Kulturhauptstadt, Mode und mehr: Das sagt Julia Lehner

16.9.2020, 05:41 Uhr
Kulturhauptstadt, Mode und mehr: Das sagt Julia Lehner

© Foto: Eduard Weigert

Seit Anfang Mai ist Julia Lehner Kulturbürgermeisterin. "Einfache" CSU-Stadträtin war sie von 1996 bis 2002. Seit Mai 2002 leitete sie das Kulturreferat. Zuvor führte die promovierte Historikerin die Abteilung Marketing- und Öffentlichkeitsarbeit der Sparkasse. Wenn andere Menschen an den Ruhestand denken oder ihn schon genießen, nutzte Lehner die Chance, sich mit 66 zur Kulturbürgermeisterin wählen zu lassen.

Was treibt sie auf ihrer politischen Laufbahn an? 1995 witterte die CSU die Chance, bei der Kommunalwahl 1996 die SPD an der Stadtspitze zu verdrängen. Sie setzte dabei auf eine Verjüngung der Liste und auf mehr Frauen im Stadtrat. Lehner wurde für die CSU von der späteren Bürgermeisterin Helen Jungkunz angeworben.

"Ich hatte zwar schon immer ein großes politisches Interesse. Eine politische Karriere konnte ich mir aber zunächst nicht vorstellen. Angesichts der sozialdemokratisch geprägten Kulturverwaltung bestand zunächst wenig Hoffnung, etwas bewirken zu können. Damals wurde die Kultur in Soziokultur und Hochkultur aufgeteilt. Das habe ich immer als störend empfunden. Denjenigen, die nicht auf einer Wellenlänge mit Hermann Glasers Soziokultur schwammen, hat man automatisch unterstellt, dass sie sich nicht für Kultur interessieren. Das war eine eher politische Auseinandersetzung als eine kulturelle", erzählt Lehner.

Die Viefalt der Gesellschaft

Lehner selbst hat einen ganz weiten Kulturbegriff. "Der Wert der Kultur besteht doch nicht in einem Schubladendenken. Unser ganzes Leben hat mit Kultur zu tun. Wie wir essen, welches Design unsere Möbel haben. Das setzt immer einen kreativen Prozess voraus, der sich dann manifestiert. Ich möchte Kunst und Kultur so platzieren, dass es gut für die Stadt und auch für die Freie Szene ist. Es geht um Individuen, Bauten und Veranstaltungen, einzelne Sparten, alles hat seine eigene Mechanik. In kulturellen Formen zeigt sich die Vielfalt der Gesellschaft."


Ich packe meinen Kulturbeutel und nehme mit...


Geändert hat sich seit ihrem Amtsantritt als Bürgermeisterin wenig für sie: "Es gibt einige Termine und Ausschusssitzungen mehr. Aber der Geschäftsbereich Kultur war schon vorher sehr groß." Das Motiv, noch einmal sechs Jahre lang den Kulturbereich zu leiten, war die Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas 2025. "Ich wollte die Bewerbung unterstützen. Ich sehe das als eine Gesamtstrategie. Was ist gut für Nürnberg? Was ist gut für Europa? Was können wir verändern? Nürnberg wurde lange unterschätzt und deshalb ist es auch mein Bestreben, das Kulturhauptstadt-Thema anzugehen. Selbstvergewisserung und Sichtbarmachung des Kulturstandorts sind die Ziele. Nürnberg setzt immer noch viele in Erstaunen."

Lehner will in jedem Fall die komplette sechsjährige Amtszeit absolvieren. "Wenn schon, denn schon. Auch wenn es mit der Kulturhauptstadt nicht klappt." Auf die Frage, ob Ulrich Maly durch seinen Verzicht, noch einmal als OB-Kandidat anzutreten, sie habe hängen lassen, gibt Lehner keine klare Antwort. "Uli Maly hat sich so entschieden, wie er sich entschieden hat."

Dass die CSU mit Lehner auf den Kulturbereich setzt und nicht etwa auf Sport oder Bildung hat viele in der Stadt überrascht. "Kulturarbeit ist Vermittlungs- und Bildungsarbeit. Man muss niederschwellige Formate finden, um Menschen zu erreichen. Menschen müssen Möglichkeiten erhalten, an Bildung teilzunehmen, damit sie ihren eigen Weg besser gestalten können."

Diese Erkenntnis lasse sich nicht mehr auf ein Parteibuch zurückführen. Corona habe dazu geführt, Kultur noch einmal neu zu denken. Statt Großveranstaltungen wurden kleinere Veranstaltungen konzipiert und mehr auf die Freie Szene geachtet, die wichtig ist. Das für die Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas wichtige Reichsparteitagsgelände werde am Ende nicht wie ein Neubau aussehen. Sondern eher wie der Z-Bau.

