Maly im Interview: "Es ist schon immer mein Traumjob gewesen"

29.2.2020, 08:02 Uhr
Ulrich Maly sieht nicht nur mit Freude, sondern auch mit Wehmut in die Zukunft.

© Daniel Karmann, NN Ulrich Maly sieht nicht nur mit Freude, sondern auch mit Wehmut in die Zukunft.

Herr Maly, wie geht’s?

Ulrich Maly: Gut geht’s! Ich habe mich ja lange genug darauf eingestellt, dass der Abschied kommt. Ich beobachte mich kritisch, ob die Wehmut beginnt oder die Sehnsucht nach Denkmalsbildung. Letzteres kann ich verhindern. Die Wehmut, bin ich mir sicher, kommt noch. Spätestens wenn ich das Büro ausräume und mich von den Menschen verabschiede, die ich länger gesehen habe als meine Frau in den vergangenen 18 Jahren. Das wird sicherlich Tränen geben.

Noch kein schlechtes Gewissen, dass Sie die Nürnberger SPD jetzt sich selbst überlassen?

Maly: Ich glaube nach wie vor, dass ich richtig entschieden habe. Das war ja lange, bevor sich in Deutschland die große Schwäche der SPD ausgebreitet hat. Wenn es am 15. März oder in der Stichwahl gut ausgeht, habe ich keinerlei schlechtes Gewissen. Wenn es schlecht ausgeht, wird der eine oder andere sagen: "Mensch, der Maly hätte es noch mal reißen können." Aber auch dann hätte es irgendwann eine Zeit nach mir gegeben. Demokratie ist Wechsel. Man muss ja heute schon Ende 20 sein, um sich als Nürnberger an jemand anderen erinnern zu können als den Maly. Dann ist es, finde ich, tatsächlich Zeit für einen Wechsel.


Maly: So hat sich Nürnberg in seiner Amtszeit gewandelt 


Wo werden Sie den Wahlabend am 15. März verbringen?

Maly: Im SPD-Haus.

Sie ziehen sich unerwartet früh aus der Politik zurück. Welche Träume wollen Sie sich stattdessen erfüllen?

Maly: Den Traum von der großen Freiheit sollte man nicht überhöhen. Vielleicht wird aus der großen Freiheit eine kleine Leere? Wobei ich das nicht glaube. Langeweile kenne ich nicht. Vielleicht lerne ich sie jetzt wieder kennen. Es konkretisiert sich eine kleine Strategie, wie meine Frau und ich mit der neu gewonnenen Freiheit umgehen werden. Wir machen nicht den Fehler, dass wir generalstabsmäßig eine mehrmonatige Weltreise planen und mit Freizeitstress weitermachen. Wir fangen mit einer Kur an, um runterzukommen. Dann machen wir ein paar langweilige Urlaube. Also ohne großes Kulturprogramm, vielleicht im Gebirge, wandern, lesen, Rad fahren. Wir haben uns vorgenommen, uns jedes Jahr eine Ecke in Deutschland anzugucken, weil wir, nüchtern betrachtet, Italien in der Fläche besser kennen als Deutschland.

"Social Media reizt mich nicht"

Was wollen Sie am meisten nachholen?

Maly: Bücher lesen. Und Kulturleben, zum Beispiel Ausstellungen. Wir werden uns wahrscheinlich ein Theater-Abo kaufen. Das wird natürlich nicht das ganze Leben ausfüllen. Ich schließe nicht aus, dass ich das eine oder andere Ehrenamt übernehme. Aber ich übernehme jetzt keine Ämter für hinterher, sondern erst, wenn ich weiß, wie "hinterher" aussieht. Ich sage bei allen Anfragen das Gleiche: Fragt mich wieder nach dem 1. Mai.

Sie sammeln erst mal Angebote?

Maly: Nein. Ich glaube, man überlebt die Trennung vom Amt nur, wenn man sich von einer Illusion freimacht: Meine Bedeutung in der Stadtgesellschaft wird nicht bleiben. Die Leute sehen mich jetzt in der Rolle der Autorität des Amtes. Mancher, der jetzt überzeugt davon ist, dass er mich unbedingt als "Elder Statesman" braucht, sieht das vielleicht Ende Juni ganz anders, wenn jemand anderes die Rolle des OB innehat.

