Vierteljahrhundert ohne einen Tropfen: Ein trockener Alkoholiker erzählt

5.12.2020, 17:03 Uhr
Hier ein Bier, da ein Schnaps - die Kontrolle über den eigenen Konsum verliert man schneller als gedacht.

© Tobias Hase, dpa Hier ein Bier, da ein Schnaps - die Kontrolle über den eigenen Konsum verliert man schneller als gedacht.

Ein Kasten Bier, dazu noch Schnaps – das war die Tagesdosis, die Peter Schütze am Ende brauchte. "Ich war Gesellschaftstrinker", sagt der 68-Jährige heute. Jetzt steht eine Kanne Pfefferminztee vor ihm auf dem Wohnzimmertisch in Eibach. Damals, als er jung war, wäre eher etwas Hochprozentiges vor ihm gestanden. Er habe eben dazugehören wollen, erzählt Schütze.


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"Man denkt immer, dass man das im Griff hat", erinnert er sich an die Zeit zurück. Und man schwebt auch irgendwie wie auf einer Wolke, wenn man sich gerade vollgepumpt hat. Aber dann sinkt der Pegel, man zittert, bekommt Schweißausbrüche... Was jetzt schnell hilft: Alkohol. Ein Teufelskreis.

Peter Schütze ist seit 1994 "trocken". In einer Selbsthilfegruppe setzt er sich mit anderen Gleichgesinnten mit Alkoholsucht auseinander.

Peter Schütze ist seit 1994 "trocken". In einer Selbsthilfegruppe setzt er sich mit anderen Gleichgesinnten mit Alkoholsucht auseinander. © Julia Vogl

Schütze war Anfang 40, da wurde ihm klar, dass er seinen Umgang mit Alkohol eben längst nicht mehr im Griff hat. "Ich musste mich entscheiden: etwas ändern oder alles verlieren." Er hat die richtige Entscheidung getroffen. Schütze absolvierte eine Therapie. 1994 war das. Es war die erste. Und die letzte. "Ich habe nie wieder einen Tropfen getrunken", sagt er. Er hatte Glück: Seine Beziehung hat gehalten. Bis heute. Und auch seinen Job – Schütze war Maschineneinsteller in einer Druckerei – konnte er behalten.

Psychische Abhängigkeit bleibt

26 Jahre trocken – und doch weiß Schütze genau, dass er immer noch vorsichtig sein muss. "Geschafft hat man es erst, wenn man tot ist", sagt er. Die psychische Abhängigkeit, sie bleibt ein Leben lang. Schütze aber gibt nicht nach. Und damit das auch so bleibt, tauscht er sich mit anderen trockenen Alkoholikern in einer Selbsthilfegruppe aus – gegründet hat er sie damals nach der Therapie und leitet sie auch heute noch voller Freude.

"Man muss neu lernen, wie man mit seinem trockenen Leben zurecht kommt", sagt Schütze über die Themen, um die es in der Gruppe geht. Die Gesellschaft, in der man vorher getrunken hat, fällt plötzlich weg. Plötzlich kommt man nach Feierabend nach Hause und muss irgendetwas mit der Zeit anstellen, in der man sich früher eben vollgepumpt hat. "Man muss lernen, dass man auch einfach mal entspannen und nichts tun darf", sagt Schütze, dem Körper auch mal eine Pause zu genehmigen, sei durchaus in Ordnung.

Es funktioniert auch ohne

Und dann ist da ja noch der Alkohol, der in vielen Situation allgegenwärtig ist. Der kleine Umtrunk im Büro, die Geburtstagsfeier... "Nein sagen ist wichtig", sagt Schütze. Zu sich selbst und auch zu den anderen. Man müsse da auch gar nicht jedem auf die Nase binden, dass man trockener Alkoholiker ist. "Es gibt genug Menschen, die nichts trinken." Ebenfalls hilfreich: ein möglicher Rückzug. Wenn man merkt, dass eine Situation gerade gefährlich zu werden droht, dann müsse man sich das auch eingestehen und gehen.


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Wer das durchzieht, der wird dafür belohnt. "Aufstehen ohne schlechten Kopf und Magen, keine Schweißausbrüche mehr, endlich Autofahren ohne schlechtes Gefühl", zählt Schütze auf. "Ohne Alkohol wird man von der Gesellschaft auch wieder als Mensch akzeptiert", sagt er. Seine Bilanz nach einem Vierteljahrhundert ohne Bier und Schnaps: "Das Leben funktioniert auch ohne Alkohol – und das sogar noch viel besser."

Die Selbsthilfegruppe ITAN – Interessengemeinschaft trockene Alkoholiker Nürnberg – trifft sich (wenn es Corona zulässt) jeden Samstag von 17 bis 19 Uhr im Kulturladen Röthenbach (Röthenbacher Hauptstraße 74). Alle Gespräche dort werden vertraulich behandelt und verbleiben in der Gruppe. Weitere Informationen gunter itan-peter.de

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