Das langsame Sterben der Fahrkartenverkäufe am Bahnhof

25.11.2020, 06:00 Uhr
Das langsame Sterben der Fahrkartenverkäufe am Bahnhof

© Foto: Paul Götz

Wer keine Lust auf Automaten und Online-Buchungen hat, sondern persönliche Beratung bevorzugt, der ist bei der "Bahn-Agentur–Franken" an der richtigen Adresse. Seit 2004 verkauft die eigenständige Firma im Auftrag der Bahn Fahrkarten an den Bahnhöfen in Roth und Schwabach. Die Filiale in Roth wird zumindest als Ein-Mann-Betrieb fortgesetzt, die in Schwabach aber wird geschlossen. Grund: die Corona-Folgen – aber nicht nur.

Pressegespräch per Telefonkonferenz mit Eduard Hauer, dem Geschäftsführer der Agentur, und Schwabachs Oberbürgermeister Peter Reiß: Eduard Hauer fiel diese Entscheidung hörbar schwer.

Seit 2004, also von Anfang an, ist er bei der Agentur. Lange Jahre als Angestellter, seit Jahresbeginn 2020 als Geschäftsführer und damit als Chef von vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Zwei in Vollzeit, zwei als 450-Euro-Kraft. Ihnen hat er nun kündigen müssen. Ergebnis einer Entwicklung, die selbst ihn mit seiner langjährigen Erfahrung völlig unerwartet getroffen hat.


Wegen Corona: Bahn bangt um Stammkunden


"Bis März ist alles ganz normal gelaufen", berichtet Hauer. Seine Agentur lebt von Provisionen aus dem Fahrkartenverkauf. Wer seine Hauptkunden sind? "Alle", sagt Hauer. "Von Fernreisenden bis zu Leuten, die nach Nürnberg fahren."

Doch zwei Faktoren haben seine Agentur in die Krise schlittern lassen: das 365-Euro-Jahresticket für Schüler, durch das der Verkauf vieler Monatskarten weggefallen ist, und der Einbruch durch Corona.

Doppelter Einschnitt

"Das 365-Euro-Ticket bedeutet bereits einen Rieseneinschnitt bei den Einnahmen. Aber das alleine hätte uns noch nicht ins Straucheln gebracht. Aber Corona hat uns den Rest gegeben", so Hauer. Auch Kurzarbeitergeld und Corona-Hilfen hätten das nicht mehr ändern können. Hauer nennt Zahlen: "Um zu überleben, brauchen wir etwa 60.000 Euro Einnahmen pro Filiale und Monat. Im November dürften es nur rund 25.000 Euro sein."

Das langsame Sterben der Fahrkartenverkäufe am Bahnhof

© Foto: Paul Götz

Hilfe hat sich Eduard Hauer von der Bahn erhofft, genauer von der DB Vertriebs GmbH, die die Verträge mit den Agenturen schließt. Schon im vergangenen Jahr sei ihm als Ausgleich für die zu erwartenden Verluste durch das 365-Ticket ein Zuschuss der Bahn "fest versprochen" worden. "Darauf habe ich gesagt: Okay, ich mach es." Allerdings: Diese Zusage gab es nie schriftlich. Und erhalten hat er das Geld nie. "Jetzt in der Corona-Krise habe ich nochmal einen zweiten Antrag gestellt. Mit einem Zuschuss von rund 2500 bis 3000 Euro monatlich hätte ich es vielleicht geschafft. Aber ich bin wieder nur vertröstet worden. Vor ein paar Tagen ist der Antrag nun endgültig abgelehnt worden", berichtet Hauer. "Und die Absage kam schriftlich."

Damit sei ihm nur die Kündigung für Schwabach zum Jahresende geblieben. Diese Kündigung habe die Bahn auch bestätigt. Ganz aufgeben aber will Hauer nicht. "Ich versuche, die Filiale in Roth weiterzuführen. Ganz alleine."


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Wieso Roth und nicht die Filiale im größeren Schwabach? "Unsere Zahlen in beiden Filialen sind in etwa gleich. Das hat uns auch von Anfang an gewundert", erklärt Hauer. "Außerdem bin ich selbst seit 2009 in Roth. Jeder Fahrgast kennt mich, wirklich jeder. In Roth zu bleiben, das bin ich meinen Stammgästen schuldig."

Dringender Appell von Reiß

In Schwabach dagegen wird Ende des Jahres Schluss sein. Damit aber will sich Oberbürgermeister Peter Reiß nicht so einfach abfinden. Nach einem ersten Gespräch mit Eduard Hauer hat er ein Schreiben an die Bahn verfasst. "Und zwar er persönlich", wie er betont. "Ich will mich unbedingt für eine Lösung einsetzen." Schließlich sei die persönliche Beratung gerade für ältere Mitbürgerinnen und Bürger ein unverzichtbarer Service und ein wichtiger Faktor "für die Attraktivität unseres Bahnhofsstandorts", schreibt Reiß.

Das Problem: Ein echtes Druckmittel aber habe er nicht, räumt Reiß ein. Umso ausdrücklicher appelliert er an die Bahn, den möglichen monatlichen Zuschuss nochmals zu prüfen.

Eduard Hauer ist für diese Unterstützung dankbar. Große Chancen aber sieht er nicht: "Ich muss realistisch bleiben. Von der Bahn bin ich schon zu oft enttäuscht worden." Sollte sich aber doch noch ein Kompromiss finden, "dann wäre ich glücklich, würde meine Kündigung zerreißen und auch in Schwabach mit meinem Team weitermachen".

Von der Bahn hat Reiß bisher noch keine Antwort bekommen. Auf Tagblatt-Nachfrage erklärte ein Bahnsprecher der Pressestelle in München, er könne sich zum konkreten Fall in Schwabach nicht äußern. Grundsätzlich sei die Bahn in der Corona-Krise aber "sehr kulant", so seien in manchen Fällen etwa Mietstundungen gewährt worden.

Monatliche Zuschüsse aber seien nicht möglich: "Es kann keine Quersubventionierung geben." Schließlich seien die Agenturen eigenständige Unternehmen. "Und sie tragen auch ein unternehmerisches Risiko."

Man müsse auch die generelle Entwicklung sehen: "Weit über die Hälfte der Tickets werden mittlerweile online vertrieben", erklärt die Pressestelle der Bahn.


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Wie es in Schwabach weitergehen könne? "Wir werden dafür sorgen, dass weiter Fahrkarten gekauft werden können", so der Sprecher. Dafür gebe es aber verschiedene Möglichkeiten.

Eine Agentur mit einer Beraterin oder einem Berater vor Ort sei nur eine. Die Bahn nennt das "handbedienten Verkauf". "Und der ist nicht immer besser", betont der Bahnsprecher.

Beratung per Video?

Was dann? Denkbar sei zum Beispiel auch ein "Video-Reisezentrum". Ein Terminal mit Bildschirm, über den man in ein Reisezentrum verbunden wird und dort mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter sprechen kann. "Ganz einfach wie in einer Videokonferenz. Und es hat den Vorteil, dass die Reisezentren länger offen haben als die Agenturen", so der Bahnsprecher. Ein solches Video-Reisezentrum mache also "gezielt an kleineren Bahnhöfen" besonders Sinn.

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