Als Sie vor einem Jahr Ihren Rückzug angekündigt hatten, kokettierten Sie mit Ihrem Nachholbedarf als Privatmensch. Sie, der ehemalige Kämmerer, könnten "wohl nicht mal eine Online-Überweisung ausfüllen", sagten Sie in einem Interview. Wir glauben Ihnen kein Wort.

Maly: Doch, das stimmt! Fragt meine Frau. Als ich Kämmerer wurde, gab mir mein Vorgänger den Rat, daheim keine Geldgeschäfte zu machen. "Sie haben mit so großen Zahlen zu tun, da kommen Sie privat nur durcheinander." Ich weiß auch selten, wie viel Geld bei uns auf dem Konto ist.

Sie könnten auch in den sozialen Netzwerken Alt-OB-Seiten für Italien-Reisen betreiben.

Maly: Ich glaube nicht, dass ich in die sozialen Netzwerke gehe. Ab und zu schaue ich meiner Frau über die Schulter, sie ist bei Instagram. Es reizt mich nicht, es ist einfach nicht die Ebene, auf der ich kommunizieren will.

"Man wird ernster"

Wie hat das Amt den Menschen Maly verändert?

Maly: Zwei meiner ältesten Freunde haben mir neulich gesagt, dass es das Schönste sei, dass ich mich kaum verändert hätte. Das nehme ich als Kompliment. Obwohl ich mir sicher bin, dass es mich verändert hat. Man wird ernster. Du wirst schweigsamer, je mehr du erlebst. Ich glaube aber, dass sich hoffentlich mein Charakter nicht verändert hat, weil mir das Amt nie zu Kopf gestiegen ist. Ich habe meine Persönlichkeit eingebracht, anstatt mir vom Amt etwas aufdrücken zu lassen. Ironische Distanz zu mir selber – das geht noch.

Oberbürgermeister in der Halbmillionenstadt – was zehrt dabei am meisten? Der Termindruck, die Erklärungsarbeit?

Maly: Politikübersetzungsarbeit ist sicherlich eine der Schwierigkeiten. Die häufige Wiederholung gehört aber zum Geschäft. Angela Merkel hat gesagt: "Erst wenn du eine Sache so oft gesagt hast, dass du dich selbst nicht mehr hören kannst, hat es draußen der Erste gehört." Das Beobachtetsein und das Fremdbestimmtsein ist vielleicht das Anstrengendste. Schön ist die Vielfalt, es wird nie langweilig. Außer vielleicht in Stunde fünf der Stadtratssitzung.

Sie haben 18 Jahre lang Bürger und Interessengruppen gehört. Was hat sich im Umgang verändert?

Maly: Im direkten Gespräch und in Briefen eigentlich nichts. Wenn einer ein ernsthaftes Problem hat, beschimpft er einen schon mal oder bricht bei deiner Antwort in Hohngelächter aus. Das gab es auch schon vor 18 Jahren. Aber in E-Mails und sozialen Netzwerken ist der Ton rauer geworden. Die Unduldsamkeit, dass staatliches Handeln manchmal komplex ist, ist größer geworden. Zu meinen Lieblingssätzen gehört die Anmerkung, gerne bei Beschwerden über Strafzettel, "Und ihr wollt die Stadt der Menschenrechte sein" oder inzwischen "Und so was will Kulturhauptstadt werden". Wenn man so deutlich erkennt, dass es demjenigen nicht ums allgemeine Wohl, sondern nur um sein eigenes Anliegen geht, kann ich mich auch heute noch darüber aufregen.

Söder als Kontrahent oder politischer Freund?

Sie wollten nie öffentlich machen, dass Sie trotz Ihrer Beliebtheit auch Bedrohungen ausgesetzt waren wie fast alle Politiker. Ist es richtig, dass Bayern jetzt einen Staatsanwalt zum "Hate-Speech-Beauftragten" gemacht hat, der Hasskommentare verfolgen soll?

Maly: Ja. Durch seine Tätigkeit sorgt er dafür, dass dieses Thema ein Thema bleibt. Wir verfolgen die Beleidigungen der städtischen Mitarbeiter unerbittlich. Wir zeigen jeden an. Da hat sich etwas geändert. Früher kam öfter die Mitteilung der Staatsanwaltschaft "Wegen Geringfügigkeit eingestellt". Jetzt nehmen sie das viel ernster, es kommt zu einer Verurteilung oder zum Bußgeldbescheid. Es ist für unsere Kollegen ganz wichtig zu sehen, dass die Justiz sie schützt.


