Anpacken bei der Tafel: Ein Selbstversuch von Claudia Weinig

1.4.2020, 12:13 Uhr
Anpacken bei der Tafel: Ein Selbstversuch von Claudia Weinig

© Claudia Weinig

Es ist eine Geschichte, wie sie Covid-19 schreibt. Einerseits. Weil dieser Virus Schuld daran ist, dass „Zeit haben“ nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel ist. So wie bei mir. Drei Wochen Urlaub im März für eine Fernreise. So war’s lange geplant. Und dann kam das Virus und alles ist anders. Jetzt habe ich Zeit. Leerer Terminkalender. Quasi unerreichbare Freunde. Zeit lässt sich mit Fenster putzen, Klamotten sortieren und Co. ganz gut vertreiben. Das ist irgendwie auch sinnvoll.  Aber mir fehlt etwas, genau genommen fehlt mir ganz viel. Jetzt. In Zeiten der Kontaktsperre. Ich habe ja Zeit, die ich sonst nicht gehabt hätte.

Trotzdem: Die Corona-Charts mit ihren permanent steigenden Zahlen nerven mich im Nachrichten-Stundentakt. Gleichzeitig sind die Bilder aus dem nahen Italien einfach entsetzlich. Die spürbare (und absolut berechtigte) Angst meiner Eltern (75+) vor der Krankheit; die vielen WhatsApps zum Thema „home office“ — manchmal echt lustig; oft aber völlig entnervt von demjenigen, der gerade am home-office-Laptop mit lahmer Datenleitung sitzt. Allein der Verstand sagt: Es muss sein! Und: Es geht ganz vielen so oder so ähnlich. Bestimmt. Und genau da kommt die Meldung, dass die „Rother Tafel“ Helfer braucht. Weil etliche der „guten Geister“ deutlich über 70 Jahre alt sind; damit also unbedingt zu Hause bleiben sollten. Ja sogar müssen.

Win-Win-Situation für alle

So will es Robert Gattenlöhner, der Vorsitzende der „Rother Tafel“. Die Begeisterung ob dieser Entscheidung hält sich gerade bei „seinen“ Senioren-Helfer-Ladies schwer in Grenzen. „Manche arbeiten hier seit fast zwei Jahrzehnten mit; sie vermissen unsere Kunden und die Arbeit im Team hier wirklich“, erzählt Gattenlöhner. Aber letztlich siegt die Vernunft; oder zumindest ein energisches „Nein“ von Seiten des Ehemannes oder der Kinder gegenüber den Oldies des Helferstamms. „Kunden“ — nicht „Bedürftige“ oder „Arme“ oder „sozial Schwache“ nennt das Tafel-Team die Menschen, die in Roth samstags und in Hilpoltstein mittwochs kommen, um sich Lebensmittelspenden gegen einen Obolus von (mindestens) einem Euro holen. Manche von ihnen über Monate und sogar Jahre hinweg. In vielen Regionen haben die Tafeln bereits ihren Betrieb eingestellt. Denn wie die Gesundheit von Helfern und Hilfesuchenden garantieren?


Corona-Krise: Bei der Rother Tafel werden die Helfer knapp.


In Roth und Hilpoltstein machen sie dennoch weiter, „so lange es irgendwie möglich ist“, betont Gattenlöhner. Aber: dazu braucht es Ersatz für die ausgefallenen Helferinnen. Ja warum eigentlich nicht? Mal kurz überschlagen sieht es doch so aus: Externe Freizeitangebote aktuell: null. Dem gegenüber stehen: Meine freie Zeit, die genügend Raum fürs Chillen übrig lässt. Plus die Gelegenheit, diese im Team — ohne leichtfertig zu sein — da zu investieren, wo sie tatsächlich gebraucht wird. Das ergibt unterm Strich eine Win-Win-Situation für alle. Im besten Fall. Es dauert keine fünf Minuten, dass ich zwischen der Digital-Zeitungslektüre samt Tafel-Helferaufruf gleich ins Mail-Programm umswitche, um mich bei Tafel-Koordinator Jens Hörauf als Freiwillige zu melden. So, wie das an diesem Tag übrigens noch über 20 andere machen. „Wenn uns da manche bleiben würden für die Zeit nach der Corona-Krise. Dann hätte diese Krise für uns sogar noch was Gutes“, wird Gattenlöhner wenige Tage später bei der Lebensmittelausgabe sagen, als bereits der Einsatzplan für die nächsten zwei Wochen steht. Und zwar ohne jede Helfer-Lücke.

