Retter für Weihnachten? Seniorenheime in Nürnberg hoffen auf Schnelltests

16.11.2020, 14:52 Uhr
Heimärztin Dr. Rosemarie Hofmann vom Sebastianspital präpariert das Stäbchen für den Antigen-Schnelltest. Den Abstrich hatte sie zuvor bei Oberbürgermeister Marcus König genommen. In 15 Minuten erscheint das Ergebnis: negativ.

© Stefan Hippel, NNZ Heimärztin Dr. Rosemarie Hofmann vom Sebastianspital präpariert das Stäbchen für den Antigen-Schnelltest. Den Abstrich hatte sie zuvor bei Oberbürgermeister Marcus König genommen. In 15 Minuten erscheint das Ergebnis: negativ.

Seit August arbeitet Michael Pflügner daran, Weihnachten zu retten. Da wusste noch niemand, dass der Nürnberger Christkindlesmarkt abgesagt werden sollte, dass sich das "Christkind" Benigna Munsi vielleicht gerade noch im Innenhof statt in den Zimmern der Seniorenheime zeigen wird, dass die Straßenbahnerkapelle ihre Auftritte im Dezember streicht, weil sie im November nicht üben darf. Dass sich Deutschland im zweiten Lockdown befindet.

Angehörige werden unruhig

"Die Angehörigen werden unruhig", sagt eine Heimleiterin. Man könnte doch, schlägt der Kantinenchef vor, einmal wöchentlich etwas Besonderes auf den Speiseplan setzen oder etwas aufs Essenstablett mitgeben, zum Beispiel einen Piccolo, "die Einschränkungen sollen kulinarisch aufgefangen werden". Der Sicherheitsdienst, gibt jemand zu bedenken, müsse sich auch darauf einstellen, "Angriffe von Leuten abzuwehren, die zu uns reinwollen".


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Zwei Mal in der Woche, dienstags und donnerstags, wählen sich Einrichtungsleiterinnen, Mitarbeiter der strategischen Unternehmensentwicklung und der Ambulanten Dienste bei einer Telefonkonferenz ein, Michael Pflügner hört zu und diskutiert. Er ist der Chef von NürnbergStift, dem Eigenbetrieb der Stadt Nürnberg, und damit verantwortlich für das Pflegezentrum Sebastianspital, das August-Meier-Heim, die Senioren-Wohnanlagen in St. Johannis und am Platnersberg sowie für das Betreute Wohnen im Heilig-Geist-Spital. Am Ende der Konferenz sagt er: "Wir sind bereit."

Was bleibt von Weihnachten?

Wenn Weihnachten traditionell das Fest der Familie ist, Töchter, Söhne, Enkel und Urenkel aber mit dem Coronavirus infiziert sein könnten - was bleibt dann noch? Eine der Antworten könnte sein: Dem Schutz von Menschenleben soll alles untergeordnet werden, die Bewohner der Altenheime gehen in soziale Isolation. "Das will keiner", betont Michael Pflügner, "die Heime sollen offen bleiben, wir ermöglichen sichere Kontakte." Im Frühjahr, während des ersten Lockdowns, gab es Situationen, die sich in die Erinnerungen der Mitarbeiter schmerzlich eingebrannt haben.

"Einbruch" mit Feldbett

Da war die Tochter, die über den Balkon ins Zimmer ihrer betagten Mutter kletterte, und es sogar schaffte, ein Feldbett mitzuschleppen. Damit sie dort die Nächte verbringen konnte. Und was sagt man der Frau, die es gewohnt ist, täglich mehrere Stunden bei ihrer Mutter zu sein, die im Sterben liegt? März, April und Mai haben furchtbare Spuren hinterlassen in den Heimen. In diesen Tagen fühlt sich so mancher wie in einer unglückseligen Zeitmaschine. Nur, dass im Mai Muttertag auf dem Spiel stand, nun ist es Weihnachten. Doch diesmal spielen den Beteiligten die Zeit und der wissenschaftliche Fortschritt in die Hände.

Wie ein Schwangerschaftstest

Der altbekannte PCR-Test hat nämlich einen fixen kleinen Bruder bekommen: den Antigen-Schnelltest. Statt tagelang auf das Ergebnis zu warten, ist es nach 15 Minuten abzulesen. Wie bei einem Schwangerschaftstest zeigt ein roter Strich an, ob der Test richtig gehandhabt wurde. Ein zweiter Strich erscheint, wenn eine Infektion mit dem Coronavirus besteht. Bleibt er aus, gilt der Getestete an diesem Tag als nicht infiziert und kann die Einrichtung betreten.