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Die fränkische Doppelspitze Söder–Maly bricht jetzt auseinander. Wer ist Markus Söder für Sie: ein Kontrahent, politischer Freund, Weggefährte?

Maly: Das hat sich gewandelt. Ich räume im Büro gerade meinen Giftschrank aus. Darin finde ich Söder-Pressemeldungen von 2002, in denen er ziemlich gegen mich ausgeteilt hat.

Ja, als er noch CSU-Generalsekretär war, hat er Sie mal im Fasching als "Urlaubs-Uli" verhöhnt, weil Sie angeblich in häufigen Urlauben unerreichbar waren.

Maly: Ich hatte kleine Kinder, die ich fast nie sehen konnte – natürlich habe ich Urlaub gemacht. Markus Söder hat irgendwann erkannt, dass es klüger für seine Heimatstadt ist, wenn wir so etwas wie eine strategische Allianz bilden. Das haben wir jetzt seit Jahren relativ erfolgreich gemacht. Freundschaft ist ein großes Wort, das wir wohl beide in der Politik nicht verwenden würden. Aber unser Verhältnis ist solide, geklärt und sehr vertrauensvoll. Übrigens, Urlaub machen: Wenn ich meinen Nachfolgern überhaupt irgendetwas rate, dann das.

Daher Ihre Kostümierung kürzlich in Veitshöchheim in Dauerurlauber-Kluft?

Maly: Diese subtile Botschaft fanden alle meine Kollegen, die im Moment im Wahlkampf stehen, total gemein. Ich habe gelernt, es gibt einen Hawaiihemden-Fachversender in Münster, und wir haben das hässlichste ausgesucht.

Was nehmen Sie aus Ihrem Büro mit?

Maly: Das Kunstwerk von Reiner Zitta, die Schreibtischlampe, sie war meine eigene, und die Handynummer.

Was wird Ihnen am ehesten fehlen?

Maly: Das Gepampert-Werden. Das beginnt beim Luxus, keinen Parkplatz suchen zu müssen, weil man gefahren wird, und geht bis dahin, dass mein Büro die Zahnarzt-Prophylaxe-Termine ausmacht. Man hält den Takt ja nur durch, wenn man sich um vergleichsweise wenig kümmern muss. Ich muss mich ab jetzt um alles selber kümmern, das wird spannend.

An welchem Ort in Nürnberg fühlen Sie sich besonders zu Hause?

Maly: An vielen. In Gostenhof–Mitte, wo ich samstags Einkaufstour mache. Im Kreuzigungshof des Heilig-Geist-Spitals, der ist so ruhig und stellt ein Stück Alt-Nürnberg dar. Das kann aber auch im Stadion sein, wenn der Club gewinnt. Natürlich liebe ich die Stadt. Das war auch der Grund, warum ich nie anderswo politische Karriere machen wollte. Eigentlich ist es schon immer mein Traumjob gewesen. Für den Städtetag war ich immer wieder in Brüssel, Berlin und München. Das Gefühl, wenn du zurückgekommen bist, war immer ein wunderbares.

Wann steigt der Club wieder auf?

Maly: Im nächsten Jahr natürlich! Wie jeder Club-Fan bin ich voller Illusionen.

Wer nicht mehr OB ist, kann zu allen Auswärtsspielen fahren.

Maly: Vielleicht da und dort. Na ja, wahrscheinlich nicht. Auswärts gewinnt man ja tendenziell seltener.

Ulrich Maly übernahm den Posten des Oberbürgermeisters am 1. Mai 2002. Der gebürtige Nürnberger und promovierte Volkswirt, der seit 1984 der SPD angehört, war zuvor unter dem CSU-OB Ludwig Scholz Stadtkämmerer. Von 2013 bis 2015 war er Präsident des Deutschen Städtetags, von 2011 bis 2017 des Bayerischen Städtetags. Er und seine Frau Petra haben zwei Kinder. Im kommenden Sommer wird er 60 Jahre alt.

Am Sonntag wird der zweite Teil des NZ-Interviews mit Ulrich Maly veröffentlicht. 

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