. So fing städtische Kulturarbeit damals an“, erzählt sie. Der Kultur verbunden geblieben ist sie auch im Ruhestand. Seitdem ist sie bei Ortung dabei, diesmal in der Zöllnertorstraße 5. „Man trifft so viele Menschen, manche alle zwei Jahre zu Ortung. Das Wiedersehen, der Austausch: Mir macht das total Spaß.“

Irene Roth-Szauer in der Zöllnertorstraße 5: „Viele sind begeistert und fragen: Sind Sie die Künstlerin? Welch eine Ehre!“ 

Irene Roth-Szauer in der Zöllnertorstraße 5: „Viele sind begeistert und fragen: Sind Sie die Künstlerin? Welch eine Ehre!“  © Günther Wilhelm, NN

Irene Roth-Szauer betreut in dem ehemaligen Weinladen das „Weingold“ der Schwabacher Künstlerin Susanne von Janda, eine Anspielung auf Wagners „Rheingold“. Zwei Wochen täglich stundenlang schwere Opern-Klänge: „Das hallt nach“, sagt sie und lacht. „An sich bin ich nicht der große Wagner-Fan. Aber inzwischen freunde ich mich damit an.“

Besonders oft wird sie auf das grüne Kleid im Kellergewölbe angesprochen. „Viele fragen mich: Sind Sie die Künstlerin? Welch eine Ehre!“ Die Resonanz auf Susanne von Jandas Werk sei durchgängig positiv. „Alle sagen: Das ist richtig schön“, erzählt Irene Roth-Szauer und fügt noch schmunzelnd hinzu: „Drüben bei meinem Mann ist das etwas anders.“

Gelassenheit bei großen Fragen

Was nicht an Erwin Szauer liegt. Er hat die wohl sensibelste Station von allen: Prell mit den eingeworfenen Scheiben, die bereits im Vorfeld für Diskussionsstoff gesorgt haben. „Das wird schon kontrovers diskutiert“, berichtet er. Und dabei wird es sehr grundsätzlich. „Viele fragen: Ist das noch Kunst?“ Und was antwortet er? Im Gespräch mit unserer Zeitung sagt er kurz und klar: „Ja“. Er findet das durchaus.

Erwin Szauer neben den Scherben bei Prell: „Viele Leute fragen: Ist das noch Kunst?“ Seine Anwort: „Ja.“  

Erwin Szauer neben den Scherben bei Prell: „Viele Leute fragen: Ist das noch Kunst?“ Seine Anwort: „Ja.“   © Günther Wilhelm, NN

Und im Gespräch mit den Besuchern? „Ich versuche das Kunstwerk zu erklären, aber ich diskutiere nicht.“ Erwin Szauer wirkt wie die Gelassenheit in Person. Er ist weit davon entfernt, jemanden belehren oder gar bekehren zu wollen. „Ich maße mir nicht an, ein Kunstsachverständiger zu sein“, sagt er lächelnd. Es sei aber spannend, die unterschiedlichen Reaktionen zu erleben: „Manche Männer fragen, ob sie auch noch einen Stein werfen dürfen. Von den Frauen hat das erst eine gefragt.“

Kunst oder nicht, ein Magnet sind die Scherben in jedem Fall. „Wir haben hier rund 500 Besucher pro Tag“, sagt Erwin Szauer. „Ortung ist schon ein Erfolg für Schwabach. Ich habe mit Besuchern aus Ingolstadt und Augsburg gesprochen. Aber auch die Schwabacher selbst können immer wieder neue Winkel in ihrer Stadt entdecken.“

Immer in der Franzosenkirche

„Ortung beweist: Die Stadt lebt. Ich bin wirklich stolz auf Schwabach“, sagt Josef Balasz. Besonders stolz ist er auf die Franzosenkirche. Zum bereits vierten Mal betreut er sie bei Ortung. „Das ist die Kirche“, sagt er, wobei er das „die“ besonders betont. „Ich mag ihre Einfachheit, die es schafft, dass nur das Wort zählt. Für die Künstler ist das sicher eine besondere Herausforderung.“

Vielleicht hat Matthias Braun auch deshalb ein im wahrsten Sinne großes Wort installiert. „Zukunft“ in goldener Farbe, ergänzt um zwei betende Hände. Josef Balasz ist täglich in Kontakt mit dem Würzburger Künstler, schickt ihm per WhatsApp aktuelle Fotos – und ein Video.