Anpacken, das ist seins

„Daheim rum sitzen. Nix für mich.“ Jörg (48), durch Covid-19 und durch die Pflege seiner hilfsbedürftigen Eltern gerade beruflich freigestellt, spricht so gut wie allen Neulingen aus der Seele; unter ihnen auch Kai, mit 15 der Youngster unter den Tafel-Greenhorns. Es ist der selbe Grund, warum Männer und Frauen wie Manfred (59) oder die mega-gepiercte und tätowierte Sandra seit Jahren mit dabei sind. Auch und gerade in Corona-Zeiten. Sie wollen „was Sinnvolles tun“, sagt der langhaarige Manfred, der als Langzeitarbeitsloser einfach „keinen Bock mehr auf eine PC-Schulung vom Arbeitsamt hat. Was soll denn das für einen Rheumakranken Fast-Sechzigjährigen wie mich?" Das erzählt er fast trotzig. Er braucht nicht viel Geld zum Leben. Aber anpacken, wo er gebraucht wird. Das ist seins. Auch für Tafel-Koordinator Jens Hörauf. Im „früheren Leben“ war er Informatiker. Stress, Erfolgsdruck, Leistung unter allen Umständen — er war und ist dem nicht gewachsen. Für Robert Gattenlöhner aber ist er seit einigen Jahren genau der richtige Mann am richtigen Ort, angestellt und bezahlt mit Hilfe des Arbeitsamtes.

Hörauf koordiniert die gesamte Tafel. Woche für Woche. Auch in Corona-Zeiten inklusive neuem Versorgungskonzept, das auf Standard-Lebensmittelpakete in frischen Müllsäcken setzen muss; sorgsam einzeln verteilt an die über 60 Familien und Paare, die in Roth derzeit zum Bezieherstamm gehören. Covid-19 lässt gerade keine Individualität zu. Dabei kennen die erfahrenen Tafel-Mitarbeiter ihre Klienten sehr gut; wissen um Allergien, Krankheiten oder um Glaubenszugehörigkeit; und sehr oft auch über die Lebensumstände. Zur Tafel nach Roth und Hilpoltstein kommen Menschen, für die der ganz normale Alltag schon jenseits von Corona den finanziellen und sozialen Ausnahmezustand darstellt. Während der Kontaktsperre wird für sie vieles noch schwieriger und schwerer zu ertragen. Armut macht einsam. Auch ohne Kontaktsperre. Für sie also stehe ich am Samstagmittag mit in der Vorratskammer, packe rund zwei Stunden lang Obsttüten.

Mutter hatte mal wieder Recht

Falsch! Genau genommen stehe ich jetzt eher für mich hinter Obst- und Gemüsekisten. Arbeite gemeinsam in einem Team, in dem sich alle duzen. Es geht familiär-lässig zu. Man kennt sich. Die erfahrenen Kräfte leiten uns Neulinge an. Freundlich, offen, ohne jegliche Besserwisserei mit einer gelassenen Selbstverständlichkeit. Es ist nicht stressig, aber genug für alle zu tun. Zeit zum Plaudern — auf Distanz und mit Mundschutz — bleibt dennoch. Natürlich geht es um Corona und Klopapier-Hamsterkäufe; aber auch um Gartenarbeit, um den Job, um die Familie — kurz: um ganz normale Dinge in einer alles andere als normalen Zeit. Meine Arbeitsschicht ist ruck-zuck rum. Die ersten Kunden — zwei Rentner — warten bereits draußen. Ich freu’ mich auf eine gemütliche Tasse Milchkaffee zu Hause; bin zufrieden mit der Zeit, die ich ohne Covid-19 nicht gehabt hätte; Obwohl: ehrlichkeitshalber muss ich sagen: die ich mir nicht genommen hätte. Mir wären schlichtweg ein paar einprägsame Begegnungen und Gespräche entgangen. Wie sagt meine Mutter immer: Nix Schlechtes, was nicht auch was Gutes hat. Da hat sie wohl mal wieder Recht gehabt.

Sowohl in Roth als auch in Hilpoltstein werden immer Männer und Frauen für die verschiedensten Tätigkeiten gesucht. Beide Tafeln arbeiten zusammen. Kontakt Ausgabe Roth:  0151- 56 84 95 02; Ausgabe Hilpoltstein: 0176- 76 78 35 94; Mail: info@rother-tafel.de; Internet: www.rother-tafel.de. 
Um den laufenden Betrieb finanzieren zu können, sind die Tafeln dringend auf Spenden angewiesen. Spendenkonten: Raiffeisenbank Roth, IBAN: DE90 7646 0015 0000 1390 68; BIC: GENODEF1SWR; Sparkasse Mittelfranken-Süd: IBAN: DE80 7645 0000 0221 2601 69; BIC: BYLADEM1SRS

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