Reizvolles Gespann

Mit dem jungen Politiker Marcus König in den Wahlkampf zu ziehen, war nicht Lehners Idee gewesen. "Man kam von verschiedenen Seiten auf mich zu. Ich habe mir das lange überlegt. Es hatte eine gewissen Charme, die erfahrene Politikerin und den jüngeren, aufstrebenden Politiker als Gespann zu verbinden." Dass das Verhältnis zum aktuellen Ministerpräsidenten Markus Söder nicht einfach war, räumt Lehner ein: "Es ist kein Geheimnis, dass wir bei Kulturthemen nicht immer einer Meinung waren. Er hat aber inzwischen die Entscheidung für sich getroffen, dass es vielleicht auch sinnvoll ist, jemanden als Beraterin zu Wort kommen zu lassen, der über eine kulturelle Expertise verfügt. Es ist eine Wertschätzung meiner Arbeit, die vielleicht auch ihm zu Gute kommt."

Lehner schätzt sich selbst als temperamentvoll und flexibel ein. Für sie ist Ordnung wichtig, sie kann aber auch alles umstürzen, wenn etwas vom Himmel fällt. "Aber ich bin sehr diszipliniert." Für oder gegen Frauenquote? "Ich war immer der Meinung, dass die geeignetste Person, ob Mann oder Frau, die Stelle bekommen muss. Auf der anderen Seite ist mir auch bewusst, dass viele Frauen gar nicht auf die Idee kommen, sich in der Politik zu engagieren, weil Männer von Haus aus gute Platzierungen erhalten. Die Einführung einer Frauenquote bei der Listenaufstellung zur Kommunalwahl war nicht ganz einfach und hat zu Verletzungen geführt, hat aber der Volkspartei CSU sehr gut getan. Die Hoffnung ist, dass mehr Frauen in die Politik einsteigen, weil sie eine Chance haben."

Die CSU-Politikerin gilt als sehr modebewusst. "Ich kaufe immer analog." Das Thema hat Lehner auch wissenschaftlich in ihrer Doktorarbeit, die über "Die Mode im alten Nürnberg" ging, interessiert. "Das, was du sein willst, das, was du zum Ausdruck bringen willst, und das, was du bist, kannst du am allerbesten mit dem ausdrücken, was du auf der Haut trägst." Manchen Zeitgenossen sei das zwar egal, das will Lehner gar nicht bewerten. "Die Optik des ersten Eindrucks sollte einen aber nicht dazu verleiten, den Menschen in eine Schublade zu stecken.

"Ich weiß, was Mode mit uns macht. Mode und Design sind eine Form von Kunst. Obwohl alles schon dagewesen ist, geht es immer weiter. Mode ist der Wandel an sich. Warum hat ein Kostüm, das vor zehn Jahren entworfen wurde, immer noch Aktualität? Das fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Mein Kleiderschrank ist gut bestückt. Hose ist Hose und Jacke ist Jacke: Warum werde ich immer wieder verleitet, etwas zu kaufen? Mit dem neuen Kleidungsstück interpretiert man sich selbst immer wieder anders. Man kämpft indirekt auch gegen das Älterwerden. Das heißt nicht, dass ich mich als 66-Jährige wie ein 20-Jährige anziehen muss. Aber die Sprache der Mode funktioniert in der ganzen Welt", sagt Lehner.


Kulturhauptstadt Europas: Ganze Region packt mit an


Die Amerikaner haben den Bürstenschnitt von den Russen im Zweiten Weltkrieg abgeschaut. Während der Renaissance hat der Adel die bürgerliche Kleidung angenommen. "Mode ist immer eine Grenzüberschreitung. Eine Adaption aus der anderen Schicht. Ein ewiges Spiel."

Warum CSU und nicht SPD?

Warum wurde die CSU ihre politische Heimat, nicht die SPD? "Ich bin ein Mensch, der Wert auf soziales Verhalten legt, das wurde mir anerzogen. Der Stärkere muss dem Schwächeren helfen. Der etwas geben kann, der soll geben. Der bedürftig ist, der soll etwas nehmen. Das kann man als Nächstenliebe oder als politisches Dogma sehen. Da ist mir die Sozialdemokratie sicher sehr nahe", sagt Lehner.

Was sie indes an den 68ern immer gestört habe, sei der Bruch zwischen Sein und Wunschdenken. "Wenn ich eine politische Haltung habe, dann muss ich sie auch konsequent in meinem eigenen Leben durchsetzen. Da war mir die Linke oft sehr unglaubwürdig. Mit dem Champagnerglas sich über das Elend und die Ungerechtigkeit in der Welt zu unterhalten, das geht furchtbar leicht. Ich verlange aber auch, dass der andere danach lebt. Da war mir das Konservative immer näher. Es muss eben auch Unternehmertum geben. Ich kann nicht immer nur nehmen oder die Hütten der Reichen stürmen, man muss selber etwas zur Weltverbesserung beitragen."

Dass ihre Ehe mit dem erfolgreichen Immobilienentwickler Gerd Schmelzer bisweilen kritisch beobachtet wird, lässt Lehner kalt. "Jeder von uns beiden hat dermaßen viel um die Ohren, dass er keine Zeit hat, sich in die Belange des anderen einzumischen. Wir sind eine Großfamilie und reden nicht nur über Kultur oder Bauprojekte. Mein Mann hat für seinen Erfolgsweg mich nicht gebraucht. Und hat die Kulturpolitikerin dazu ihren Mann gebraucht? Ich habe gezeigt, dass ich das kann. Wir müssen mit Neid leben."

Einen Lieblingsschriftsteller hat die Kulturreferentin nicht. Wohl aber ein Lieblingstier: Katzen.

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