Der kleine Film ist Ergebnis einer besonders netten Begegnung. Eine junge Frau mit zwei Kindern habe nach der Orgel gefragt. Josef Balasz ließ sie schließlich einige Takte Bach spielen. „Zwei Tage später kam sie wieder – mit einem Pack Noten in der Hand.“ Die Orgel sei so wunderbar, ob sie nochmal spielen dürfe? „Und so gab es ein halbstündiges Orgelkonzert. Die Besucher haben das genossen. Das war ein tolles Erlebnis.“

„Sinnvoller Urlaub“

Für den richtigen Klang in der Stadtkirche sorgt das Kunstwerk selbst: Florian Tuercke hat für seinen goldenen Schallkörper den Ortung-Kunstpreis der Jury gewonnen. Gesteuert wird der Sound über ein Smartphone an einer Sitzbank.

Darauf muss Bert Lippert ein gleich doppeltes Augenmerk haben. „Das ist meine typische Handbewegung“: Lippert greift zum Tuch und säubert das Handy. Eine Vorbeugemaßnahme wegen Corona. Was ihn aber mehr fordert: „Das Smartphone stürzt manchmal ab. Aber bisher habe ich die Technik immer wieder hingekriegt.“

Bert Lippert in der Stadtkirche: „Ich mache bei Ortung mit, weil ich Urlaub habe und den sinnvoll verbringen will. Außerdem trifft man viele Leute, die man lange nicht mehr gesehen hat.“  

Bert Lippert in der Stadtkirche: „Ich mache bei Ortung mit, weil ich Urlaub habe und den sinnvoll verbringen will. Außerdem trifft man viele Leute, die man lange nicht mehr gesehen hat.“   © Günther Wilhelm, NN

Auch Lippert ist schon lange dabei, das erste Mal aber für die Stadtkirche zuständig. „Hier sind mit die meisten Besucher, weil man auch ohne Ticket rein darf“, erklärt er. Nur bei Gottesdiensten oder Trauungen hat Ortung Pause. „Da muss ich dann vor die Tür und das den Leuten erklären“, erzählt er. Aber die Stimmung sei sehr entspannt.

Warum er sich für Ortung engagiert? „Weil ich Urlaub hab’ und den sinnvoll verbringen will. Mir macht das Freude.“ Vor allem wegen der vielen Begegnungen. „Hier treffe ich Leute wieder, die ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen habe.“ Manchmal aber muss Bert Lippert die Besucher auch ein wenig enttäuschen: „Zum Beispiel wurde ich gefragt, wo der Riemenschneider-Altar sei. Da konnte ich nur sagen: leider... Und manche erwarten eine komplette Kunstinterpretation: Aber wenn’s ins Transzendentale geht, bin ich überfordert.“

„Eine Stadtführung im Sitzen“

Ursula Kaiser-Biburger in der Alten Synagoge: „Ich liebe Kunst.“  

Ursula Kaiser-Biburger in der Alten Synagoge: „Ich liebe Kunst.“   © Günther Wilhelm, NN

Mit zumindest bei einer Frage geht es Ursula Kaiser-Biburger ähnlich. Wie oft sie schon die Alte Synagoge betreut? „Dreimal? Oder schon viermal? Ich glaube fast schon fünfmal. Das verschwimmt etwas.“ Kein Wunder. Denn Ursula Kaiser-Biburger hat von Anfang an Ortung begleitet. Zunächst als Kultur-Berichterstatterin fürs Schwabacher Tagblatt, später als Leiterin von Führungen und seit Jahren ist sie Ansprechperson in der Alten Synagoge. Ihre Motivation: „Ich liebe die Kunst. Und ich kann den Menschen näherbringen, wie schön Schwabach ist.“ Als Stadtheimatpflegerin ist sie Expertin für die Stadtgeschichte, auch für deren jüdisches Kapitel.

Viele Fragen drehen sich um Karolin Schwabs Goldene Kugel. „Aber die Leute wollen mehr wissen.“ Zur Synagoge, zum Jüdischen Museum, überhaupt zu Schwabach. So ergeben sich viele kleine Gespräche an ihrem Info-Tisch am Eingang. „Das ist wie eine Stadtführung im Sitzen“, sagt sie launig. Wie zum Beweis spricht eine Besucherin sie an. Ursula Kaiser-Biburger nimmt sich Zeit, geht auf alle Fragen ein. Die Dame wirkt beeindruckt, verabschiedet sich, dreht sich dann aber nochmal um: „Ich bedanke mich für Ihre aufgeschlossene Konversation.“