Mahnwache untersagt: Nürnberger Politiker protestiert

7.4.2020, 06:00 Uhr
Der Nürnberger Politiker Rechholz fordert eine Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit.

© NNZ Der Nürnberger Politiker Rechholz fordert eine Überprüfung auf Verhältnismäßigkeit.

Wir geben unsere Grundrechte zu schnell auf," sagt Christian Rechholz, ÖDP-Politiker in Nürnberg. Aus seiner Sicht wird zu wenig gestritten, den Aussagen der Virologen zu willig gefolgt und gegen die Linie von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zu wenig protestiert: "Ich vermisse die Opposition." Als Politikwissenschaftler verfolge er die Beschneidung der Bürgerrechte mit Beklemmung.

"Um ein Zeichen zu setzen", meldete er erst letzte Woche eine "Mahnwache Grundrechte" in der Straße der Menschenrechte an. Das Ordnungsamt untersagte die Versammlung – schließlich erlaubt die Ausgangsbeschränkung nur bei einem triftigen Grund, die Wohnung zu verlassen. Nun plant er für kommenden Samstag, 14 Uhr, erneut eine Mahnwache. Er nimmt an, dass die Behörde die Versammlung wieder verbietet, und will Klage erheben. Denn aus seiner Sicht leidet derzeit vor allem einer am Coronavirus: der Rechtsstaat. Der Staat muss zwischen Sicherheit und Freiheit abwägen, er schützt seine Bürger in Krisen wie diesen. Aber der Staat ist auch die größte Gefahr für die Freiheit der Bürger.

Gestern protestierten in Münster Atomkraftgegner gegen einen Uran-Transport. Nachdem die Stadt Münster die Mahnwache erst verboten hatte, kündigten die Aktivisten eine Klage beim Verwaltungsgericht an. Vor einem Urteil einigten sich die Beteiligten: Die Teilnehmer traten mit Mundschutz und 1,50 Meter Abstand voneinander an.

Dass Bayern und Nordrhein-Westfalen nicht im Gleichschritt gehen, ist dem Föderalismus geschuldet. Für die Anwendung des Infektionsschutzgesetzes sind die Länder zuständig. Bislang preschten einzelne Länder vor, andere zogen nach. Es wird also noch gestritten.


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Der Nürnberger Rechholz will seine Mahnwache nicht falsch verstanden wissen: Er will nicht zum Widerstand gegen Maßnahmen aufrufen, die gegen eine Pandemie nutzen könnten, doch klaglos nicken zu den Freiheitsverlusten will er auch nicht.

Wir leben im Ausnahmezustand, sagt auch Christoph Strötz. Vor zwei Jahren trat er als Präsident des Nürnberger Oberlandesgerichts in den Ruhestand, nun gehört er zum "Dreierrat Grundrechtsschutz". Spricht er von einem Ausnahmezustand, meint er: Der Zustand muss die Ausnahme bleiben. Im Dreierrat soll er die Maßnahmen des Freistaats spiegeln – neben ihm sind Clemens Lückemann, Präsident des OLG Bamberg a. D., und Susanne Breit-Keßler, die frühere Münchner Regionalbischöfin, gefragt. Es geht darum, "den Ausgleich zwischen effektivem Infektionsschutz und geringstmöglichen Freiheitsbeschränkungen zu finden".

Doch ist es noch verhältnismäßig, nicht mehr in einer Kirche beten zu dürfen? Und worin besteht die Gefahr, wenn ein Mensch im Park sitzt und liest? Wirkt dies nicht tatsächlich, als ginge manchmal das Maß verloren, wenn auch aus der verständlichen Angst, das Gesundheitssystem zu überfordern?



Polizeirecht und Infektionsschutzgesetz gewähren der Exekutive derzeit weitreichende Befugnisse – so sieht es auch Strötz. So erlaubt die Verordnung, sich draußen zu bewegen. Doch draußen zu sitzen, ist verboten. "Wir können nicht jeden Einzelfall regeln. Wir müssen den Polizisten vor Ort klare Sätze an die Hand geben", sagt er. Auch er weiß, dass ein einzelner Mensch auf einer Bank keine Gefahr darstellt, doch mit dem Verbot, draußen zu sitzen, wolle man verhindern, dass in größeren Gruppen Grillfeste veranstaltet werden.

Strötz: "Und außerdem kann jeder weiterhin klagen. Nur so überprüfen die Gerichte, ob die bereits beschlossenen Regeln verhältnismäßig sind." Zumindest ein (vorläufiges) Ablaufdatum existiert: der 19. April.

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