Begehrt wie Freibier

Hinter dem Café "Tante Noris" am Wöhrder See weisen Pfeile auf das neue Testzentrum hin. Es ist nicht öffentlich, nur Besucher dürfen hinein. Die Mitarbeiter des Sebastianspitals haben Plexiglasscheiben aufgestellt, die Heimärztin wartet, mit Handschuhen, Kittel, Visier, Stäbchen für den Abstrich. Alexander Adamek von der strategischen Unternehmensentwicklung faltet einen Plan auseinander und zeigt auf die täglichen Öffungszeiten.30.000 solcher Tests hat NürnbergStift kürzlich bestellt, die Rechnung geht an den Bund.


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Dieser hat Mitte Oktober eine Verordnung erlassen, wonach Pflegeeinrichtungen diese Antigen-Schnelltests bezahlt bekommen. Im Corona-Jahr 2020 sind kostenlose Schnelltests ähnlich begehrt wie in früheren Zeiten kühles Freibier, schon fragen Nicht-Besucher dutzendfach danach.

Keine absolute Sicherheit

Das Sebastianspital war in Nürnberg die erste Einrichtung, die die Schnelltests massenhaft einsetzte: beim Pflegepersonal, bei Reinigungskräften und Handwerkern, die in die Einrichtung kommen, bei Besuchern. Inzwischen wendet NürnbergStift sie auch in seinen anderen Heimen an. "Der Schnelltest ist etwas weniger zuverlässig als der PCR-Test, aber absolute Sicherheit gibt es ohnehin nicht", sagt Michael Pflügner.

Furchtbare Was-wäre-wenns

Was passiert, wenn immer mehr Mitarbeiter in Quarantäne geschickt werden? Was passiert, wenn die Krankenhäuser so voll sind, dass unsere Pflegebedürftigen nicht mehr aufgenommen werden? Was passiert mit den Antigen-Schnelltests, wenn unsere betreuenden Ärzte ausfallen? Was passiert, wenn die Essensversorgung oder Wäscheversorgung nicht mehr funktionieren? Was passiert, wenn wir nicht mehr ausreichend Personal haben? Was passiert, wenn wir schwer beherrschbare Mengen an Infektionen in unseren Häusern haben?

Die Mitarbeiter sollen alle furchtbaren Was-wäre-wenns durchdenken, hat Michael Pflügner gefordert. Lösungen schenken Handlungsoptionen. Zum Beispiel die, dass man weiß: Zur Not könnte NürnbergStift auch eigene Beatmungsplätze schaffen, denn vier Mitarbeiter haben auf Intensivstationen gearbeitet. Ruckzuck lässt sich die Quarantäne-Station im Sebastianspital erweitern, und es gibt genügend Personal, das willens ist, dort Dienst zu tun.

Seit Freitag ist es tatsächlich so weit gekommen: 15 Bewohner des Sebastianspitals sind mit dem Coronavirus infiziert und daher in der Quarantänestation oder in ihren Zimmern isoliert, 11 Mitarbeiter sind ebenfalls erkrankt und daheim. "Wir wissen nicht, wie das Virus eingetragen wurde", Michael Pflügner schüttelt ratlos den Kopf. Am wahrscheinlichsten sei es, dass ganz frisch infizierte Pflegekräfte zur Arbeit kamen. Dann nämlich ist die Viruslast noch so niedrig, dass ein Antigen-Schnelltest ein negatives Ergebnis zeigt.

Ein Mantra gegen die Sorgen

Fast ist der NürnbergStift-Chef gerührt, wenn er von den 620 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spricht, von großem Engagement erzählt und davon, wie tief sich bei allen eingebrannt hat: Die Menschen in den Heimen sollen nie wieder das erleben müssen, was im Frühjahr geschehen ist. "Besuche sind weiterhin möglich. Besuchszeiten werden nicht reduziert." Diese Sätze sind Pflügners Mantra. Fragt man ihn nach Weihnachten, antwortet er nach einigem Zögern: "Das wird ganz schwierig".

"Irgendwie müssen wir an den Adventssamstagen und -sonntagen festliche Stimmung reinkriegen", sagt jemand in der Telefonkonferenz, "und wie soll Weihnachten überhaupt gestaltet werden?". Am Ende der Konferenz einigen sich alle darauf, Ideen zu sammeln. Für ein Weihnachtsfest, wie es noch nie eines gab.


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